Berufliche Belastung in der Europaregion
Zum diesem Ergebnis kam die neueste Studie des AFI | Arbeitsförderungsinstituts. Der Forscher und Arbeitspsychologe Tobias Hölbling verrät, wo ein klares Nord-Süd-Gefälle zu erkennen ist und bietet verschiedene Sichtweisen, woran das liegen könnte.
salto.bz: In der kürzlich präsentierten Studie geht es um das Thema „Körperlich und psychisch belastende Arbeitsbedingungen in der Europaregion“. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels ist es umso wichtiger für Unternehmen für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen, um Mitarbeiter*innen zu gewinnen und zu halten. An welchen Kriterien sollten sich Unternehmer*innen hier orientieren?
Tobias Höbling: Hacker und Richter haben bereits 1980 die vier Leitlinien menschengerechter Arbeitsgestaltung festgelegt. Dazu gehören drei Kriterien – ich nenne sie gerne Minus-Kriterien - die gegeben sein müssen und andernfalls zu Unzufriedenheit führen: Schädigungslosigkeit, Ausführbarkeit und Beeinträchtigungsfreiheit. Das vierte Kriterium, die Persönlichkeitsförderlichkeit, ist hingegen als Plus-Kriterium zu sehen. Sie bedeutet, dass ein Mensch seine Kompetenzen anwenden, Wissen und Fähigkeiten dazugewinnen und privat wie beruflich an seiner Tätigkeit wachsen kann. Diese letzte Komponente wird immer wichtiger werden.
Warum wird die Persönlichkeitsförderlichkeit immer wichtiger?
Aufgrund der Alterung der Erwerbsbevölkerung. Es kommen immer weniger Junge nach und gerade diese möchten sich in ihrer Arbeit voll und ganz verwirklichen. Man könnte sie augenzwinkernd auch die „Generation Greta“ nennen. Ihnen ist beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit auf allen Ebenen sehr wichtig. Sie wollen sich mit dem Unternehmen, in dem sie arbeiten und mit dessen Werten identifizieren.
Die Studie beschäftigt sich vordergründig mit den ersten drei Kriterien. Welche Unterschiede wurden hier zwischen den Regionen festgestellt?
Es ist ein klares Nord-Süd-Gefälle in der Europaregion bei körperlich belastenden Arbeitsbedingungen erkennbar. Sie liegen in Tirol mit 26 Punkten am höchsten, gefolgt von Südtirol mit 23 Punkten und dem Trentino mit 19 Punkten.
Wie sieht es bei den psychisch belastenden Arbeitsbedingungen aus?
Hier ist es etwas weniger eindeutig. Dennoch bildet das Trentino wieder das positive Schlusslicht. Mit 34 Punkten wird hier die psychische Belastung im Beruf am geringsten eingeschätzt. Tirol und Südtirol liegen mit 38 Punkten gleichauf.
Nun stellt sich die Frage, ob die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Regionen effektiv unterschiedlich belastend sind, oder – aufgrund kultureller Unterschiede – vielleicht einfach unterschiedlich belastend wahrgenommen werden. Zu welcher Conclusio kam man im Zuge der Studie?
Hierauf gibt es keine eindeutige Antwort. Fakt ist, bei den körperlichen Arbeitsbedingungen gibt es ein klares Gefälle. Es scheint als wiesen Nord- und Südtirol weitaus belastendere Arbeitsbedingungen auf, als vergleichsweise das Trentino. Eine Vertreterin aus dem Trentino argumentierte hier, dass bereits vor 15 bis 20 Jahren vermehrt auf Arbeitsschutz und das Einhalten verschiedener Normwerte, zum Beispiel bei Lärmbelastung am Arbeitsplatz oder ähnliches, geachtet wurde. Demnach würde man nun die Früchte für diese Bemühungen ernten. Das kann durchaus der Fall sein. Es könnte aber auch ein Mentalitätsunterschied zugrunde liegen, also als wie „normal“ ich Situationen und Umwelteinflüsse wahrnehme. Wenn man es gewohnt ist, dass es am Arbeitsplatz lauter ist, dann ist das für einen Menschen irgendwann total normal, wird nicht sonderlich als belastend oder negativ empfunden und also im Fragebogen auch nicht beanstandet. Es gibt also keine eindeutige Erklärung hierfür, lediglich mehrere Sichtweisen.
In welchen Bereichen ist regionsübergreifend die Belastung am größten?
Was die Doppelbelastung, also körperlich und psychisch, angeht, zeigt die Studie, dass es Angestellte im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in der Hotellerie und Gastronomie am härtesten trifft. Psychisch belastende Arbeitsbedingungen sind bei Führungskräften und akademischen Berufen am stärksten ausgeprägt, während Handwerks- und verwandte Berufe sowie Dienstleistungsberufe und Verkäufer die Arbeitsbedingungen als körperlich belastend einstufen.
2016 wurde zu genau diesem Thema bereits eine Untersuchung durchgeführt, nun hat man sich geografisch ausgedehnt und das Thema in der Europaregion unter die Lupe genommen. Warum eigentlich?
Das Thema stieß medial auf einen großen Widerhall, darum wollten wir die Untersuchung ausweiten, um Vergleiche anstellen zu können. Wir sehen es als unsere Aufgabe, Bewusstsein zu schaffen und die Öffentlichkeit basierend auf einem wissenschaftlichen Fundament und erhobenen Daten zu informieren, sodass sie sich eine Meinung bilden kann.
Folgen hierzu noch weitere Projekte?
Ja, die Euregio-Studie zum Thema „Körperliche und psychisch belastende Arbeitsbedingungen in der Europaregion“ ist nur die erste einer Serie geplanter Publikationen, die im Halbjahresrhythmus veröffentlicht werden. Die nächste Studie wird im Oktober von der Arbeiterkammer Tirol herausgegeben und das Thema „Arbeitszeit“ behandeln. Danach bringt die Agenzia del Lavoro in Trient eine Publikation zum Thema „Life-Domain-Balance“ (früher Vereinbarkeit Familie-Beruf) heraus. Es bleibt also spannend.