Politik | Kommentar

Wunsch an den Konventsmann

Nichts erscheint mir mit Blick auf den Autonomiekonvent dringender und gerechter, als im neuen Statut die Existenz der zweisprachigen Südtiroler zur Kenntnis zu nehmen.

Die Meldung, dass ein Konvent den Weg für ein neues Autonomiestatut bereiten und darin auch einfache Bürger ein Mitspracherecht erhalten sollen, hat mich vor einiger Zeit nach vielen Jahren der inneren Emigration vom landespolitischen Geschehen hinter meinem sehr privaten Ofen hervorgelockt. Zum ersten Mal seit langem verspürte ich die Motivation, im öffentlichen Raum mitzumachen. Warum? Einige Grundfeste der heutigen Südtiroler Autonomie liegen mir seit Jahrzehnten auf dem Magen. Ich bin 50 Jahre alt und habe gelernt, diese ideologisch eingefärbten und als unantastbar geltenden Regeln da, wo sie auf mein Leben Einfluss nehmen, mit einer gehörigen Portion Fatalismus hinzunehmen, obwohl sie so existentielle Bereiche wie das Wohnen und das Arbeiten berühren. Weil es in Südtirol eine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärungspflicht und den Proporz gibt und ich, seit ich volljährig bin, die Sprachgruppenerklärung verweigere, habe ich kein Recht auf Anstellung im öffentlichen Dienst und kann auch kein Wohnbaudarlehen beantragen,

Der Weidegrund, auf dem die beiden heiligen Kühe Proporz und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärungspflicht nicht nur Alexander Langer überlebt, sondern auch die politischen, ideologischen und juridischen Schlachtversuche vieler seiner Mitstreiter und Gesinnungsgenossen unbeschadet überstanden haben, ist die Blindheit der Politik für ein Phänomen, das unübersehbarer nicht sein könnte: die Existenz von Menschen, die mit und in zwei Sprachen aufwachsen und leben; ihre Kinderlieder und Zählreime, ihre Lektüren, ihre Verwandtschaftbande, ihre Vorstellungswelt, ihr Humor schöpfen aus und bewegen sich in zwei Sprach- und Kulturkreisen, und zwar auf weitaus intimere Weise, als es  touristisch wie kommerziell bis zum Überdruss ausgeschöpfte Clichés à la “Spaghetti und Knödel” auszudrücken vermögen.

Diese Menschengruppe wächst von Tag zu Tag. Sie ist in puncto Humankapital Südtirols ureigenstes Produkt. Vor Jahren hat die Wochenzeitung “FF” die in meinen Augen völlig müßige Frage gestellt, was es bedeutet, ein echter Südtiroler zu sein. Wenn es überhaupt eine sinnvolle Antwort auf diese Frage gibt, so lautet sie: Am ehesten drücken Südtirols Zweisprachige das Besondere an diesem Land aus.

Nun bin ich keineswegs der Meinung, dass zweisprachige Südtiroler allein aufgrund der Tatsache, dass sie in ein zweisprachiges Leben hinein geboren wurden, einen Orden verdienen. Aber sie wahrnehmen, ihre Existenz zur Kenntnis nehmen, dazu sollte sich die Politik langsam entschließen. Seit Jahrzehnten wird diese Menschengruppe systematisch unter den autonomiepolitischen Teppich gekehrt. Alle wissen, dass es sie gibt, aber sie haben keinen offiziellen Status wie die “Deutschen”, die “Italiener” und die “Ladiner”. Wie viele es sind, weiß ich nicht, denn auf dem Papier gibt es sie nicht, und deshalb werden sie auch nicht gezählt. Das offizielle Südtirol sollte das Recht dieser Menschen anerkennen, ihre eigene Identität zu haben, die sich nicht in eines der drei Kästchen einordnen lässt. Die eben nicht eins ist, sondern zwei.

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Martin B. Mo., 18.01.2016 - 21:08

Antwort auf von pérvasion

Zahlen/Entwicklungen wären interessant. Sind es bereits mehr als Ladiner die sich explizit deutsch/italienisch-sprachig erklären möchten? Gleichzeitig auch die Frage: Gibt es auch Personen die sich gern ladinisch/deutsch-sprachig oder ladinisch/italienisch-sprachig erklären möchten oder bevorzugen solche ladinisch um diese Minderheit zu stärken?

Mo., 18.01.2016 - 21:08 Permalink
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Martin B. Fr., 22.01.2016 - 15:35

Antwort auf von Martin B.

Ok, jetzt doch ein Schnellscan. Was ich gefunden habe:
"Dies weist darauf hin, dass es in den vergangenen Jahrzehnten seltener zu gemischtsprachigen Ehen kam. Das Phänomen breitet sich nicht weiter aus; der Anteil in der jüngsten Altersklasse ist nicht signifikant höher als jener der Erwachsenen. "
"Deutsch 258.900
Italienisch 99.200
Ladinisch 16.900
Gemischtsprachig 15.900
Andere 31.200"
Also sind Gemischtsprachige an 5. und letzter Stelle der erhobenen Sprachzuordnungen.

