Marthas Herausforderungen
Die Kampfeslust blitzt aus ihren Augen, als Martha Stocker am Mittwoch Abend im Meraner Ost West Club Platz nimmt: “Ich stelle mich jeder Herausforderung mit offenem Visier.” Gekommen ist die Landesrätin für Gesundheit, um mit Moderator Markus Lobis über die Sanitätsreform zu sprechen. Ein Thema, das wie kaum ein anderes in Südtirol gefühlt, diskutiert und auch kritisiert wird. Und das nicht erst seit dem Beschluss vom 10. Februar 2015, mit dem die Landesregierung die Grundlage für den Landesgesundheitsplan 2016-2020 geschaffen hat. Unvergessen werden die Proteste gegen die Schließung der kleinen Geburtenabteilungen bleiben. Auch für Martha Stocker. Ein Bild hat sich bei ihr eingeprägt. Es war in Sterzing, im Herbst 2014, als eine Masse von wütenden Menschen mit Fackeln auf die Straße ging, um gegen die Schließung der dortigen Geburtenstation zu protestieren. Martha Stocker stellte sich der Menge, wie sie es sich vorgenommen hat, immer zu tun “Ansonsten könnte ich mich nicht mehr im Spiegel anschauen”, sagt sie heute. Doch es war “die letzte Fankurve” bei diesem Protest in Sterzing, die sie damals beinahe ins Schwanken gebracht hat. “Da waren Männer zwischen 40 und 50 Jahren, die mit wutverzerrtem Gesicht ‘Ihr Schweine!’ geschrien haben”, erinnert sich Martha Stocker. “Ein wahrer Spießrutenlauf”, den sie erst einmal bei einem Glas Sekt bei der Rückfahrt von Sterzing auf der Autobahn verdauen musste.
“Es köchelt immer leicht”
Am Mittwoch Abend sitzt sie ganz entspannt auf der Bühne und erzählt von diesen Ereignissen. Auch, weil ihr kaum jemand Kontra gibt. Wer sich erwartet hat, eine geknickte Landesrätin vorzufinden, wird enttäuscht. Proteste der Bevölkerung, der Hausärzte, der Krankenhausmediziner und zuletzt des nicht medizinischen Personals scheinen keinerlei Spuren von Resignation oder Abgekämpftheit hinterlassen zu haben. Zumindest lässt sie sich nichts dergleichen anmerken. “Es sind die vielen Begegnungen und Gespräche mit Menschen und Patienten, die mir Kraft geben und mich spüren lassen, dass ich zu etwas Positivem beigetragen habe”, gesteht sie. Und doch brodelt es, wie sie selbst zugibt: “Wir befinden uns – aber das ist ein allgemeiner Zustand bei vielen gesellschaftlichen Themen – stets auf einem gewissen Level der Gereiztheit. Es köchelt sozusagen immer leicht. Erschreckend ist allerdings, wie wenig es braucht, damit es überkocht.”
Foto: Stefanie Kofler
Mit ihrem Besuch im Ost West Club will sie der Debatte etwas an Hitze nehmen. Um eine Gesundheitsreform kommen wir nicht herum, stellt sie klar: “Das Ziel ist es, das System neu auszurichten und an die heutigen und zukünftigen Erfordernisse anzupassen.” Knapper werdende finanzielle Ressourcen und insbesondere die sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung brächten unweigerlich neue Herausforderungen mit sich, betont Stocker mehrmals. Angesichts dessen habe sie sich mit ihren Mitarbeitern und Zuständigen im Sanitätsbetrieb die Frage gestellt: “Wie können auch in Zukunft Dienste und Leistungen effizient und für alle zugänglich angeboten werden?”
Der Südtiroler ist eine Zwittergestalt.
Dass die Antworten, die Politik und Betrieb darauf geben (unter anderem Zusammenlegung von Abteilungen, Abbau von Primariaten, verstärkte Versorgung chronisch Kranker vor Ort) nicht allen passen, weiß die Gesundheitslandesrätin: “Es ist sehr heikel, etwas an einem System zu verändern, von dem ein jeder ein bisschen etwas versteht und das so viele unterschiedliche Menschen und Berufsbilder betrifft – auch wenn es nur etwas Kleines ist.”
Verlangen wir zu viel?
