Kultur | Gaming und Kunst
Kunst-Spiele und Spiele-Kunst
Foto: Giada Tuffanelli
Für eine Gesprächsrunde von Rund eineinhalb Stunden kam man vor rund einer Woche zusammen, mit den angeschnittenen Themen hätte man Material für drei weitere gehabt. Fabio Viola, der bereits Professor an der Mailänder Nuova Accademia di Belle Arti für Game Design war und etwa die Ausstellung „Play - videogame, art and more“ (im Savozischen Königspalast Reggia di Venaria Reale im Piemont) kuratierte, welche Kunstwerke von De Chirico über Hokusai, sowie Kandinsky bis Warhol neben durch sie inspirierte Konzeptkunst, bzw. fertigen Videospielen ausstellte. Berufserfahrung sammelte er bei EA (Electronic Arts) Mobile und entwickelte „Handy-Spiele“ seit 2002, „als diese 40 KB wogen“, arbeitete dabei auch mit Museen für Projekte zusammen, die zum einen unter Beweis stellen sollten, das Videospiele eine Kunstform sein können, zum anderen Besucher in die Museen locken sollten.
Als Ausgangspunkt für seine Ausführungen wählte Viola die umstrittene Aufteilung von „Kunst“ in neun Gattungen: Musik, Architektur, Malerei, Skulptur, Literatur, Tanz/Theater/Zirkus, Fotografie, Film und Comic, frei nach der vom Dichter Riciotto Canudo vor 100 Jahren begründeten, in den 60ern von Claude Beylie erweiterten Liste.
Was diese Auflistung neben augenscheinlichen Lücken und Schwierigkeiten eines solchen kategorischen Denkens angesichts Zwischenformen auch zeigt, ist zweierlei: Zum einen die Möglichkeit (Video-)spiele als eine zehnte, aus den anderen Bereichen schöpfende Sammelkunst zu sehen, zum anderen, was am Abend eher zu kurz kam, dass die Eigenart von Videospielen die Möglichkeit gibt, den Betrachter aktiv in das Kunstwerk einzubeziehen, wo in anderen Gattungen viel eher eine passive Interaktion mit der Kunst vorherrschend ist.
Schätzungsweise drei Milliarden Spieler und der umsatzstärkste Unterhaltungsmarkt weltweit machen diese Lektüre spannend. Als Beispiel für den Einfluss den Videospiele auch auf die reale Welt haben können, nannte Viola „The Last of Us“, in dessen Erweiterung ein gleichgeschlechtliches Paar zu „zahlreichen Coming-Outs“ geführt habe, sowie zu breiten, nicht immer sachlichen Diskussionen dazu, ob Videospiele „politisch“ sein sollten.
Zugegeben, anfänglich waren die Vergleiche, welche Viola in seiner Powerpoint-Präsentation bemühte durchaus streitbar: Der minimale Look des Atari Klassikers „Pong“ (wir alle kennen es, ein Pixel wird hin und her gespielt, prallt von einer von zwei Linien am Bildrand ab oder geht ins Aus) hat wohl mehr mit technischen Beschränkungen Anfang der 70er zu tun, als mit einer Nähe zu Kasimir Malevichs Schwarz-Weiß Kompositionen. Bei „Tetris“ im Vergleich zu Theo van Doesburg „Composition VII“ verhält es sich ähnlich, besonders wenn man nicht auf modernere, sondern die ursprüngliche, farblose Version des 1984 an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften entwickelten Spieles zur Seite stellt. „Tetris“ hatte einen spannenden Weg zum Welterfolg, auf welchen verwiesen wurde, aber er hätte den Abend in gleicher Weise gesprengt, wie er diesen Artikel sprengen würde. „Es entsteht nicht alles Ex-Novo, aber andere kreative Ausdrucksformen zu kennen kann sehr interessant sein.“, beschloss Viola seine Gedanken zu den Vorvätern der heutigen Spiele.
