Lernen geschieht durch Beziehung
Von einigen Seiten wird die digitale Schule derzeit quasi als Erfolgsmodell gefeiert. Politik und Bildungsverantwortliche beleuchten teilweise freudig die guten Seiten der Digitalisierung. „Die Schüler erarbeiten sich digitale Kompetenzen und werden selbstständiger! Man komme mit den Lerninhalten gut weiter. Wie schnell die Umstellung funktioniert hat! Ja es sei sogar so gut, dass man überlegt, die Home School im Herbst teilweise weiterzuführen.“
Ist dem wirklich so? Die Erfahrungen mögen unterschiedlich sein und wer selbst Kinder im Schulalter hat, weiß sein eigenes Lied davon zu singen. Ich muss gestehen, dass auch in meinem Unternehmen Pegasus online Unterricht schon seit Jahren im Angebot war. Allerdings wollten unsere Kunden lieber den persönlichen Unterricht mit der Lehrkraft im Haus. Dann habe ich mir gedacht: „Das wird sich jetzt ändern, viele werden die Vorteile erkennen und werden sehen, wie praktisch das ist.“ Ich habe mich getäuscht. Eher habe ich das Gefühl, dass online Meetings, Home Working und online lernen zwar bequem sind (wir sparen uns viele Autofahrten), jedoch nicht immer angenehm. Der persönliche Kontakt ist schon etwas anderes, menschlicher.
Einige Vorteile sind zweifelsohne vorhanden: Die Schüler müssen digitale Kompetenzen erlernen, die auch in Zukunft wichtig sein mögen. Sie erarbeiten Lernstoff teilweise autonom und tauschen sich mit Mitschülern aus; das ist Teamarbeit. Sie können sich den Lern-Alltag selbst einteilen und lernen so, eine Tages- und Wochenplanung zu gestalten.
Doch wir dürfen die andere Seite der Situation nicht vergessen. Ich bin selbst Vater von 4 Kindern im Schulalter und sehe die Spannbreite von der Grundschule bis zur Oberschule. Ich sehe und höre die Probleme auch von unseren Kunden, unseren Eltern und Schülern bei Pegasus.
In vielen Familien sind technische Hilfsmittel teilweise nicht vorhanden und viele Eltern können keine Unterstützung mehr anbieten, sei es fachlich sowie auch technisch. Ganz zu schweigen von dem Zeitaufwand (besonders in der Grundschule), welcher zusätzlich zur Hausarbeit, dem Beruf und allem anderen noch irgendwo gestohlen werden muss. Eine Überforderung auf ganzer Ebene. Gearbeitet wird auf einer Vielzahl von Plattformen mit unterschiedlichen Logins und Anwendungen (Google Classroom, OneNote, Microsoft Teams, Zoom, WhatsApp, E-Mail usw). Wer da noch die Übersicht hat, dem ist zu gratulieren. Wenn hier Eltern, Schüler und Lehrer den Faden verlieren, dann ist das mehr als verständlich.
Manche Lehrer drücken so viel Lehrstoff wie möglich rein, schicken einen Arbeitsauftrag nach dem anderen. Es wird nicht mehr gelehrt, es werden Anweisungen geschickt, was zu lernen ist und nächste Woche wird abgefragt. Andere Lehrkräfte hingegen, und auch Schüler, sind quasi von der Bildfläche „verschwunden“ und arbeiten nach dem Minimalprinzip.
Schüler wühlen sich durchs Internet, kopieren Texte für die Hausaufgaben, teilen Lösungen mit ihren Mitschülern, die „Schlauen“ sammeln fertige Hausaufgaben von ihren Kumpels und leiten sie an die Lehrkraft weiter. Lernen ist das nicht.
Schüler vermissen ihre Klassenkameraden, vermissen die Schule und, ja, sie vermissen auch ihre Lehrer. Wir sind soziale Wesen und gehören nicht in unsere Kammern gesperrt, um über Bildschirmen die Welt zu entdecken. Zwischenmenschliche Beziehungen sind wichtig, die Beziehung zu den Mitschülern ist wichtig und die Beziehung zu den Lehrern genauso.
Digitale Schule funktioniert, aber nicht gut. Es fehlt etwas Grundlegendes: sozialer Kontakt und zwischenmenschliche Beziehungen. Sie funktioniert als Notlösung und sie kann in Zukunft als Ergänzung funktionieren. Wenn wir meinen, das sei ein Erfolgsmodell, welches auch in Zukunft verstärkt zum Einsatz kommen muss, dann täuschen wir uns.
Etwas hat mir diese neue Art der Schule bestätigt, nämlich die Aussage vom bekannten Hirnforscher Gerald Hüter: LERNEN GESCHIEHT DURCH BEZIEHUNG.
