Angst vor dem Schwarzen Mann
Wir suchen eine Weile, bis wir ihn finden: Den Ort, an dem die Flüchtlinge in Vintl untergebracht wurden. Nur ein weißer Zettel, mit einem Namen und einer Nummer gibt die Haustür zu erkennen und erklärt, wer sich dahinter verbirgt. Tounkara öffnet uns die Tür. Sein Gesicht wirkt müde und sein Blick vorsichtig, als sei er es leid Menschen abzuwimmeln, die ihm und seinen Leidensgenossen an den Kopf werfen, wieder dorthin zurück zu gehen, von wo sie gekommen sind. Doch er kennt den Grund unseres Erscheinens und lässt uns ein, wenn zunächst auch etwas zögerlich.
Sich an Kälte gewöhnen
Er führt uns in eine Küche, die gleichzeitig auch die Funktion als Wohnzimmer übernimmt. Hier treffen wir schließlich auf die anderen Flüchtlinge. Es ist Samstag, sie haben heute frei, sitzen gemeinsam auf der Couch und blicken in die alte Flimmerkiste, die sie geschenkt bekommen haben. Zunächst ist die Stimmung etwas gedrückt, denn sie wissen noch nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. "In den ganzen zwei Jahren ist noch nie jemand zu uns gekommen, um uns zu besuchen. Viele haben Angst vor uns", meint Ismael, ein gebürtiger Malier. Der Raum ist nicht besonders groß. Außer einer kleinen Inseltheke und einer Vitrine, in der sich das Geschirr befindet, gibt es hier nicht sehr viel. Die Asylanten tragen warme Pullover, oder sitzen in Winterjacken und Handschuhen eingewickelt vor uns. Sie sind das kalte Wetter nicht gewohnt, denn von dort, wo sie herkommen, sind die Temperaturen nicht zu vergleichen.
Eine Wärmflasche
Wir packen die mitgebrachten Sachen aus und legen sie auf den kleinen Couchtisch. Jacken, Pullover, Essbares, Wärmeflaschen und sogar ein Wasserkocher. Sie sind dankbar, auch wenn sie die Funktion von Wärmeflaschen noch nicht kennen. Schließlich bieten sie uns an uns hinzusetzen und einen Kaffee anzunehmen. Voller Stolz zeigen sie uns Musikvideos aus Afrika und wir merken wie das Eis bricht. Bami, der wahrscheinlich Jüngste, muss uns bald verlassen, denn er hat ein Fußballspiel. Toll! Er hat etwas Anschluss gefunden. Mit den anderen kommen wir ins Gespräch. Sie erzählen uns von ihrer Flucht aus ihrem Land, wobei wir herausfinden, dass sie alle aus verschiedenen Teilen Afrikas kommen. Doch alle unter ähnlichen Umständen ihre Heimat verlassen mussten. Und sie erzählen auch von ihrer Ankunft in Lampedusa.
Wenig Schlaf, schlimme Träume
"Wir haben alle im Haus geschlafen. Mit den Kindern, als die Franzosen gekommen sind. Und plötzlich war unser Haus weg. Sie haben es einfach weggebombt", erzählt Ibrahim, der starr in sein Italienischheft blickt, als wolle er sich ablenken, damit die grausamen Bilder nicht wieder hochkommen. "Es herrschte Chaos. Ich konnte meine Schwester nicht mehr finden." Dies geschah vor zwei Jahren, kurz bevor er nach Italien kam. Er erzählt uns, dass er bis heute nicht weiß, wo sie steckt, oder ob sie überhaupt noch lebt; dass er deswegen schlecht schlafen kann und er wieder zurück möchte, um sie zu suchen. Ismael aus Mali hingegen wirkt etwas glücklicher. Er ist froh, dass er hier sein kann, und die nötigen Dokumente bekommen hat, denn so konnte er Arbeit finden.
