Politik | Tourismus

Wundersame Bettenvermehrung

Südtirol ist um 5.000 Gästebetten reicher geworden – innerhalb eines halben Jahres. Die Debatte um Bettenstopp und Bettenzählung wird ad absurdum geführt.
Bett
Foto: Jp Valery on Unsplash

Erst vermutete man einen Fehler. Deshalb wurden die Daten noch einmal überprüft. Am Ende aber wurde das bestätigt, was die Experten am Landesstatistikinstitut zunächst stutzig gemacht hatte: Die Anzahl der Gästebetten in Südtirol ist um 5.000 angestiegen. Und zwar innerhalb eines halben Jahres. Ein enormer Sprung nach oben und eine brisante Zahl – anhand der sich zeigt, wie die aktuelle Debatte um einen Bettenstopp und eine Erhebung der Beherbergungskapazitäten im Land ad absurdum geführt wird.

 

Nicht gastgewerblich, nicht schlecht

 

234.420 und damit so viele Betten wie noch nie in den vergangenen 32 Jahren gibt es in Südtirols Beherbergungsbetrieben am 1. Mai 2022 insgesamt. Das geht aus den Daten über die Beherbergungskapazitäten hervor, die das Landesstatistikinstitut ASTAT halbjährlich – zu den Stichtagen 1. Mai und 1. November – erhebt. 234.420, das sind 5.095 Betten mehr als im Mai 2021 und immer noch 5.045 mehr als zum 1. November 2021. Dass dieser Zuwachs innerhalb von nur sechs Monaten alles andere als “normal” ist, zeigt ein kurzer Blick in die Vergangenheit. So sind im Fünfjahreszeitraum 2014 bis 2019 insgesamt 6.326 Betten dazu gekommen. Zwischen den Jahren 2000 und 2005 waren es gar nur 3.182.

 

 

Den größten Betten-Zuwachs von Mai 2021 bis Mai 2022 gab es in den nicht gastgewerblichen Betrieben. Darunter fallen etwa Privatquartiere wie Ferienwohnungen und Zimmervermietungen genauso wie Campingplätze, Jugendherbergen und Urlaub auf dem Bauernhof. Um ganze 4.176 Betten ist die Kapazität in diesen Beherbergungsbetrieben gewachsen, von 77.401 auf 81.577. In den gastgewerblichen Betrieben – dazu zählen unter anderem Hotels, Pensionen, Garnis und Residences – ist die Anzahl der Betten um 919 gestiegen, von 151.924 auf 152.843. Diese Entwicklung entspricht dem langjährigen Trend, bestätigt Irene Mahlknecht, die sich beim ASTAT um den Bereich Tourismus kümmert. Auffällig hingegen sei der massive Bettenzuwachs im nichtgewerblichen Sektor – besonders bei den Ferienwohnungen, wo es 1.247 Betten mehr gibt. Und über 1.500 Betten sind in der Kategorie “Sonstiges” dazugekommen – “das sind Betriebe, die zwar von der Gemeinde eine Lizenz erhalten haben, aber noch in keine Kategorie eingestuft worden sind – vielleicht auch, weil es beim Bürokratischen etwas stockt, bis die Einstufung mitgeteilt wird”, vermutet Mahlknecht.

Damit spricht die ASTAT-Mitarbeiterin etwas an, was im Streit um den Bettenstopp und die Bettenzählung, die dafür gemacht werden soll, bisher niemanden zu interessieren scheint: Wie ermittelt das ASTAT die Daten zur Bettenkapazität? Und macht eine neue Erhebung tatsächlich Sinn?

 

Angezählt

 