Schulsysteme kommen und gehen, Konzepte wurden schon hundertfach umgekrempelt, es gibt 1000 Ideen, wie Schule, Unterricht oder Lernen funktionieren kann. Doch eines ist das Wichtigste: Die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden. Lernen geschieht durch Beziehung; das ist mir in dieser Zeit so klar wie noch nie geworden.
Ein guter Lehrer kann Freude und Begeisterung, Kenntnisse und Lösungswege aber auch persönliche Meinungen vermitteln. Eine Lehrerin kann dich an der Hand nehmen, dich motivieren und loben, wenn es angemessen ist, oder dich auch mal wachrütteln, wenn es gebraucht wird. Mit einer Lehrkraft kann man diskutieren, philosophieren, Spaß und verschiedene Meinungen haben. Viele Emotionen finden in einer Beziehung statt, wobei man auch mal enttäuscht, zornig und frustriert sein kann. Lehrer mit Schülern und auch Schüler mit Lehrern. Das gehört dazu.
Ich weiß, es gibt so viele gute, ehrgeizige und motivierte Lehrkräfte da draußen. Herzenslehrer, die es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, anderen etwas beizubringen. Es ist schade, dass der Lehrerberuf in unserer Gesellschaft so leiden muss.
Genauso weiß ich auch, dass die Jugendlichen zu Unrecht manchmal als lustlos und faul dargestellt werden. Es gibt viele intelligente, kompetente und interessierte Schülerinnen und Schüler. Sie haben Freude am Lernen und sind von Natur aus neugierig. Sie haben ihre eigenen Ideen und Visionen, wie die Welt funktionieren kann oder könnte.
Kein Computer, keine App und keine noch so intelligente Software kann eine zwischenmenschliche Beziehung je ersetzen. Nichts kann die emotionale Bindung zwischen uns Menschen ersetzen. Wir sind Menschen und keine Maschinen, das dürfen wir nie vergessen.
Eine Schule, die funktioniert, ist nicht so kompliziert wie man vielleicht meinen mag. Es geht nicht nur um Strukturen, Konzepte, neue Lehrpläne; schon gar nicht geht es um Druck, Noten und mehr Leistungen. Es genügt, wenn Lehrer Herzensmenschen sind und ihren Beruf mit Freude und Passion ausüben. Wenn sie ihre Lebensaufgabe darin sehen und sie beim Unterrichten glücklich sind. Wenn in den Klassen gelacht wird und Freude spürbar ist.
Es genügt, wenn die Gesellschaft den Lehrberuf schätzt und respektiert. Na klar, Schule ist nicht perfekt, genauso wenig wie die Sanität, die Politik, die Wirtschaft oder die Gesellschaft. Der Mensch ist nicht perfekt. Perfektion ist eine Illusion. Wir können aber in einem offenen Diskurs, unter Betrachtung der Vielfältigkeit und verschiedenen Meinungen, eine Schule schaffen, die zwar nicht perfekt, aber sehr gut sein kann.
Wenn ich mir eines wünsche, dann ist es nicht mehr digitale Kompetenz und mehr online lernen, sondern ich wünsche mir mehr Respekt füreinander, mehr Zusammenarbeit zwischen Schule, Lehrkräfte, Eltern und Schüler. Mehr miteinander, anstatt gegeneinander. Mehr Begeisterung und weniger Druck, weniger Noten und weniger „du musst“.
Markus Lintner
Gründer von Pegasus
NB: die Gender-Schreibweise liegt mir nicht besonders, wenn ich Lehrer oder Schüler schreibe, dann meine ich natürlich immer auch Lehrerinnen und Schülerinnen!
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Gerald Hüter – Lernen mit Begeisterung
https://www.youtube.com/watch?v=K0nud8EA0Ew
Gerald Hüter – Wie lernen gelingt
https://www.youtube.com/watch?v=T5zbk7FmY_0
Wie die Digitalisierung unsere Kinder verblödet – Psychiater Michael Winterhoff
https://www.youtube.com/watch?v=zzLM3CrfYm0&t=559s
Mein Video zu diesem Thema
https://www.facebook.com/PegasusInstitut/videos/3105477239473348/
Die Chinesen haben digitale
Die Chinesen haben digitale Medien aus Bildungsstätten des Vorschul- und Grundschulalters weitgehend verbannt, weil Bildschirm-Glotzen die Augen, die noch im Wachstum sind, schädigt und im Alter irreparable Augenkrankheiten bis hin zu Blindheit verursachen kann.
Längst ist auch im Westen wissenschaftlich bewiesen und erwiesen (Stichwort M. Spitzer), dass stundenlanges Starren auf Mattscheiben diverser Größen (je kleiner desto schädlicher) denkbar schlecht für Augen, Hirn, Geist und Seele ist - folglich für den gesamten Körper.
Trotzdem reitet 'man' die digitale Welle als wäre es ein indiskutabler Segen.