Verborgene Sehnsüchte entschlüsseln
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Karin Ferraris Werke greifen tief in Mechanismen visueller Verführung ein und regen dazu an, die uns umgebenden Bilder und Symbole zu hinterfragen, die oft mehr verraten, als auf den ersten Blick sichtbar ist. Ferraris künstlerische Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Popkultur, Medienkritik und subversiven Narrativen. Sie interessiert sich vor allem für die verborgenen mystischen Sehnsüchte, die sich in Konsumkapitalismus, Technologien und unserer gebauten Umwelt manifestieren. Ihre Arbeiten eröffnen damit eine faszinierende Perspektive auf die Verbindung zwischen modernen Lebenswelten und tief verwurzelten menschlichen Sehnsüchten.
SALTO Artstore: Karin, deine Arbeiten setzen sich intensiv mit aktuellen Phänomenen wie Fake News, (Des)Infotainment und visueller Wahrnehmung auseinander. Wie bist du zu dieser thematischen Ausrichtung gekommen und was inspiriert dich an den visuell geprägten Narrativen der Popkultur und globalen Medienkultur, um die sich deine Arbeiten bewegen?
Karin Ferrari: Es gibt diese Geschichte, dass das Friedenszeichen absichtlich von der CIA auf den Kopf gestellt wurde um seine symbolische Kraft und damit die Friedensbewegung zu schwächen. Wie weit diese Geschichte wahr ist weiss ich nicht - abgesehen davon dass es wirklich wahr ist, dass es dieses Gerücht gibt und dass es mich sogar ohne Internet Ende der 90er im Meran erreicht hat. Was ich damit sagen will, es gibt eine faszinierende, oft paradoxe Wechselwirkung zwischen Medien, Information, Unterhaltung, Bildern und Wahrnehmung. Das verblüffende daran ist, dass es dabei oft ziemlich egal ist, ob etwas wahr ist oder nicht. Sobald wir an etwas glauben, beginnt diese Überzeugung, die Welt um uns herum buchstäblich zu verzerren. Dieser wirklichkeitsstiftende Effekt ist ein mächtiger kreativer Akt. Kreativität ist nicht nur Sachen machen. Kreativität ist auch sehen und tun. Wie man sieht, was man sieht. Auch was man nicht sieht. Oder sehen will. Oder kann. Als Künstlerin versuche ich, diesen Prozess erlebbar zu machen. Wie mein Video The Lost Goddess im Kunstraum Innsbruck lief, hat Ivana Marjanović das was ich mache als performative Theorie bezeichnet.
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(c) Karin Ferrari
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Deine Werke sezieren die Symbolik unserer Konsumgesellschaft und regen oft dazu an, verborgene Bedeutungen hinter alltäglichen Bildern zu entdecken. Was möchtest du mit dieser dekonstruktiven Herangehensweise beim Publikum auslösen? (Hast du das Gefühl, dass die Menschen durch deine Arbeiten mehr Misstrauen gegenüber den ihnen präsentierten Bildern entwickeln, oder lassen sie sich manchmal eher von den "Theorien" mitreißen, die du visualisierst?
Es gibt diese ikonische Szene im Carpenter-Film They Live, in der sich der Protagonist die Sonnenbrille aufsetzt und dann die Welt so sieht, wie sie wirklich ist - einschließlich bislang unsichtbarer Botschaften in Werbebildern und Geldscheinen. Die Analogie der Sonnenbrille im Film ist, dass die Brille Ideologie entlarvt und damit die wahre Realität erkennen lässt. Zum Glück ist absolute wahre Realität nicht mein Problem, als Künstlerin meine ich. Das Potenzial meiner Arbeiten besteht vielmehr darin, eine Vielzahl unterschiedlicher Brillen in allen möglichen Farben und Modellen anzubieten. Oft wird dabei wird auch deutlich, dass Menschen bevorzugt die Brille wählen, die eh ihre bestehende Sichtweise bestätigt. Was mich wieder an den Carpenter Film erinnert. In They Live gibt es diese absurde Szene, in der sich eine Kampfszene zwischen dem Protagonisten und seinem Freund endlos in die Länge zieht, weil sein Freund sich weigert, die Sonnenbrille aufzusetzen. Die Szene dauert tatsächlich zehn Minuten - Carpenter wollte hier wirklich einen Punkt machen, und sein Pessimismus ist absolut berechtigt.
Deine experimentellen Doku-Fiktionen Decoding behaupten, versteckte Botschaften in Musikvideos, Werbespots und Nachrichtentrailern aufzudecken. Sie bewegen sich an der Schnittstelle zwischen der Wissensproduktion digitaler Subkulturen, paranoider politischer Fantasie und esoterischen utopischen Visionen. Könnte es sein, dass du dich nach einer so intensiven Auseinandersetzung manchmal dabei ertappst, alles um dich herum entschlüsseln zu wollen? (Wie hat deine künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Themen deine eigene Wahrnehmung der Welt und der Symbole, die uns umgeben, verändert?)