Auch verwies er darauf, dass Vorangegangenes als Lektüreschlüssel für Spiele hilfreich sein könne, stellte so genannte „Side Scroller“ (man bewegt sich in der Regel linear vom linken Bildschirmrand nach rechts) der Trajanssäule gegenüber und erkannte geometrische Formenlehre bei Super Mario-Charakteren.
Infolge ein Sprung Richtung Gegenwart mit einigen Beispielen aus „Play - videogame, art and more“. Dass „ICO“ (2001) bei der Gestaltung seines Covers ein klares Vorbild hatte, dürfte niemand bestreiten und das Beispiel wurde wohl nicht von ungefähr gewählt, da gerade das atmosphärische Fantasy-Abenteuer „ICO“ und der indirekte Nachfolger „Shadow of the Colossus“ immer wieder in der Diskussion über Videospiele als Kunstform auftauchen. Die Schwierigkeit die Werke als Leihgabe zu erhalten, machte Überzeugungsarbeit, das hier keine Ab- sondern eine Aufwertung der Kunstwerke stattfindet, notwendig. Auch spannend war die Gegenüberstellung des synästhetischen Techno/Kunst Shooters „Rez“ (2001), welches unter dem Decknamen „Project K“ entwickelt wurde. Das K stand dabei für den Synästhetiker Vassily Kandinsky. Auch in kommerziell orientierten Projekten wie dem vierten Teil der Action Rollenspiel-Reihe Diablo, welcher in wenigen Tagen auf den Markt kommt ist die Bezugnahme auf Vorbilder, in diesem Fall Illustrationen zu Dantes „Inferno“ ein gern genutzter Kunstgriff.
In der Ausstellung wagte man aber auch den Umkehrschluss und blickte auf Künstler, welche sich bei der Ästhetik von Videospielen bedient hatten: Jago und Federico Clapis wurden genannt.
Digitaler Eklektizismus
Tiziano Antognozzi, studierter Kunsthistoriker und Kurator von Spiele-Ausstellungen für die größte Szene-Messe des Landes, die Lucca Comics and Games (zuletzt zum böhmischen Brettspiel-Pionier Alex Randolph, der letztes Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte) sah in Violas Schau nicht weniger als den Beginn „einer neuen Phase in der Diskussion über Videospiele und Kunst“. Antognozzi sah die Hauptschwierigkeit in der Aufbereitung des Themas im erreichen der Nicht-Spieler, aber auch darin Definitionen von Kunst und Spielen auf einer gleichwertigen Ebene miteinander zu verbinden. Er habe selbst für viele Jahre Spiele oder Spielelemente genutzt, ohne sich über diese Gedanken zu machen oder ein Bewusstsein zu entwickeln, was bei der Mehrheit der drei Milliarden von Spielern weltweit so sei.
Seinen Vortrag begann Antognozzi mit einer eher langen Ausführung zum Barock, als Kunstart, welche lineare Lese-Arten von Bildern aufbrach, um bei einer von Viola überstrapazierten Analogie zu „Open World Games“ zu landen, in welchen der Spieler relative Freiheit hat sich in alle vier Himmelsrichtungen zu bewegen. Spannend und aufschlussreich hingegen der Hinweis darauf, dass die Kunst dabei als „humanistischer Zeitvertreib“ galt und vom Zeitvertreib zum Spiel ist es weniger weit.
