Gesellschaft | Interview

„Viele haben Hemmungen, Hilfe zu suchen“

Counsellor beraten und unterstützen. Das macht sie zu wertvollen Begleitern in der Krisenbewältigung, wie Agata Nagler, Präsidentin der APL Südtirol erklärt.
Agata Nagler
Foto: APL Südtirol

In manchen Lebenssituationen häufen sich Belastungen und verursachen Überforderung. Viele Menschen versuchen allein klarzukommen, bevor sie sich Unterstützung holen. Dabei könnte das Gesprächsangebot der „Counsellor Professional“ ein wirksamer Faktor in der Krisenbewältigung und in der Prävention von pathologischen Entwicklungen sein. In Südtirol ist das Berufsbild des Counsellors, auch Lebensberater*in genannt, noch weitgehend unbekannt. Die Präsidentin der Akademie für psychosoziale Lebensberatung (APL) in Südtirol Agata Nagler geht im Interview näher auf das Berufsbild ein und erklärt, warum Counsellor wertvolle Begleiter*innen in der Krisenbewältigung, als auch bei Veränderungs- und Entwicklungsprozessen sind.

salto.bz: Frau Nagler, woran liegt es, dass der Beruf des „Counsellor“ hierzulade so unbekannt ist?

Agata Nagler: Das Berufsbild des „Counsellors“ ist sehr jung. Ausgehend von Großbritannien, hat es erst in den letzten 40 Jahren in Europa Verbreitung gefunden. Der Beruf „Counsellor Professional“ ist staatlich anerkannt und ausgebildete Counsellor sind auf der Liste des nationalen Dachverbandes für Counsellor CNCP eingetragen. Dennoch ist in den italienischen Regionen das Berufsbild noch relativ unsichtbar. Anders in Österreich – da genießen Lebensberater*innen in der Gesellschaft hohe Anerkennung.

Dennoch ist das Berufsbild noch relativ unsichtbar.

Können Sie das Berufsbild näher erläutern?

Counsellor ist ein anderes Wort für psychosoziale Lebensberater*in. Ein Counsellor steht seinem Gegenüber bei diversen Themen beratend und begleitend zur Seite. Die Niederschwelligkeit zwischen den Gesprächspartnern ist neben dem Vertrauensverhältnis grundlegend. Dabei geht es um Kommunikation und Zuhören. In vielen Momenten hilft es, die Situation aus der Distanz zu betrachten.

 

Gibt es eine Überschneidung zwischen Counsellor und Psycholog*innen?

Nein, da kann überhaupt kein Vergleich gezogen werden. Counsellor beschäftigen sich, im Gegensatz zu Psycholog*innen, mit keinem Krankheitsbild und arbeiten mit „gesunden“ Menschen. Sobald ein Counsellor bemerkt, dass sich sein Gegenüber in einer Situation befindet, wofür sein Berufsbild nicht mehr ausreicht, zieht er eine klare Grenze und dient als Verbindungsglied zur professionellen Hilfe.

Ein Counsellor sieht im Ratsuchenden den Wissenden. 

Sie haben vorhin über das Berufsbild gesprochen. Wie wird man Counsellor?

Voraussetzung dafür ist ein dreijähriger Lehrgang mit Abschlussprüfung. Das Bildungshaus Lichtenburg bietet dies, zum Beispiel seit dem Jahre 2015, an. Die Ausbildung besteht aus einem theoretischen und praktischen Abschnitt und umfasst ein breites Themenfeld. Im Zuge der Ausbildung kommt es auch zu einer großen Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit. Als Counsellor nimmt man sich selbst zurück und sieht im Ratsuchenden den Wissenden.

Ist die Nachfrage an beratender Unterstützung in der Krise gestiegen?

Nein, und ich denke, dass das daran liegt, dass das Berufsbild noch viel zu wenig bekannt ist. Zudem haben viele Menschen immer noch Hemmungen, wenn es darum geht, Hilfe zu suchen. In Südtirol gibt es ungefähr 50 Counsellor, wobei nicht alle in ihrer Rolle als Counsellor auftreten, sondern ihr Wissen und ihre Beraterfunktion in andere Tätigkeiten miteinfließen lassen. Ich bin überzeugt, dass Counsellor eine Bereicherung für die Gesellschaft sind.