Gesellschaft | Veranstaltung

Outdoor in einer begrenzten Welt

Der „Flowmarket“, der am Freitag und Samstag im Astra-Kino in Brixen stattfand, kombiniert Flohmarkt mit Sensibilisierungsarbeit und zeigt, wie sich der Outdoor-Sport zwischen Hoffnung, Konsum und fehlenden Grenzen einnistet.
Flowmarket
Foto: SALTO
  • In welcher Beziehung stehen wir Menschen zur Natur? Wie kann diese Beziehung aufgebaut und geschützt werden? Und müssen wir unserem Lebensstil klare Grenzen setzen – oder reicht es, wenn wir nicht jedes Jahr eine neue Jacke kaufen und stattdessen die alte reparieren lassen?

    Fragen wie diese standen am vergangenen Wochenende im Zentrum des „Flowmarket“ im Astra-Kino in Brixen. Die Veranstaltung verband einen Flohmarkt für Outdoor-Ausrüstung mit Sensibilisierungsarbeit zu Klima- und Umweltschutz im Outdoor-Sport. Organisiert wurde sie vom Zentrum für Wiederverwertung „REX“ und dem Kollektiv „Protect Our Winters – Italy“ (POW Italy).

    Gemeinsam sammelten die beiden Veranstalter Jacken, Skier, Helme, Snowboards, Skischuhe und andere Ausrüstungsgegenstände für Outdoor-Aktivitäten. Diese wurden im Rahmen eines Flohmarkts weiterverkauft, der Erlös ging an die jeweiligen Besitzerinnen oder Besitzer zurück. 

  • Ein Podium mit Spannungsversprechen

    Begleitet wurde die Veranstaltung von Musik, Kaffee und Kuchen, einer Filmvorführung sowie einer Diskussionsrunde am Freitagabend. Entlang der Leitfrage „Outdoor prägt uns – aber zu welchem Preis?“ diskutierten auf dem Podium der Marketingdirektor von Dolomiti Superski, Marco Pappalardo, der Präsident des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz, Hanspeter Staffler, die Bergretterin und Ingenieurin für alpine Infrastruktur, Monica Borsatto, der Vertreter des italienischen Alpenvereins (CAI), Marco Agnoli, sowie Karin Steiner vom Outdoor Textile Repair Service „einStein“.

    Obwohl das Panel einen spannenden Austausch versprach, verlor sich die Diskussion nach dem Film zunehmend in abstrakten Fragen und weitläufigen Antworten. Eine klare Gegenüberstellung der unterschiedlichen Positionen blieb dadurch aus. Das vom Moderator Patrick Kofler offen formulierte Ziel, „Menschen hoffnungsvoll aus dem Saal treten zu lassen“, wurde so konsequent verfolgt, dass kritische Nachfragen und kontroverse Stellungnahmen kaum Raum bekamen. Nach einer Wortmeldung, in der betont wurde, man könne sich in zehn Jahren nichts vorwerfen, wenn man eine Kleinigkeit für den Klimaschutz tue, meinte Kofler, es wäre schön, die Diskussion mit diesem positiven Ausblick beenden zu können.

  • Dabei schlug der Kurzfilm „Treelude“ über den POW-Athleten, Naturfotografen und Dokumentarfilmer Lukas Schäfer, der den Tontechniker Costantino Mazzoccoli nach dem Muster von „Benvenuti al Nord“ aus der Stadt in die Wildnis begleitet, noch andere Töne an: Mit epischen Naturbildern und ebenso epischer Filmmusik rief der Film dazu auf, sich selbst als winzigen Teil der Natur zu begreifen – einer Natur, die im Film als „Chef“ bezeichnet wird.

    In der anschließenden Diskussionsrunde wurde diese Perspektive jedoch vielfach umgekehrt. Statt der Natur Raum zu geben, ging es plötzlich darum, wie die Interessen der Menschen so nachhaltig wie möglich bedient werden können. „Am Ende wollen wir ja alle das Gleiche“, meinte der Moderator und CEO der Beratungsfirma Helios: „Draußen sein, vielleicht eine Skitour machen und Freude dabei haben – und das im Einklang mit Wirtschaft und Ökologie.“ Eine Haltung, die auch die Veranstalterin des Flowmarkets und Gründerin von POW Italy, Linda Schwarz, teilt, wenn sie sagt: „Skifahren ist nicht nachhaltig, Punkt. Aber Menschen machen es trotzdem. Also müssen wir hier ansetzen.“

  • Das POW-Collective

    Protect Our Winters ist eine internationale Organisation, die sich für Natur- und Klimaschutz im Outdoor-Sport einsetzt. Das Kollektiv macht Sensibilisierungsarbeit und engagiert sich in Projekten, die zur regionalen Entwicklung, zum sanften Tourismus und zur emissionsarmen Mobilität beitragen. Gegründet wurde POW in den USA vom Snowboarder Jeremy Jones, der auch eine Snowboardmarke betreibt.

  • Der Mensch im Mittelpunkt

    Der Mensch mit all seinen widersprüchlichen Bedürfnissen – allen voran das Skifahren – stand damit klar im Zentrum der Diskussion. Während Hanspeter Staffler, Präsident des Dachverbands und ehemaliger Landtagsabgeordneter der Grünen, versuchte, manche dieser zerstörerischen Bedürfnisse zumindest infrage zu stellen, lenkten der Moderator und ein geschickt argumentierender Marco Pappalardo die Debatte immer wieder weg von grundsätzlichen Fragen. Stattdessen wurde die konsumorientierte Beziehung des Menschen zur Natur als gegebene Tatsache behandelt.

