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„Die Vision hat man geschätzt“

Am neuen 5-Sterne-Familienhotel in Meransen scheiden sich derzeit die Geister. Was Architekt Ralf Dejaco über die vorgebrachte Kritik und über gute Architektur sagt.
Familiamus.jpg
Foto: Othmar Seehauser
 
Salto.bz: Herr Dejaco, war die eigenwillige Form für den Hotel-Komplex Ihre Idee oder kam der Vorschlag vom Bauherren?
 
Ralf Dejaco: Der Entwurf kommt von mir und meinem Büro.
 
Ist es das einzige bzw. das erste mit dieser Formsprache in Südtirol?
 
Ich glaube schon. Der Kommission für Baukultur, die den Plan geprüft hat, präsentierten wir den Bau als organische Form, die sich am typischen Südtiroler Landschaftsbild mit seinen Bergen und Moränen orientiert. Es gleicht einer natürlichen Erhebung. Die Kommissionsmitglieder waren mehrheitlich der Meinung, dass es sich um ein tolles Projekt handelt und sie hinter diesem Projekt stehen können. Die Kommission für Baukultur hat in ihrem Gutachten zwar hineingeschrieben, dass es besser wäre, wenn der Bau kleiner wäre bzw. auf ein, zwei Stockwerke verzichtet werden könnte, die Gemeinde-Baukommission hat dem aber zugestimmt.
 
 
 
Die Kommissionen wussten im Gegensatz zu den Kritikern Ihre Vision also sehr wohl zu schätzen?
 
Ja, die Vision hat man geschätzt.
 
Wie erklären Sie sich die Kritik?
 
Meiner Meinung nach eine zu große Aufregung! Wahrscheinlich müssen die Journalisten das Sommerloch füllen. Weiters spielt sicher der vor Kurzem genehmigte Bettenstopp eine Rolle. Da kommt dieses Projekt mit den 140 Betten und die Kritik daran gerade recht, um zu demonstrieren, dass mit solchen „großen“ Projekten zukünftig Schluss sein soll. Wobei: Es sollte klar sein, dass ein 140-Betten-Komplex nicht „klein“ sein kann. Was derzeit an Kritik und Vorwürfen kursiert, ist allerdings in dieser Form nicht in Ordnung.
 
Woran stoßen sich die Kritiker?
 
Mir wird vorgeworfen, dass ich das Dorfbild kaputt machen würde und der Bau viel zu groß ist. Manche stoßen sich auch daran, dass die Bauherren nicht aus Meransen stammen. Möglicherweise spielen auch andere Befindlichkeiten eine gewisse Rolle.
Es gibt aber nicht nur Kritik, sondern ich bekomme auch viel Lob zu hören – dafür, dass ich etwas Besonderes gewagt habe. Die Rückmeldungen quer durch die Bevölkerung sind nicht einheitlich.
 
Mir wird vorgeworfen, dass ich das Dorfbild kaputt machen würde und der Bau viel zu groß ist.
 
Interessanterweise befinden sich unter den Kritikern auch Personen, die sich vorher sehr positiv zu einem neuen 140-Betten-Hotel geäußert haben. Das hat mich doch sehr verwundert.
 
 
 
Von verschiedenen Personen war auch die Errichtung eines Almdorfes angedacht worden …
 
Es musste eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das genehmigte Bettenkontingent auf mehrere kleine Gebäude aufgeteilt wird oder in einer großen kompakten Struktur umgesetzt wird. An diesem exponierten Hang hätte ein künstliches, aus dem Boden gestampftes Dorf nicht gerade gut ausgesehen, weshalb wir den Vorschlag gemacht haben, ein Gebäude in den Hang zu bauen, das an der Rückseite aus dem Gelände herauswächst. Die zur Verfügung stehende Fläche und den Raum haben wir damit optimal genutzt. Zudem hat aufgrund der runden, ich denke auch harmonischen Form jeder Gast die beste Aussicht ins Eisacktal, mit Blick über den Peitler-Kofel bis hinüber ins Pustertal.
 
Sie besitzen ein Ferienhaus mit direktem Ausblick auf Ihr Werk. Eine schöne Aussicht?
 
Ich ergötze mich niemals an meinen Bauten und sehe sehr häufig eher das, was schief gegangen ist, als das, was gut gelungen ist.
 
Sie kennen Meransen seit beinahe 40 Jahren. Was sagen Sie dazu, wie sich das Dorf in dieser Zeit entwickelt hat?
 
Das zu beurteilen, ist sehr schwierig. In Südtirol gibt es nämlich zwei verschiedene Siedlungsformen: die Romanische und die Bajuwarische. Während sich bei der romanischen Siedlungsform die Gebäude rund um einen Dorfkern konzentrieren und die Felder der Besitzer jeweils ringsum verstreut sind, liegen bei der bajuwarischen Siedlungsform die Gehöfte bei bzw. mitten in den Feldern. Der eigentliche Dorfkern besteht aus wenigen Häusern und die Höfe sind auf Weiler verstreut.
 