“Die Erwartungshaltungen an das Gesundheitssystem sind sehr stark gestiegen”, fährt sie fort, “früher ging man nur zum Arzt oder ins Krankenhaus, wenn es unbedingt notwendig war. Inzwischen geht man hin, um sich bestätigen zu lassen, dass man gesund ist”. Das Gesundheitssystem sei zu einem “Servicebetrieb” verkommen, der nicht immer imstande sei, zeitnah zu reagieren. “Wir sind heute gewohnt, alles ‘Just-in-time’ zu bekommen, aber das Gesundheitssystem kann dem nicht entsprechen – das wäre auch nicht vernünftig”, erklärt Stocker. Es sei aber verständlich, dass viele Menschen relativ schnell einen kritischen Zugang zu einem solchen System fänden, auch wenn die Kritik “oft nicht verdient” sei.
Ich nehme eine immer stärkere Tendenz wahr, nur sich selbst zu sehn und drumherum nichts.
Ob das Gemecker und die Anfeindungen, denen sich auch Thomas Schael ausgesetzt sieht, verdient sind, darauf geht die Landesrätin im Laufe des Abends nicht ein. Häufig wird dem Generaldirektor des Sanitätsbetriebs, der noch nicht einmal ein Jahr im Amt ist, vorgeworfen, er sei “nicht von hier” und könne daher nichts “von uns” verstehen. “Wir tun uns in diesem Land schwer, wenn jemand nicht unsere Art von Kommunikation und Indirektheit teilt”, lautet die Analyse von Martha Stocker. Sie jedenfalls habe sich bei der Auswahl des neuen Generaldirektors voll und ganz auf das Urteil der Expertenkommission verlassen, die “frei jenen Menschen ausgesucht haben, von dem sie überzeugt sind, dass er die richtigen Voraussetzungen mitbringt”. Wenn nun jemand Schwierigkeiten mit dem bundesdeutschen Generaldirektor habe, dann sei das ein typisches Südtiroler Problem: “Der Südtiroler ist eine Zwittergestalt: Einerseits geben wir uns unglaublich weltoffen. Andererseits wäre es dann aber schon gut, wenn alles ‘a wia inser’ wäre.” Das interessante sei allerdings, dass “wir in der Welt mit unserer Art und Weise gut ankommen – ein Riesenglück. Aber manchmal sind die Karos schon wahnsinnig klein”, sagt Stocker. Auch im Hinblick auf die Gesundheitsreform leide sie manchmal “schon sehr” unter dieser Kleinkariertheit. Geht es nach Martha Stocker, soll die Reform jedenfalls “im Laufe dieses Jahres” über die Bühne gehen.
Der Stand der Dinge
Zur Erinnerung: Die Gesundheitsreform umfasst drei große Handlungsfelder. Da ist zum einen der Landesgesundheitsplan, der die Gesundheitsversorgung betrifft. Als Teil davon wurden etwa die Leistungsprofile der sieben Krankenhäuser bereits verabschiedet. Der komplette Plan “ist praktisch geschrieben”, so die Auskunft am Mittwoch Abend. Am morgigen Freitag gibt es eine große Klausur, bei der mit einer Expertengruppe an den letzten Details gearbeitet und der Plan schließlich verabschiedet wird. Anschließend kommt er in die Landesregierung, die ihn mit einem Beschluss verabschieden wird. Das zweite große Feld der Reform betrifft die Neuordnung der Führungs- und Verwaltungsstruktur und soll die Zusammenführung der vier Gesundheitsbetriebe zu einem Landesbetrieb besiegeln. Dafür muss das entsprechende Landesgesetz, das diese Zusammenführung 2007 einleitete, in Teilen neu geschrieben werden. “Der Entwurf liegt vor und soll noch vor der Sommerpause in die Gesetzgebungskommission und bestenfalls im September in den Landtag”, heißt es von Stockers Seite. Und schließlich gilt es, die Optimierung im Sanitätsbetrieb selbst voranzutreiben. Dazu wurde ein Katalog mit über 150 Maßnahmen gemeinsam mit den Mitarbeitern erstellt, die nun laufend von der Generaldirektion umgesetzt werden. Darunter zum Beispiel die Verbesserung der Ersten Hilfe oder betrieblicher Abläufe.
es muss wohl etwas anders
es muss wohl etwas anders sein als die Kleinkariertheit mit dem Südtirol in der Welt gut ankommt, oder?
es muss wohl etwas anders
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