“Keine Urteile über Urteil fällen”
Als Pius Leitner am vergangenen Freitag am Bozner Landesgericht schuldig gesprochen und wegen Unterschlagung von Fraktionsgeldern in den Jahren 2008 bis 2013 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, weilte Arno Kompatscher noch in Nepal. Doch nun hat sich auch der Landeshauptmann in der Sache und zum Rücktritt des Freiheitlichen Landtagsabgeordneten zu Wort gemeldet – als erster Vertreter der Mehrheit im Landtag. “Ich war sehr überrascht und verwundert über das Urteil”, gesteht Kompatscher im Anschluss an die Pressekonferenz zu den Beschlüssen der Landesregierung am Dienstag Mittag.
So ganz scheint der Landeshauptmann nicht an die Schuld des Freiheitlichen Ehrenobmannes zu glauben: “Pius Leitner hat viele Charaktereigenschaften, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass er ein Vergehen begangen haben soll, dass eine solche Strafe verdient hätte.” Auch wenn er im Laufe der Zeit, die er mit Leitner im Landtag verbracht hat, “sehr viele Meinungsverschiedenheiten” ausgetragen habe, habe er ihn doch stets als “sehr seriöse Person, die nach all ihren Möglichkeiten versucht, ihren Beitrag zu leisten” erlebt. Einen Vorwurf kann der Landeshauptmann Pius Leitner nach den harten Tönen, die die Freiheitlichen auf ihrer Pressekonferenz am Montag vor allem in Richtung Bozner Gerichtsbarkeit angeschlagen haben, nicht ersparen: “Für mich ist klar, dass man es als verantwortlicher Politiker, der eine Reihe an Funktionen innehat, unterlassen sollte, Urteile über ein Urteil zu fällen.”
“Keine Urteile über Urteil
“Keine Urteile über Urteil fällen” - Das sagt man bei höchstrichterlichen Urteilen, gespeist aus der Erfahrung, dass Widerspruch wenig bringt: roma locuta, causa finita. Kritik indes stellt dar, weist auf Konsequenzen hin. Missstände, auch wenn sie innerhalb eines Justizapparats vorkommen, dürfen/sollen/... kritisiert und ebenso wie auch Entscheidungen unterschiedlich diskutiert werden (können). Sie betonen den Wert der Meinungsfreiheit und ihre Bedeutung für die Demokratie. Justizkritik hat eine demokratische Funktion. Sie deckt Schwächen der Dritten Gewalt auf, die ja ihrerseits demokratisch nicht kontrolliert wird