Kultur | Salto Afternoon

Beregnete Eröffnung

Zu sagen, es hätte das Transart-Opening verregnet, wäre falsch. Der Hunger nach neuen Orten trotzte gestern Abend dem Regen, der nebenbei ein besonderes Licht zauberte.
Foto: Privat
Auf die Villa Gasteiger, den ehemaligen Sitz der ENEL und wahrscheinliche zukünftige Bleibe des wohl berühmtesten Südtirolers mit Migrationshintergrund, „Ötzi“, waren gestern Abend ähnlich viele Blicke gerichtet, wie auf die Bühne. Es sollte eine sanfte Eröffnung werden, bei der seitens des Veranstalters keine außerordentlichen Provokationen geplant waren, es ging ja um den Ort. Dieser soll als OASIE für die Festivaldauer als Basis des Festivals fungieren, und mit zahlreichen kostenlosen Talks und Workshops - gefasst unter dem Überbegriff „Experiences“ - und einem eigenen Drink, dem OASIE-Spritz locken.
Kultur- und Drink-Interessierte finden am Ort drei Hauptattraktionen vor. Hans-Walter Müllers luftiger Architekturentwurf, der vom Waltherplatz weitergezogen ist und bis 28. September bleibt, ist die erste von diesen. Heute um 18 Uhr kann man den jung gebliebenen Architekten im Dialog „Building with air“ im Austausch mit Heinrich Pan erleben, in Zusammenarbeit mit dem neuen Kids Culture Festival werden auch Familien- und Schulworkshops angeboten.
 
Transart23 Openinng
Transart23 Opening: Wen trifft es als nächsten? Mit dieser Frage rüttelt eine kleine Ausstellung in der OASIE am bürgerlichen Selbstverständnis. | Foto: Privat
 
Unbedingt ansehen sollte man sich auch die an der TU München konzipierte, auf Bozen adaptierte Ausstellung „Who’s next?“ (in Zusammenarbeit mit dem Dormizil und Habitat), die Aufklärung zur Problematik der Obdachlosigkeit, auch mit Blick auf Südtirol, in Zahlen und Fakten betreibt, aber auch einem persönlicheren Zugang zur Thematik über Videointerviews Raum gibt. Die Frage im Titel der Ausstellung darf als Provokation verstanden werden, denn spätestens seit der Corona Pandemie dürfte der Mythos, dass sich die meisten Obdachlosen einfach nicht genug bemühen würden, Risse aufweisen. Die Pandemie hat uns gezeigt wie brüchig der soziale Zusammenhalt ist und dass Auffangmechanismen - andernorts noch mehr als in Südtirol, aber auch hier - nicht für alle greifen können. Dem Direktor der Ausstellung, Andreas Lepik, dem Kurator Daniel Talesnik und ihrem Team ist für die prägnante Ausformulierung von knappen Denkanstößen, denen man sich aussetzen sollte, zu danken.
Der dritte und letzte Beitrag von relativer Dauer in der temporären Oase ist die Architektur im Außenbereich der OASIE, die zum Sitzen und Verweilen einlädt. Vielleicht darf sie auch als Gegenentwurf zur im englischen „Hostile Architecture“ (im deutschen: Feindliches Design) getauften Stadtdesign-Praxis gelten, die unter anderem Obdachlose von Verweilen oder Schlafen, etwa auf Sitzbänken oder Treppen abhalten soll. Es handelt sich um Beiträge von Veronika Graf, Josef Herzog und Balthasar Wolfenstetter, die Teil eines freundlicheren, einladenderen Städtedesigns sein könnten.
Zum schamanischen Trommelschlag, der den Auftakt markierte, gesellten sich die Plaudereien der zahlreichen Eröffnungsgäste. Die Aufmerksamkeit war eindeutig geteilt, wenngleich das Wummern der großen Trommeln auch so einen atmosphärischen Zweck erfüllen konnte. Es hätte eine knappe Transart Eröffnung ohne besondere Vorkommnisse sein können. Bei der Eröffnung des 23 Jahre jungen Festivals wurde in der Vergangenheit gern schon einmal schwere oder potentiell irritierende Kunst serviert (was Südtirol gut brauchen kann), da das Eröffnungspublikum unabhängig vom Programm zahlreich erscheint.
 
Transart23 Openinng
Transart23 Opening: Ein zahlreich erschienenes Festivalpublikum drängte sich unter Gazebos und an die Bar.  | Foto: Privat
 
Diesmal kam die Irritation von außerhalb. Nachdem der künstlerische Leiter Peter Paul Kainrath und Vereinspräsidentin Tanja Pichler mit knappen Wortbeiträgen, solidarisch-optimistisch den Wortstartschuss abfeuerten, kam Bürgermeister Renzo Caramaschi auf die Bühne.
„Ich bin stolz, auf dieser Veranstaltung anwesend zu sein.“ Erst würdigte er Transart auf etwas seltsame Weise, hoffte, dass es sich beim Event um eine „sauna intellettuale“ handeln möge, in Anspielung auf die hohe (Luft-)Feuchtigkeit. Dann kam er auf die Kandidatur Bozens als eine UNESCO Stadt der Musik zu sprechen. Transart sei - zusammen mit allen anderen musikalischen  Institutionen - ein wichtiger Moment hierfür. „Qua voglio precisare, non per polemica, è questione di qualità di linguaggi. Non è che ci sia un linguaggio musicale più bello o più interessante dell’altro. Sono le ricerche diverse.“ Bei aller Liebe, nicht bei jeder Bürgerkapelle ist die Qualität auf einem hohen Niveau. Als Autor dieses Textes würde ich mir wünschen, dass der Startvorsprung, welchen in Bozen bereits etablierte Genres genießen, offen anerkannt und zur Diskussion gestellt wird, nicht mehr und nicht weniger. Auf ein ausgesprochen subjektives Auswahlkriterium der Qualität zu verweisen, ist verletzend gegenüber Nischenkulturen, für die es schwieriger ist an Auftrittsmöglichkeiten, gerade im öffentlichen Raum zu kommen. Schamanistisches Trommeln bei Transart bildet hier eine Ausnahme.
 
Transart23 Openinng
Transart23 Openinng: Hans-Walter Müllers aufblasbare Architektur lässt sich nachts besonders gut in Szene setzen. | Foto: Privat
 
Dann schwenkte Caramaschi um zu einer Andeutung, die wir an dieser Stelle nicht interpretieren möchten. Der Bürgermeister bezog kurz Stellung zur Nachricht des gestern Abend bei der Loreto-Brücke tot aufgefundenen 24-jährigen Mannes. Nicht viele der Gäste schienen in diesem Moment ihre Aufmerksamkeit auf die Bühne zu richten, aber ein Satz war in etwa um halb 10 in der Rede Caramaschis dabei, der besonders geschmacklos scheint: „Chiaro, si immagina per cosa sia.“ Ich würde mir wünschen, dass er seine Vorstellungskraft anders einsetzt und bis zur Bekanntgabe eines Autopsie-Ergebnisses wartet, bevor er Spekulationen anregt.
Gut, dass das letzte Wort an die Artist in Residence des Festivals, Madame Nielsen ging, die nicht weniger als revolutionäre Verhältnisse ankündigte: Sowohl die lokale Sex-Industrie (gemeint war das Show Girls) will sie in einen feministischen Ort umgestalten, als auch den „lokalen Helden der Avantgarde“, N.C. Kaser mit einer Performance „zu Staub verwandeln“. Wir dürfen gespannt sein.