Meine Arbeitsweise ist definitiv obsessiv und ich weiss das auch gezielt einzusetzen. Wenn ich mich auf ein Thema konzentriere, wird das wie ein Brennpunkt, auf den sich alles zu fokussieren scheint. Informationen, Geschichten, Fakten finden mich wie von selbst. Es ist beinahe so, als ob ich selbst zu einem Medium werde – wenn auch kein besonders gutes. Ich öffne ein Buch auf der richtigen Seite, das passende Instareel poppt in meinem Feed auf usw. Genau das ist ja auch der zentrale Punkt meines Werks, dass wir alle eigentlich non-stop die Welt um uns herum interpretieren, filtern und damit auch mitgestalten. Man könnte sagen, als Künstlerin interessiert mich Realität als Material.
Im Jahr 2018 begannst du dein fortlaufendes Forschungsprojekt Archi_Fictions of Ecstasy – ein essayistisches Theorie-Fiktions-Kunstprojekt über pseudo-sakrale kommerzielle Architektur, das auch als das Künstlerbuch Rooftop Temples of New York City beim Verlag für moderne Kunst veröffentlicht wurde. Was hat dich ursprünglich dazu inspiriert, dich mit pseudo-sakraler Architektur in kommerziellen Räumen wie Casinos, Banken oder Freizeitparks zu beschäftigen?
Mich fasziniert wie sich mystische Motive in unseren Alltag einschleichen. Nachdem ich jahrelang mit den aufgeladenen Bildern und Symbolen in Popmusikvideos und anderen Bildern der globalen Medienkultur künstlerisch gearbeitet habe, hat sich meine Aufmerksamkeit dann irgendwann auf unsere gebaute Umwelt gerichtet. Während Recherchereisen in Südostasien im Zuge einer BMKOES Artist in Residency in Yogyakarta ist mir aufgefallen, dass die Grenzen zwischen sakralem und profanem Raum äußerst porös sind. Ich habe religiöse Riten und Symbole in Hotels, Einkaufszentren, Banken und so weiter bemerkt. Aber pseudo-sakrale Architektur findet sich auf der ganzen Welt. Auch in Südtirol. Banken sind besonders eifrig, religiöse Symbole zu übernehmen. Über der Wall Street in Manhattan schwebt eine Pyramide. Die ziert auch das Cover meines Buchs ‚Rooftop Temples of New York City‘. Wenn man die Sprache und Rituale der Finanzwelt untersucht, bemerkt man, dass sie von Spekulation durchzogen sind – sowohl finanzieller als auch abergläubischer Natur.
Würdest du sagen, dass pseudo-sakrale Architektur die Sehnsüchte der Menschen nur instrumentalisiert, oder steckt darin auch ein Potenzial für etwas Spirituelles oder Utopisches?
Ha, das ist eben die Frage! Eine Bubble-Tea-Techno-Utopie ist durchaus möglich meiner Meinung nach. Aber nur, wenn wir mutig in den Black Mirror schauen und akzeptieren was wir da sehen und wirklich wollen: dass wir alle Chaos in uns tragen, mit dem Kosmos zu kommunizieren und eine Umarmung.
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Werkangaben
Künstlerin: Karin Ferrari
Titel des Werks: The Lost Goddess
Material: Druck auf Metall. Gerahmt, Bruchäste, Seile, Elektroschrott, Wolle, Kabelbinder,
Dimension: 50 cm x 90 cm
Auflage: 3 + 2, Unikatcharakter
Preis: 1.260 €
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SALTO hat mit dieser digitalen Galerie einen speziellen Raum für Künstler aus dem Euregio-Tirolo-Gebiet geschaffen.
Die Kunstwerke werden exklusiv im Artstore von SALTO präsentiert.Artstore ist ein Projekt, das von der Kulturvereinigung BAU entwickelt wurde. Heuer liegt die Kuratorenschaft in den Händen von Eau&Gaz, ein Residenzprogramm für KünstlerInnen, KuratorInnenund andere im Kulturbereich tätige Personen. Seit 2022 organisiert es auch das Kultur- und Bildungsprogramm auf Schloss Gandegg in Eppan. Für den Artstore hat sich das Team von Eau&Gaz entschieden, künstlerische Positionen vorzustellen, die sie dieses Jahr in Südtiroler Ausstellungen anzutreffen sind. Eau&Gaz wird von Kathrin und Sarah Oberrauch sowie Johannes Nowak kuratiert.
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