Zu den Spielen kam man über die - abermals japanische - Spielereihe „Castlevania“ zurück, die seit 1986 erscheint. In zahlreichen Ablegern der Reihe, wie auch in deren Cover-Art kommt der gotischen Architektur eines Schlosses die Hauptrolle zu. In diesem Schloss schlüpfen wir in die Rolle von Vampir-Jägern auf der Jagd nach dem Grafen Dracula. Musikalisch schöpfen die Soundtracks der einzelnen Teile dabei aus einem ganz anderen Brunnen: Die Songs erinnern mehrheitlich stark an Bach-Fugen. Warum dieser Eklektizismus? Antognozzi sah die Schuld dafür in den frühen Übersetzungen des Grafen auf die Kinoleinwand, welche sich wiederholt bei den barocken Bach Fugen bedient hatten. Ob diese Vermischung verschiedener kunstgeschichtlicher Epochen nicht einfacher durch die, auch kulturelle, Distanz japanischer Spielentwickler zu europäischer Kunstgeschichte erklären sei? Antognozzi fand die Publikumsthese plausibel, verwies aber auf die Schwierigkeit in Kulturwissenschaften zu endgültigen Antworten zu gelangen. Ein ähnliches Aufgreifen verschiedener Elemente aus der realen Welt fand Antognozzi in „Dark Souls“, in welchem die Stadt Anor Londo, zentral für die Handlung des einflussreichen Action Rollenspiels, wenig tut um ihre Ähnlichkeit zum Mailänder Dom zu verschleiern.
Weniger um das Vermischen verschiedener Einflüsse ging es Viola, der auf die touristischen Möglichkeiten hinwies, welche bei Filmen und Serien bereits genutzt würden, Monteriggioni als Beispiel nehmend. Die 10.000 Seelen Gemeinde war dabei nicht nur Drehort zahlreicher Filme - vom „Englischen Patienten“ bis zum „Gladiator“ - sondern auch (historisches) Setting mehrerer international erfolgreicher Assassin’s Creed Spiele. „Wir dürfen komplexe Themen nicht zu etwas Einfachem aufbrechen, sondern müssen unser Analyse-Werkzeug weiter entwickeln.“, rief Antognozzi am Ende seiner Denkanstöße auf, um zu einem Schlusswort von Alex Randolph zu kommen: „Das Spiel ist eine komplett nutzlose Sache.“, was in einer leistungsorientierten Gesellschaft ein Wert für sich sei.
Matteo „Omen“ Pizzo erklärte in Folge, wie sein Weg ihn in die Welt des Design geführt hatte und wagte, was einem Selbstmord seiner Sympathie im Raum gleich kam: Er beschloss von NFTs zu schwärmen und bei kaum einem Thema wird man unter Spielern auf mehr abweisende Einigkeit treffen. Seine Arbeiten für große nationale und internationale Marken lehnen sich an der Ästhetik von Spielen an, von Seiten des ehemaligen Giovanni Pascoli Schülers wurde zur Diskussion aber am wenigsten beigetragen.
Man beschloss die Runde mit einer Provokation: Marcel Duchamps Ready-made „Fountain“. Ist das Kunst? Den Kunststatus wollte dem berühmten, 100 Jahre alten, ehemaligen Urinal im Raum niemand absprechen, aber es verdeutlichte, dass die Frage was nun Kunst ist und was nicht, neben Absicht sehr viel mit Betrachtung und Definitionen zu tun hat. Das Fazit lautete dann, das Videospiele auch Kunst sein können. Bis das allerdings die Wahrnehmung in der Breite der Gesellschaft ist, ist es noch ein weiter Weg. Auch gilt es in Zukunft, mehr noch als wechselseitige Einflüsse, die dem Medium eigenen, charakteristischen Möglichkeiten hervorzuheben, ansonsten entsteht der falsche Eindruck, dass Videospiele „nur“ ein Container sind.
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Genau genommen, ist der
Genau genommen, ist der plakative Missbrauch des bekanntesten Ready-mades von Marcel Duchamp eine Beleidigung. Der Einzelgänger, der aus Überzeugung keiner avantgardistischen Gruppierung angehören wollte, hat bekanntlich das Malen und seine Ready-mades bald einmal auf Eis gelegt. Just in dem Augenblick, als seine Werke begannen, Sinne (jedweden!) an zusprechen...
In der Spiele-Industrie geht's vor allem um Gedälligkeit, um Sogwirkung und allem voran: um viel Geld.
PS: Da lobe ich mir die Radikalität des 'Schiffbrüchigen', M. D., der ein Leben lang Schach spielte, was deutlich billiger und 'nachhaltiger' ist.