Anfang 2021 hat es begonnen, Anfang Juli 2022 erreichte das Kräftemessen in der Frage “Bettenstopp – ja/nein, für wen und wann?” erstmals den Landtag. Unter der Ägide der Bauernvertreter strich die II. Gesetzgebungskommission den Absatz aus dem Artikel im Omnibus-Gesetz, mit dem eine Bettenobergrenze explizit auch für Urlaub auf dem Bauernhof (UaB), Privatquartiere und über Airbnb vermietete Unterkünfte kommen soll. Zugleich wurde der Absatz, der eine Erhebung der Bettenanzahl vorsieht, um die Bettenobergrenze festzulegen, so abgeändert, dass diese durchgeführt werden soll, bevor die Obergrenze definiert wird. Bei einem Sonderlandtag Ende Juli wird das Gesetz im Landtag behandelt. Tourismuslandesrat Arnold Schuler will den Handstreich der Bauern nicht auf sich sitzen lassen und seinen zerfledderten Bettenstopp-Artikel wiederbeleben. Ob auch seine, die SVP-Fraktion dazu bereit ist, wird sich zeigen – Teile der Opposition hat Schuler jedenfalls auf seiner Seite. Es liegt bereits ein Ersetzungsantrag vor, mit dem das Team K den versenkten Bettenstopp für UaB & Co. wieder einführen will. Zugleich soll die Erhebung “sämtliche Gästebetten” und nicht nur die in gastgewerblichen Betrieben umfassen. Dabei ist im aktuellen, so wie von der II. Gesetzgebungskommission genehmigten, Gesetzestext bereits davon die Rede, “sämtliche Gästebetten sowie die derzeitige reale Beherbergungskapazität der Beherbergungsbetriebe im Lande” zu erheben. Die Verwirrung perfekt – und überflüssig – könnte nun der Hinweis aus dem ASTAT machen, dass dort längst alle Betten-Daten vorliegen. Zumindest die offiziellen.

 

 

“Es gibt bei uns zwei verschiedene Systeme”, erläutert Irene Mahlknecht. “Die Zahlen zu den touristischen Ankünften und Nächtigungen werden mit einer eigenen Online-Datenbank erhoben, in die alle – derzeit rund 11.000 – Beherbergungsbetriebe regelmäßig die entsprechenden Daten eingeben. Diese publizieren wir ein Mal im Monat.” Anders verhält es sich mit den Zahlen zu den Beherbergungskapazitäten: “Die Zahlen zu den Betten, Zimmern und Bädern extrahieren wir zwei Mal im Jahr – zum 1. Mai und zum 1. November – aus einer eigenen Datenbank der Gemeinden, in der sämtliche Lizenzen erfasst werden, die die Gemeinden für Beherbergungsbetriebe ausstellen.” In der ASTAT-Statistik landen also alle Betten, die offiziell in der Betriebslizenz enthalten sind – vom 5-Sterne- bis zum UaB-Haus. “Nicht erfasst werden Kinder- oder Zustellbetten, genauso wenig wie reine Airbnb-Vermietungen, die ja keine Lizenz benötigen”, präzisiert Mahlknecht.

 

Nichts Neues in Sicht

 

Auf die Frage, ob sie wisse, was genau und wie – etwa bei Airbnb– nun mit der Prä-Bettenstopp-Erhebung gezählt werden soll, schüttelt die Statistikerin den Kopf: “Nein, ich habe keinerlei Information.” Das ASTAT habe jedenfalls keinen Auftrag erhalten “und ich keine Ahnung, wie das vor sich gehen soll”. Die Modalitäten für die Erhebung soll laut Gesetzentwurf die Landesregierung nach Anhörung des Rates der Gemeinden festlegen. Warum nicht auf das Landesstatistikamt zurückgegriffen wird, weiß Irene Mahlknecht nicht. “Wenn jetzt gesagt wird, es gibt eine eigene Erhebung, klingt das so, als ob man uns nicht zutrauen würde, dass wir korrekte Daten liefern könnten.”

Dass die Angaben, die das ASTAT aus der Datenbank des Gemeindenverbandes zieht und seit Jahren mit der Öffentlichkeit teilt, nicht 1:1 der Realität entsprechen, weiß Mahlknecht: “Bei keiner Erhebung werden alle alles korrekt an uns übermitteln. Jetzt hat ja auch jeder Angst, dass man ihm in die Karten schauen könnte. Aber das sind die offiziellen Daten, wie wir sie vom Gemeindenverband erhalten und die müssen wir so hinnehmen.” Wie man künftig an die “reale Berherbergungskapazität” gelangen will, ist ihr bisher schleierhaft: Sollte für diese Erhebung wieder bei den Gemeinden angedockt werden – “was ja sein muss, schließlich erfassen sie alle relevanten Daten” –, “dann glaube ich nicht, dass da etwas Neues herauskommen wird”, gesteht Mahlknecht. “Aber bitte, ich bin ganz offen für neue, korrekte Sachen und gespannt, wie das gemacht werden soll.”

