Gesellschaft | Europa und Wir

Heinrich Gasser: "Mehr Platz für die jungen Kreativen"

Nachdenken über Europa am 20. Mai an der Uni Brixen: Eine Gruppe von Südtiroler Persönlichkeiten liest aus dem 2013 erschienenen Buch "Denkstücke", Europa 2013-2030. Der Bozner Unternehmer und Kunstsammler Heinrich Gasser ist einer von ihnen.

Herr Gasser, der Band "Denkstücke in die Zukunft" wurde von 16 AutorInnen verfasst, wie haben sich diese Personen gefunden?

Heinrich Gasser: Wir sind eine Gruppe von Leuten aus verschiedensten Bereichen, darunter etwa Roger Pycha und Bruno Klammer die mit mir als Herausgeber aufscheinen, aber auch Hans Karl Peterlini, Markus Warasin, Sylvia Hofer oder Konrad Bergmeister. Wir sind niemandem verpflichtet, außer unserem eigenen Weltbild, und das heißt Mitwirken und Mitgestalten. Wir wollen uns Gedanken machen über die Zukunft unseres Landes, aber vor allem darüber, wo Europa bis 2030 stehen sollte, was wollen wir unseren Kindern und Enkelkindern mitgeben. 

Sind die Denkstücke also ein Ratgeber aus Südtirol für die Zukunft Europas?

Ein Ratgeber vielleicht, aber doch eher eine Sammlung an Texten zu ganz verschiedenen Themen, da kommt die Forschung in Südtirol zu Wort, ein Blick auf die Rechtssicherheit und den Rechtswandel in der EU, die Ästhetik des Computerzeitalters oder ein Inventar des Möglichen. Ich selbst habe mir Gedanken zum Generationenvertrag gemacht. Dieser leidet sehr stark darunter, dass die ältere Generation ihre Macht und ihre Privilegien einfach nicht loslassen kann, und dass die Jungen keine Chance haben, ihre Leistungen unter Beweis zu stellen.

Waren Sie deshalb auch auf dem Landtagsplatz demonstrieren, als es um den Rentenskandal ging?

Ja, ich war dort mit einem Plakat, das einen Baum zeigt, auf dem eine ganze Horde Affen sitzen. Oben die Alten und Satten, und von unten versuchen die kleinen Affen nach oben zu kommen. Das ist für mich ein Symbol für das heutige Europa. Der Affenbaum als Paradigma für die zyklischen Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wer einmal in der Krone sitzt, will nicht mehr herunter. Wenn die Gesellschaft nicht imstande ist, der Jugend Arbeit zu geben, dann haben wir alles falsch gemacht. Es gibt aber viele junge Leute, die etwas erreichen wollen und mitgestalten wollen, ich nenne sie die "Jungen Kreativen", denen müssen wir Platz machen.

Wer sind diese "Jungen Kreativen"?

Ich habe vor mehr als 10 Jahren meine geschäftlichen Aktivitäten nach Berlin verlegt und verfolge seither recht aktiv die Veränderungen in der deutschen Haupstadt. Die jungen Kreativen die ich meine, haben dort ganze Stadtteile verändert und zum Blühen gebracht. Das sind kulturell und gesellschaftlich engagierte, gut ausgebildete Personen, die ihr Leben und Arbeiten sehr realistisch betrachten und gestalten. Sie unterscheiden sich von den rückwärts gewandten Traditionalisten oder den Materialisten, denen es nur um Renditen und Besitz geht. 

Sind das die Hoffnungsträger für eine positive Entwicklung in Europa?

Ja, meiner Ansicht nach sind das jene Leute, die Europa weiterbringen werden. Die dafür sorgen, dass der Affenbaum ab und zu geschüttelt wird, um jene aus der Krone zu verjagen, die dort nur mehr ihren Platz verteidigen und nichts mehr für die Gesellschaft tun. In meinem Essay über den Generationenvertrag habe ich 10 Klettergriffe für diese jungen Kreativen formuliert, wie sie es anstellen können, nach oben zu kommen. Bildung etwa ist wichtig, Sprachen lernen, oder der frühe Kontakt mit der Arbeit, aber auch eine Neubewertung von Kunst und Kultur in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Denn Künstler und Kreative waren immer schon die Seismographen der Gesellschaft; Europa braucht neue Ideen, um mit der globalisierten Welt Schritt halten zu können. 

Wie soll das Europa im Jahr 2030 also aussehen, um mithalten zu können?

Wir haben die große Chance, dieses Europa noch zu gestalten; eine Veränderung zum Positiven kann meiner Meinung nach eine Vergrößerung sein, eine Ausdehnung und Integration von, warum nicht, Russland und Israel. Ich glaube, dass es in den nächsten 20 Jahren einen Schulterschluss mit Israel geben wird, weil Amerika seine schützende Hand nicht mehr so stark erheben kann. Amerika muss sich unter erschwerten Bedingungen die Weltherrschaft sichern bzw. mit China teilen, und Europa kann nur stark bleiben durch eine Erweiterung und Integration. Die Nationalstaaten müssen zurückgestuft werden und wir brauchen eine stärkere europäische Regierung, mit einem Außenminister usw. Europa muss auf seine Stärken setzen, wie zum Beispiel das Sozialwesen. 

Treffen sich die Denkstücke-Autoren weiterhin?

Wir sind eine Bewegung und die verläuft in Wellen, wir haben jetzt als nächstes einen Vorstellungstermin unseres Buches am 20. Mai an der Bildungsfakultät der Uni in Brixen. Dort werden wir aus dem Buch vorlesen und anschließend gibt es eine Diskussion, die von Roger Pycha geleitet wird.