#170417

Vergehen
„Wie kann man denn so eine Frage stellen?“ fragte mich vor einigen Jahren Gerhard Brandstätter nach einer Pressekonferenz, bei welcher der mittlerweile verstorbene Karlheinz Böhm in Bozen geladen war und über sein Projekt Menschen für Menschen in Äthiopien berichtete. Ich ergriff die Gelegenheit Böhms Einschätzung zur Aufarbeitung des italienisch-abessinischen Krieges in Erfahrung zu bringen, wie eben die Äthiopier diese faschistische Besatzung erlebten und nach Jahrzehnten beurteilen. Schließlich setzte der italienische Faschismus in Abessinien Giftgas ein. Eine Schande, über welche gerne hinweggesehen wird.
Dem Brandstätter hab ich damals auf seine Frage nicht entgegnet, ich bin gegangen, wie ich immer gehe, wenn mir jemand blöd daherkommt. Ich war dahin, im eiligen Schritt, eines Alex Schwazer.
Weshalb aber meine Antifa-Frage dem Brandstätter nicht gefallen hat, ich weiß es bis heute nicht. Im Stadtarchiv Bozens finde ich allerdings einen Fascho-Vermerk zu seinem Großvater: Karl (Carlo) Brandstätter, alias "Capa". Divenne un agente tanto attento quanto efficace della Polizia segreta fascista (OVRA), con la quale collaborò intensamente fino alla sua morte nel 1930.
Ob dem Brandstätter-Enkel das Thema Faschismus, damals bei der Sparkassen-Menschen für Menschen-Pressekonferenz, zu heiß war, lässt sich Jahre später schwer sagen. Als antifaschistischer Geher hab ich zu wortkarg das Feld geräumt, auf jeden Fall aber sportlich.
Angehen
Der italienische Einmarsch in Äthiopien Mitte der 1930er Jahre „markierte eine Wende in der internationalen Politik. Er repräsentierte das erste große kriegerische Unternehmen eines europäischen Staates nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs“ schreibt Andrea Di Michele im Vorwort des neuen Bandes der Zeitschrift Geschichte und Region: Abessinien und Spanien: Kriege und Erinnerung / Dall’Abissinia alla Spagna: guerre e memoria 1935–1939. Und weiter: „Aus internationaler Sicht trugen die Spannungen mit Großbritannien und der Bruch mit dem Völkerbund wesentlich zur politischen Annäherung an Hitler-Deutschland bei, auf die einige Jahre später eine politische und militärische Allianz folgen sollte.“
Auf dem abgebildeten Reliefausschnitt des Finanzgebäudes in Bozen, ist die Personifikation Libyens zu sehen, die Besiegung des Löwen von Juda und des britannischen Löwen, sowie ein geknechteter Einwohner Afrikas.
Im Rastafarinismus gilt der frühere äthiopische Kaiser Haile Selassie als Löwe von Juda, eine Thematik die sogar im 1992 veröffentlichten Song Iron Lion Zion von Bob Marley thematisiert wird. Und über Jamaika weltbekannt wurde.
Ein wenig Reggae könne in der aktuellen Diskussion in Bozen ebenfalls nicht schaden, vielleicht auch ein wenig Graffiti-Kunst, mit einer unmissverständlichen, großflächigen Message. Etwa:
no fascism
Vorangeher
Bei den Nachbarn in der Schweiz soll es laut einer jüngsten Meldungen engagierte, betagte Menschen geben, die Graffitis an Bankgebäude (und vielleicht auch an faschistische Reliefs) sprühen. Es sind Menschen, die mit Graffiti-Kunst mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit im Bankwesen einfordern, die in unklaren Zeiten ein klares Statement setzen: Friedlich, bunt und (warum nicht) tanzend.
Es sind junggebliebene Spray-Boys und Spray-Girls, die nicht in Altersheimen versauern wollen, sondern aktiv auf Straßen und Plätze gehen. Gehen wollen!
Was mir nun nicht klar ist: Ist das Sprühen gegen fatale Faschismen und übelste Bankgeschäfte erlaubt oder verboten? Wenn das als Kunstaktion von älteren Menschen mit etwas Reggae und Farbe durchgeführt wird?
Ein Jurist wie Gerhard Brandstätter hätte darauf sicher mehr als eine Antwort. Ihn direkt zu fragen, traue ich mich aber nicht wirklich. Vielleicht sollte ich auf den Rat einer befreundeten Rastafarin hören, die vor kurzem meinte: Gehen, geht immer!