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50 Jahre Literarisches Kolloquium

Vor 50 Jahren trafen sich Südtirols junge Autoren erstmals in Bozen. Dabei fanden die ersten öffentlichen Lesungen Zoderers und Kasers in Südtirol statt.
Dolomiten 26. September 1969
Foto: Salto.bz
Gibt es ein Ereignis oder ein Buch, an dem die Entstehung einer neuen Südtiroler Literatur in den 1960-er Jahren festgemacht werden kann? War es, wie einige suggerieren, die rabiate Rede N.C. Kasers auf der Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft in Brixen? Wohl kaum. Nach meiner Überzeugung war es das ebenfalls von der SH organisierte Literarische Kolloquium, das Mitte September 1969 in Bozen stattfand. Der Grund liegt auf der Hand: Es war das erste Zusammentreffen der jüngeren Autorengeneration und der erste öffentliche Auftritt N.C. Kasers, Joseph Zoderers und Gerhard Koflers in Südtirol.
 
Die heftigen Polemiken der Tageszeitung Dolomiten gegen die kurz vorher stattgefundene Brixner Tagung sorgten in Bozen für einen Publikumsandrang, den der kleine Peterssaal des Kulturinstituts in der Streitergasse nicht fassen konnte. Vorgesehen waren Lesungen und Werkstattgespräche von 12 Autoren: Richard Erlacher, Reinhold Janek, Norbert C. Kaser, Wolfgang Kapfinger, Gerhard Koffer, Peter Lloyd, Gabrielle Pidoll, Konrad Rabensteines, Kuno Seyr, Markus Vallazza und Joseph Zoderer. Pidoll zog sich nach den Brixner Polemiken zurück. Erich Kofler hatte die Einladung abgelehnt.
 
 
 
Bei der Veranstaltung vom 16.-19. September 1969 gab es Freibier und Musik, das Klima war locker und entspannt, die Neugier gross. Der damals noch in Wien lebende Joseph Zoderer, der aus seinem Text Schlaglöcher las, machte klar, dass er ein "grundsätzliches Referat" über die gesellschaftspolitische Rolle der Literatur halten wolle. In seinem Vortrag "Wozu schreiben?" äusserte er Zweifel am "Sinn literarischer Tätigkeit in der Gesellschaft frustrierter Konsumenten". Den Schriftstellern sei es "völlig Wurst,ob sie die Massen erreichen oder nicht." Kaser und Kofler lehnten diese "abstrakte Diskussion" ab. Kaser dagegen versuchte bei der Bozner Veranstaltung, sein in Brixen erworbenes Image als enfant terrible zu relativieren – zum Erstaunen der Dolomiten: "N.C. Kaser gab sich zahm".
Wenig später äusserte er seine Zweifel in einem Brief er an Gerhard Kofler: "Meines Freundes Zoderer Theorien decken sich mit seiner Praxis noch viel weniger als mein Brixner Referat mit meinen Gedichten." Das Kulturreferat der Hochschülerschaft hatte in einer Aussendung auf die Notwendigkeit der Veranstaltung verwiesen: "Wir leben in einem Land, in dem die Sprache über Sein oder Nichtsein einer kulturellen Entwicklung entscheidet. Aber Südtirols Literatur ist tot. Einige wenige Autoren fristen ihr Dasein als Aussenseiter der Gesellschaft. Für den Kontakt zwischen Publikum und Autor wird nichts getan."

 

Grosser Publikumsandrang

 
Nach den heftigen Polemiken um die Brixner Tagung verzeichnete das Literarische Kolloquium einen ungeahnten publizistischen Erfolg: Die Tageszeitung Dolomiten, deren literarischen Beilage damals erzkonservativ war, widmete der Veranstaltung am 26. September eine ganze Seite, auf der neben Radierungen von Markus Vallazza auch 15 Gedichte einiger der teilnehmenden Autoren abgedruckt wurden – sogar vier Texte von N.C. Kaser.
 
 
Einleitender Text: "Vor einer Woche gingen in Bozen die Veranstaltungen im Rahmen des Literarischen Kolloquiums zu Ende, das von der Südtiroler Hochschülerschaft organisiert worden war. Nebenstehend bringen wir eine Auswahl aus den Lesungen jener Autoren, die sich daran beteiligten. Die Auswahl ist nicht unbedingt willkürlich zu nennen, zumal einige Jungdichter nur eine begrenzte Anzahl aus ihrem Vortrag  für diese Publikation zur Verfügung gestellt haben. Sicher zum Schaden der Übersicht gereicht es, dass es nicht möglich war, Lyriker von Wolfgang Kapfinger und Prosa von Joseph Zoderer hier zu veröffentlichen, deren rechtzeitige Beschaffung uns aus verschiedenen Gründen leider nicht möglich war."
 
Das literarische Kolloquium, bei dem sich die meisten Autoren zum ersten Mal begegneten und kennen lernten, war Ausgangspunkt der ein Jahr später erschienenen Anthologie Neue Literatur aus Südtirol, in der 24 Autoren vertreten waren – die Hälfte davon hatte sich erst beim Bozner Kolloquium kennen gelernt.