Ich finde es bedenklich, wenn touristische Hochburgen entstehen und die Einwohnerzahl in krassem Gegensatz zur Anzahl der Gästebetten steht.
 
Die Entwicklung einer Streusiedlung zu leiten und zu lenken ist extrem schwierig. In Meransen bestand der Dorfkern ebenfalls nur aus drei, vier Häusern. Sukzessive wurde westlich und oberhalb erweitert, wobei nicht versucht wurde, einen dichten Dorfkern zu verbauen, sondern jedem Hausbauer wurde sein Flecken zugestanden, sprich wir haben hier eine Teppichbebauung. Die Frage ist, ob man ein Dorfzentrum gestalten will oder weiterhin der Zersiedelung freien Lauf lässt. Weiters finde ich es bedenklich, wenn touristische Hochburgen entstehen und die Einwohnerzahl in krassem Gegensatz zur Anzahl der Gästebetten steht.
 
 
 
 
Sowohl Gemeindevertreter als auch Touristiker standen angeblich geschlossen hinter diesem Projekt.
 
Es herrschte im Grunde genommen Einvernehmen darüber. Anscheinend haben sich die Zeiten aber geändert. Gibt es ein Bauwerk mit Relevanz am Ort, wo keine Kritiker auftreten?
 
Ist es die schiere Masse an Bauten, die diesen Unmut hervorruft?
 
Die Angst vor einer metropolitanschen Entwicklung. Mit dem neuen Raumordnungsgesetz und dem Bettenstoppgesetz wurde dieser Entwicklung inzwischen wohl ein Riegel vorgeschoben.
 
Gott sei Dank oder leider?
 
Ich bin kein Befürworter von riesigen Baumassen. Aber wir werden nun einmal immer wieder damit konfrontiert. Natürlich hätte man im Falle des „Familiamus“ zwei oder drei Baukörper errichten können und jeder für sich hätte kleiner gewirkt. In der Breite wäre der Bau allerdings noch viel größer erschienen. Wenn man Riesenbauten im Hotelbereich vermeiden will, dann müssen die Betten beschränkt werden, so wie es im neuen Gesetz ja auch vorgesehen ist. Aber das zu klären, ist nicht meine Aufgabe. Wenn ich einen Auftrag erhalte, versuche ich, den Bau vernünftig in die Landschaft oder in das Umfeld einzugliedern. Das habe ich bei verschiedenen Projekten wie zum Beispiel der Aquarena und der Sparkassen-Filiale in Brixen sowie sicherlich auch beim Fußball-Stadion in Bozen oder bei den Loacker-Bauten versucht.
 
Ich bin kein Befürworter von riesigen Baumassen.
 
Meransen steht im Zentrum des viel frequentierten Ski-Gebiets Gitschberg-Jochtal und verfügt über eine Seilbahn von Mühlbach bis in unmittelbare Dorfnähe. Verlief die Entwicklung der Hotellerie und der Ausbau des Ski-Gebietes Hand in Hand?
 
Vor allem hatten viele den Eindruck, dass die Entwicklung anfänglich viel zu schnell ging. Viele kleine, aber ebenfalls notwendigen Investitionen in Infrastrukturen wie Wanderwege oder der Rodelbahn blieben damals auf der Strecke. Diese Entwicklung hat auch nicht allen gutgetan und viele haben derselben nicht standgehalten. Was die Lift-Gesellschaft betrifft, so hat sich diese in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich etabliert und mit den politischen Vertreter gute neue Wege gesucht.
 
Zeitgleich mit der Errichtung von Hotel-Anlagen?
 
Damals gab es immer noch nicht genügend Hotels und Betten. Ich bin seit ca. 25 Jahren Verwaltungsrat der Plose Seilbahn-Gesellschaft. Wir hatten das Problem, dass wir unter der Woche eine zu geringe Auslastung hatten, während an den Wochenenden die Kapazitäten aus allen Nähten platzten. Im Verhältnis zu der Größe des Ski-Gebietes waren zu wenig Hotels vorhanden. In der Zwischenzeit hat sich die Situation verbessert und wenn noch das eine oder andere Stadt- oder Dorfhotel hinzukommt, wird die Auslastung noch weiter steigen.
 
 
 
Hotels und Ski-Gebiete befeuern sich in ihrem Wachstum gegenseitig?
 
Ein Ski-Gebiet ohne Hotels wird nicht die notwendige Auslastung erreichen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Dasselbe gilt zum Teil aber auch für Hotels ohne ein dazugehörendes Ski-Gebiet.
 
Mit mehr Hotels muss aber wiederum das Ski-Gebiet besser ausgebaut werden, weil den Gästen ja etwas geboten werden muss …
 
Der Hund beißt sich bekanntlich in den Schwanz – irgendwann wird man wohl das eine oder andere bremsen müssen.
 