    „In 30 Jahren werden 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben“, so Pappalardo. „Diese Menschen werden zur Erholung aus den Städten in die Natur strömen.“ Die zentrale Frage sei daher, wie der Transfer von der Stadt in die Berge geregelt und möglichst „natürlich“ gestaltet werden könne. „Natürlich“ bedeutet für Pappalardo: weniger Selfie-Touristen, die nur für wenige Tage bleiben, und mehr Bewusstseinsbildung, damit Menschen verstehen, wo sie sich eigentlich befinden.

     

     „Wir müssen die Lichter des Lunaparks ausschalten, damit die Natur dahinter wieder sichtbar wird.“

     

    Auf dieses Bewusstsein pocht auch Monica Borsatto. „Wir können nicht alle den gleichen Zugang zur Natur haben wie Lukas Schäfer im Film“, sagt sie, „aber wir müssen uns fragen, wie Natur auf eine ‚freundliche‘ Art für alle zugänglich gemacht werden kann.“ Auch wenn sie sich manchmal an den Menschenmassen in den Bergen störe, bewertet sie es grundsätzlich positiv, wenn Menschen sich für die Berge und nicht für einen Ausflug ins Ikea entscheiden. „Es ist ein Versuch. Und wer weiß, vielleicht entsteht daraus ein echtes Interesse an der Natur.“ Aus ihrer Sicht gilt es genau hier anzusetzen: „Wir müssen uns fragen, wie wir diese Orte in Zukunft gestalten wollen, um die Schönheit der Natur zu nutzen und sie zugänglich zu machen, ohne jedes Mal riesige Infrastrukturen zu bauen.“

    Der CAI-Vertreter Marco Agnoli teilt die Hoffnung, dass Bewusstseinsbildung zu einem respektvolleren Umgang mit der Natur führen kann, äußert sich jedoch deutlich kritischer. Er nimmt insbesondere Betreiber von Skipisten und Skihütten in die Verantwortung: „Wir brauchen keine Skihütten mit lauter Musik wie auf den Skipisten. Wir müssen die Lichter des Lunaparks ausschalten, damit die Natur dahinter wieder sichtbar wird.“ Eine Natur, die erfahrbar bleiben soll, die aber – so Agnoli – in all unseren Entscheidungen mitgedacht werden müsse: „Wir müssen die Auswirkungen unseres Handelns und unseren CO₂-Abdruck bei jeder einzelnen Handlung berücksichtigen.“

  • Die Frage nach Grenzen

    Doch was ist mit Grenzen? Pappalardo betont zwar, dass Bergregionen klare Regeln bräuchten, erklärt jedoch zugleich: „Wir selbst werden keine Grenzen definieren, wir sind verwöhnt. Niemand ist bereit, einen Schritt zurückzutreten.“ Grenzen könnten daher nur „von oben“ gesetzt werden – auf welcher politischen oder gesellschaftlichen Ebene dieses „oben“ angesiedelt ist, lässt er offen.

    Karin Steiner wiederum meint in Bezug auf Grenzen: „Wir stoßen nicht an Grenzen, sondern sie verschieben sich – und mit ihnen das Outdoor-Erlebnis. Wenn in unserer schnelllebigen Gesellschaft das Wetter im Dezember nicht mehr zum Skifahren passt, fahre ich eben an den Gardasee zum Klettern.“ Eine Feststellung, die aus menschlicher Perspektive durchaus zutrifft.

    Blickt man jedoch über den eigenen Tellerrand hinaus, wird deutlich, dass dieses Verschieben von Grenzen auf Kosten anderer Lebewesen geht. „Wir rücken anderen Geschöpfen extrem auf die Pelle – Tieren, Pflanzen. Wir nehmen uns alles, was um uns herum ist“, sagt Staffler. Für ihn ist klar: In einer begrenzten Welt braucht es auch klare Grenzen für menschliches Handeln.

    Wie solche Grenzen aussehen könnten, veranschaulicht er am Beispiel des Auerhahns: „In Südtirol gibt es derzeit noch rund 10.000 Auerhähne. Wir könnten festlegen, dass bei einem Rückgang unter 9.000 Schluss ist. Dann dürfen keine neuen Pisten mehr gebaut und keine Speicherbecken mehr angelegt werden.“ Dafür brauche es Mut, so Staffler, „den Mut, solche Grenzen tatsächlich zu definieren“.

     

    „Der Outdoor-Begriff spiegelt die Vorstellung wider, dass alles draußen – vor unseren Türen – zur Spielwiese des Menschen wird.“

     

    Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass solche Grenzen, die der Natur und ihren Lebewesen Vorrang einräumen, nicht unbedingt mit dem „Outdoor“-Begriff vereinbar sind, der auch diese Veranstaltung prägt: „Der Outdoor-Begriff stammt aus der Konsumgesellschaft. Er spiegelt die Vorstellung wider, dass alles draußen – vor unseren Türen – zur Spielwiese des Menschen wird. Die Natur wird von menschlichen Interessen und vom Drang zur Selbstverwirklichung kolonialisiert.“