Fr., 22.01.2016 - 15:35 Permalink
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Brigitte Foppa Mo., 18.01.2016 - 10:44

Das Anmeldeformular zum Forum der 100 ist noch nicht besonders auf Mehr- oder Anderssprachige ausgerichtet. https://www.konvent.bz.it/sites/default/files/atoms/files/registrierung…
Da war man glatt bei der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung schon weiter, wo wir uns zumindest "anders" erklären konnten. Die Frage ist auch die, ob man gelost wird, wenn man etwa 2 "Sprachen" ankreuzt? Und: Wollte man nicht auch die in den letzten Jahren neu dazugekommenen Sprachgruppen mit im Konvent haben?

Mo., 18.01.2016 - 10:44 Permalink
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Brigitte Foppa Mo., 18.01.2016 - 15:13

Antwort auf von pérvasion

Nein, ich hätte nur gewünscht, dass hier eine offenere Herangehensweise langsam möglich würde - also zumindest noch etwa das Kriterium "andere oder mehrere Sprachen", damit halt die sprachliche Realität wenigstens ansatzweise wiedergegeben würde. Das wäre schon das Minimum. Wie will man sonst garantieren, dass Migrantinnen vertreten sind?

Mo., 18.01.2016 - 15:13 Permalink
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pérvasion Mo., 18.01.2016 - 15:20

Antwort auf von Brigitte Foppa

Jede Migrantin, jeder Migrant kann sich zum Zwecke des Konvents einer Sprachgruppe »zurodnen«. Das ist die Logik der »ethnischen Autonomie« (die ich, wie du weißt, überwinden möchte). Wenn es jetzt — Hypothese — massenweise Einschreibungen mit mehreren Sprachen oder in der Kategorie »andere« geben würde: Wie soll man dies im geschichteten Losverfahren berücksichtigen? Aufgrund der Volkszählung wissen wir, wie groß die Anteile von »Deutschen«, »Italienern« und »Ladinern« sind, demzufolge kann man darauf achten, dass dieses Verhältnis mehr oder minder auch im »Forum der 100« widergespiegelt wird. Ich wüsste nicht, wie man hingegen andere Kategorien berücksichtigen sollte, deren Konsistenz nicht erhoben wurde bzw. deren Konsistenz laut Sprachbarometer in Richtung statistische Irrelevanz tendiert. Bitte nicht missverstehen: Ich verteidige nicht das Festhalten an den drei »starren« Sprachgruppen, meinetwegen könnte man das beim Losverfahren auch ganz vernachlässigen, aber »andere oder mehrere Sprachen« nachträglich und nur zum Zwecke des Konvents einzuführen halte ich für kaum umsetzbar.

Mo., 18.01.2016 - 15:20 Permalink
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gorgias Mo., 18.01.2016 - 18:11

Antwort auf von Brigitte Foppa

Würde man auf die Quoten nach Sprachen verzichten müsste man auch auf die Quoten nach Geschlecht verzichten. Frau Foppa will das aber nicht, somit bevorzugt Sie eine Verfeinerung des Proporzes anstatt dafür zu plädieren diesen zu überwinden.
Das feministische Quotendenken kann seine Opfer nicht verbergen.

Mo., 18.01.2016 - 18:11 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Mo., 18.01.2016 - 11:08

Sie haben vollkommen Recht Frau Katia De Gennaro , dass es die Anerkennung der Gruppe der Zweisprachigen braucht. Ebenso braucht es auch noch die dritte Schiene im Schulwesen, eben die Zweisprachige Schule, die jeder frei wählen kann, aber wo Eltern und Kind nicht schon beim Einschulen - oder auch schon im Kindergarten) entscheiden müssen, ob das Kind die Schiene der Vater- oder Muttersprache wählt.
http://www.salto.bz/de/article/06042013/zweisprachige-schule-und-autono…

Mo., 18.01.2016 - 11:08 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mo., 18.01.2016 - 11:44

Politische Repräsentanz gibt es ja für die "Gemischtsprachigen" ja schon durch Elena Artioli. Ob das gut ist, ist eine andere Frage.
Scherz bei Seite, ich verstehe nicht so richtig was man im Artikel sagen will: fordert man die Schaffung und Erkennung einer neuen Sprachgruppe, oder will man den Proporz überhaupt abschaffen?

Mo., 18.01.2016 - 11:44 Permalink
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kurt duschek Mo., 18.01.2016 - 12:26

Einverstanden mit dem Artikel von Katia De Gennaro! Unabhängig von den Hinweisen in diesem Artikel, wünsche ich mir grundsätzlich das Recht, daß Familien, egal welcher Muttersprache, eine zweisprachige, wenn möglich dreisprachige Schule besuchen können. Muttersprache ist im Kopf und im Herzen, mit Muttersprache wird "politischer Mißbrauch" betrieben. Die Mehrsprachigkeit ist Zukunft und ein unglaublicher Reichtum für die Südtiroler Jugend!

Mo., 18.01.2016 - 12:26 Permalink