"Es waren zwanzig, die zusammen mit uns nach Italien kamen, doch nur drei von uns haben die Papiere bekommen." Bei ihrer Einreise wurden sie nach den Gründen ihrer Flucht gefragt. Nur wenige Antworten wurden akzeptiert. Krieg war eine gültige Antwort. Krieg, den es in den afrikanischen Staaten nur zu häufig gibt. Ismael spricht ein gutes Italienisch, besser als die meisten Südtiroler selbst. Er weiß, dass es wichtig ist diese Sprache zu sprechen, wenn man Arbeit finden will. "Ich lerne jetzt sogar etwas Deutsch", berichtet er stolz. Er ist froh, dass er Arbeit hat, so kann er sich und seine Freunde ernähren. Ibrahim hatte auch Arbeit. Als Turnlehrer der Grundschule half er öfters aus. Doch die Sprachschwierigkeiten zu den Kindern waren unüberbrückbar.
Gefangen, im Anders Sein
"Sie können kein Italienisch und ich kein Deutsch." Auch mieden sie ihn öfters, hatten Angst vor ihm. Vor ihm, dem bösen, schwarzen Mann. Man merkt, dass es ihm nahe geht. Er bleibt dann lieber im Haus, sagt er. Wie in einem Gefägnis fühlt er sich und er vermisst sein Zuhause. Dieses Gefühl der Ablehnung kennen sie alle nur zu gut. Im letzten Jahr wurden sie mitten in der Nacht, in dem damals zur Verfügung gestelltem Haus, nahe der Hauptstraße in Vintl, angegriffen und mit Molotow-Cocktails attackiert. Und obwohl alle im Dorf wissen, wer es war, hat keiner die Zivilcourage eine Aussage zu machen, denn schließlich "sind es ja nur Schwarze". Und auch Ismael erzählt uns, dass die Menschen nicht gerne helfen. Er sei erst vor wenigen Tagen mit dem Firmenauto stehen geblieben, weil die Batterie leer war. Zwei Stunden stand er in der Kälte, versuchte auf sich aufmerksam zu machen, doch niemand hielt an. Einer zeigte ihm sogar den Mittelfinger. Auch Anfeindungen wie 'Ihr habt hier nichts verloren' hören sie beinahe täglich. "Wir hören schon gar nicht mehr hin", meint Ibrahim. Sie verstehen nicht, wieso sie hier so sehr gehasst werden.
Sie mähen den Rasen
"Wir sind doch alle gleich, es ist doch egal ob wir eine andere Hautfarbe haben." Dann wird erst mal gegessen. Der Panettone, den wir ihnen mitgebracht haben, wird sogar noch mit uns geteilt. Wir sind sprachlos über so viel Freundlichkeit. Nun ergibt sich uns das erste Mal die Möglichkeit, den Rest der Wohnung zu sehen. Die Speisekammer ist bis auf Weniges leer. Sie haben ein kleines Bad und zwei Zimmer, in denen sie jeweils zu zweit und zu dritt schlafen. Sie besitzen keine richtigen Betten, nur Gestelle mit einer Matratze, ohne halbwegs gescheite Bettdecken. Von Bettüberzügen können sie nur träumen. Die Möbel in ihrer Wohnung sind alles Stücke, die sie geschenkt bekommen haben, die meisten davon von Ismaels Arbeitgeber. "Wir haben nichts aus dem alten Haus mitnehmen dürfen, das gehört alles dem Land." Sie fanden also eine leere Wohnung vor, und mit dem staatlichen Monatsbeitrag, der ihnen zustand, kamen sie gerade so über die Runden. "Das Leben in Südtirol ist sehr teuer", bemerkt Tounkara. Alle Fünf helfen aktiv im Gemeindeleben mit, als Dankeschön dafür, dass sie hier sein dürfen. Sie tragen zu einem sauberen Dorfbild bei, mähen den Rasen und befreien die Straßen und öffentlichen Plätze vom Schnee im Winter.