Einfach so zur Kenntnis nehmen, das kann die Expertin die jüngsten Daten zu den Betten dann doch nicht. Und damit ist sie – wenn auch wegen unterschiedlicher Motive – nicht alleine.

 

Richtung 250.000(+) Betten

 

Als sie den auffälligen Bettenzuwachs bemerkt hat, sei sie stutzig geworden und habe sie nachgehakt, nickt Mahlknecht. Unter anderem in Meran. Während Kastelruth die Gemeinde mit der absolut höchsten Bettenzahl ist (9.198, +273), sind in der Passerstadt von Mai 2021 bis Mai 2022 ganze 1.066 neue Betten gemeldet worden – über ein Fünftel des landesweiten Zuwachses. Im Lizenzamt Meran habe man die Korrektheit der Zahlen bestätigt: “Ich habe die Auskunft bekommen, dass tatsächlich fast täglich eine Ferienwohnung dazu kommt.” Über die Gründe kann sie vorerst nur mutmaßen: “Von Mai bis November 2021 sind extrem wenige Betten dazu gekommen, und wenn Lizenzen, die vorigen Sommer liegen geblieben sind, erst jetzt nachgetragen wurden, kann es schon sein, dass es deshalb jetzt umso mehr Meldungen gibt. Vielleicht haben viele die Tätigkeit während der Covid-Zeit auch ruhen lassen und erst jetzt, wo es wieder läuft, wieder aufgenommen.”

 

 

Zu etwas anderen, etwas weniger technischen Schlüssen ist Hans Heiss gekommen. Der ehemalige Grüne Landtagsabgeordnete verfolgt die Entwicklungen in der Tourismuspolitik mit Argusaugen – und hat für sich dreierlei mögliche Erklärungen für die wundersame Bettenvermehrung gefunden: dass “bisher verheimlichte Betten-Bestände” gemeldet wurden – “Unternehmer haben den Gemeinden Betten, die bereits in ihren Betrieben bestehen, aber bisher nicht angegeben wurden, nachgemeldet, um auf den nahenden ‘Stopp’ zeitgerecht vorbereitet zu sein”; dass bestehende Betriebe erweitert wurden – “Unternehmer haben ihre bestehenden Betriebe aufgrund eines Projekts und gemeindlicher Genehmigungen erweitert und neue Betten realisiert”; dass Baurechte genutzt wurden – “Unternehmer nehmen genehmigte Baurechte für neue Betriebe gemäß der in vielen Gemeinden genehmigten Tourismusentwicklungskonzepte und der daraus resultierenden Ausweisungen von Zonen der Gemeinden in Anspruch”. Von diesen in den vergangenen Jahren genehmigten, aber noch nicht realisierten Betten gibt es um die 10.000. Und diese bleiben vom Bettenstopp unberührt. Genauso wie ein Kontigent von weiteren 7 bis 8.000 Betten, die Landesrat Schuler für künftige Erweiterungen als “Vorschuss” zur Verfügung stellen will.

“Fakt ist: Die plötzlich auftauchenden Betten machen deutlich, wie viel verborgene Kapazitäten in Südtirol bestehen und dass die Schwelle des Zumutbaren und Verträglichen längst überschritten ist”, sagt Hans Heiss. Die Zahlen sprechen für ihn eine klare Sprache: “Nachdem die seit 1997 bestehende Obergrenze von 229.088 Betten im Gesetz ‘Raum und Landschaft’ 2018 gestrichen wurde und im letzten Jahr auch numerisch gefallen ist (2021 gab es im Jahresmittel 229.224 Betten, Anm.), halten wir jetzt bereits nahe 235.000 Betten, weitere 10.000 bis 15.000 werden folgen. Das sei das eigentlich Absurde an der Sache, so Heiss: “Dass alarmistisch ein ‘Bettenstopp’ befürchtet wird, während das genaue Gegenteil passiert: eine kaum gehemmte Erweiterung.”

Bild
Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Fr., 15.07.2022 - 14:20

Zu bedenken ist in dieser Hinsicht, dass auch die Infrastrukturen (Straßen, Wasser, Abwasser, etc.) mit einkalkuliert werden müssen. Unbegrenztes Wachstum ist nicht möglich, außer bei einem Tumor; wie der endet ist allen bekannt.

Fr., 15.07.2022 - 14:20 Permalink