Ein Teufelskreis?
 
So wie überall im Leben. Es hängt alles zusammen und wenn man das Gleichgewicht finden will, dann muss man auch mal Stopp sagen können. Die Urbanistik hängt an der Politik, die Politik hängt an der Bevölkerung. Die Entwicklung scheint immer wellenartig zu verlaufen und nun wurde mit dem Bettenstopp eine starke Zäsur geschaffen. Das staatliche Steuersystem befeuert allerdings Erneuerungen, Aus- und Umbauten in sehr kurzen Perioden. Mit diesem Instrument sind die Betriebe gezwungen, auch Vergrößerungen anzustreben.
 
In Meransen, einem kleinen Bergdorf, gibt es eine Reihe von Hotels, die durch „ihre Form bestechen“ und wo auch die Frage erlaubt sein muss, weshalb eine solche Formsprache gewählt wird, wenn sich daran angrenzend ein traditioneller Bauernhof befindet.
 
In Seefeld beispielsweise befindet sich ein sehr großes Hotel mit rund neun Stockwerken. Dieses sieht aus wie ein traditionelles Tiroler Bauernhaus, nur eben um ein Vielfaches aufgeblasen. Kann das die Architektur sein, die wir wollen? Meines Erachtens nicht. Man muss versuchen, gute Architektur zu machen und darf nicht gedankenlos Stile übernehmen und vermischen. Wir kennen alle moderne Hotelbauten, in denen die Decken im gotischen, renaissance- oder anderen Stilen gestaltet wurden. Das sollte nicht sein! In einem solchen Fall wird ein guter Architekt versuchen, neue Linien zu entwickeln.
 
 
 
Was ist für Sie gute Architektur?
 
Über gute Architektur wurden Tausende Buchseiten geschrieben. Es gibt keine Definition in wenigen Worten, aber ich denke, dass man das Umfeld respektieren sollte. Der Bau sollte in sich harmonisch wirken und jedenfalls die geforderten Funktionen erfüllen. Das heißt nicht, dass man alles Alte verwerfen muss – ganz im Gegenteil: Man kann und soll Elemente übernehmen, aber keine bloße Kopien anfertigen.
 
Sehen Sie sich als Wegbereiter einer neuen Architektur?
 
Nein, es gibt sehr viel bessere Architekten in Südtirol als mich. Ich habe sehr spät begonnen, in diesem Beruf zu arbeiten. Angefangen habe ich als Geometer. Mit 27 Jahren habe ich dann gemerkt, dass ich lieber bauen wollte als mich bloß der Vermessung zu widmen. Ich habe mich an der Universität in Venedig eingeschrieben und neben dem Beruf ein Architektur-Studium absolviert. Mit 34 Jahren stand ich am Beginn meiner Laufbahn. Das war damals keine einfach Zeit, aber mit nun 78 ist man etwas gelassener geworden.
 
Voller Freude, Tatendrang und kein bisschen müde.
 
Ich möchte schon noch etwas weitermachen. Wir haben einen sehr schönen Auftragsstand und mit meinem neuen Partner Alexander Burger und meinen Mitarbeitern macht mir die Arbeit einfach Freude.

 

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Josef Fulterer Di., 16.08.2022 - 06:18

Ist 2022 angesichts der nicht mehr zu übersehenden ANZEICHEN für die KLIMA-KRISE, der Bau einer derartigen hoch- und tiefverglasten 5 Sterne-Energie-Schleuder (auch wirtschaftlicht) noch zu verantworten?

Di., 16.08.2022 - 06:18 Permalink
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M A Di., 16.08.2022 - 17:57

Wenn man sich das Dorfbild ansieht, dann wirkt es nicht nur zu groß sondern es ist ganz eindeutig zu groß.

Di., 16.08.2022 - 17:57 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 17.08.2022 - 14:04

Erinnert mich irgendwie an das Hotel Paradiso im Martell, ehemals ein sehr modernes (und in meinen Augen auch schönes) Hotel. Hoffentlich teilen sie nicht ein gemeinsames Schicksal.

Mi., 17.08.2022 - 14:04 Permalink
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Christoph Bart… Di., 23.08.2022 - 06:28

Der Mann sagt deutlich, wer die Verantwortung trägt: der Gesetzgeber sowie Gemeinden, die in allem Großen die Zukunft sehen und nolens volens erklären dürfen, als wäre es Zufall: ,Aber das Gesetz erlaubt es uns‘: „Die Urbanistik hängt an der Politik, die Politik hängt an der Bevölkerung. […] Das staatliche Steuersystem befeuert allerdings Erneuerungen, Aus- und Umbauten in sehr kurzen Perioden. Mit diesem Instrument sind die Betriebe gezwungen, auch Vergrößerungen anzustreben.“ Aber das könnte sich rächen.

Di., 23.08.2022 - 06:28 Permalink