"L'uomo bianco ha due faccie"
In Afrika, meint Ibrahim, sei dies normal. Die Menschen dort seien füreinander da und helfen sich gegenseitig. Selbst wenn es nur noch wenig zu essen gibt, teilt jeder das Bisschen was er hat. "Die Medien verschweigen sehr viel, wie es wirklich in Afrika aussieht. Weiße rücken in ihr Land ein, unter der Ausrede den Krieg zu beenden. Doch eigentlich wollen sie an Afrikas Rohstoffe herankommen. Und was sehen wir im Fernsehen? Ausländer, die zu uns kommen, Sozialgeld einheimsen und sich als Schmarotzer, arbeitslos wohlgemerkt, durchs Leben schlängeln. Das ist nicht richtig", meint Benjamin Lechner ein ortsansässiger Aktivist. "L'uomo bianco ha due faccie.", stimmt Ismael zu, "Europäer machen in unseren Ländern Urlaub und sind nett zu den Einheimischen, aber nur solange sie dort sind. Denn wenn Afrikaner plötzlich nach Europa kommen, wäre es das Beste, man könnte sie einfach wieder zurückschicken." Wieder ist spürbar, dass diese morbide Ablehnung gegen ihre Kultur und auch gegen ihre Religion sie trifft, auch wenn sie es gut überspielen können, "Uns wird erzählt, dass es hier viel besser ist. Dass wir reich werden können, doch in Wirklichkeit werden wir nicht mal akzeptiert. Ich finde es lustig, dass die Europäer extra nach Afrika fahren, um braun zu werden, und dann werden wir genau wegen dieser dunklen Hautfarbe nicht gemocht."
Zum Abschluss bedanken sie sich, mit dem Versprechen die Wärmeflaschen gleich in der folgenden Nacht auszuprobieren und mit dem Satz "Die Tür ist für euch immer offen." Wir wissen, dass wir wiederkommen werden, denn es ist wichtig, dass sie wissen, dass es auch in Südtirol Menschen gibt, denen ihr Schicksal nicht egal ist. Nach so einem Nachmittag beginnt man nachzudenken, was in einer Welt, wie der unseren, schief läuft, dass es Menschen gibt, denen es so schlecht geht.
Sie verstehen - wir nicht
Noch am selben Abend werden wir erneut überrascht, als wir aufgrund unseres Projektes 'Make the homeless smile' in Brixen im Maria Hubert Haus, einer Einrichtung der Caritas, einkehren, um den dort speisenden Bedürftigen etwas Kleidung anzubieten, und wir ins Gespräch mit einem jungen Marokkaner kommen. "Wir sind alle gleich, und wir müssen uns gegenseitig helfen. Es ist egal, welcher Religion man angehört, oder welche Sprache man spricht. Wir sind alle Brüder dieser Erde.", spricht Hicham das aus, was wir uns denken. Wir sind betroffen, eine zentrale Frage stellt sich uns: Wie ist es möglich, dass Menschen aus verschiedenen Teilen Afrikas alle dieselbe Äußerung machen und wir 'Weißen' scheinen diese Aussage nicht zu verstehen? Nämlich, dass wir in einer Welt nicht überleben können, ohne den gemeinsamen Willen etwas zu erreichen, unabhängig von der Farbe, der Abstammung, des Geschlechts oder der Religion. Die kulturellen Abweichungen machen uns nicht verschieden, sondern einzigartig. Vor dem Gesetz, Gott und der Welt sind wir alle gleich. Die Unterschiede sollten uns nicht davon abbringen, menschlich zu sei. Und schon gar nicht sollten wir uns abbringen lassen, an Menschen mit ethisch anderer Herkunft vorüberzugehen und ihnen ein Lächeln zu schenken.
Michaela Golser ist Maturantin am Pädagogischen Gymnasium Bruneck