Gesellschaft | 40 Jahre FF

„Es war immer eine Gratwanderung“

Der Gründer und erste Chefredakteur der FF, Gottfried Solderer, über die Anfänge, Konflikte, Magnagos Brief, Hpd´s Penis und die aktuelle Altersmilde der Wochenzeitung.
Solderer, Gottfried
Foto: Nicola Arrigoni
Salto.bz: Herr Solderer, wenn Sie heute Ihr Kind, die Wochenzeitung FF, in die Hand nehmen, tut Ihnen dann das Herz weh?
 
Gottfried Solderer: Nein, das Herz freut sich. Denn es ist weder vor 40 Jahren noch heute selbstverständlich, dass ein solches Wochenmagazin in diesem Land überlebt. Dabei hat man uns auch das Kompliment gemacht, dass wir ein "kleiner Spiegel" in den Alpen sind. Das hat mich sehr gefreut, denn es war immer eine Gratwanderung, teilweise eine massive Gratwanderung und man wusste nicht ob man links oder rechts hinunterfällt, oder ob man es geradeaus wirklich schafft.
 
Die Blütezeit der FF scheint inzwischen aber vorbei?
 
Die Südtiroler Medienlandschaft hat sich in den vergangenen 40 Jahren grundlegend geändert. Früher gab es nur die FF als einzige Alternative zum bekannten Medienmonopol im Land. Das war eigentlich die Blütezeit der FF. Die Leute haben sich gefreut, dass es endlich was Neues gibt. Mittlerweilen ist die Konkurrenz einfach enorm geworden. Wenn du bei einer Wochenzeitung bist, dort eine Geschichte recherchierst und zwei Tage später steht sie dann in der Tageszeitung oder auf Salto.bz. Dann kann ich den Frust verstehen, der da entsteht. Damit wird es schwieriger zu arbeiten.
Wir haben vor dem Start ausgemacht, dass wir uns zwei Jahre lang politisch nicht äußern.
Erinnern Sie sich noch an die erste FF-Ausgabe?
 
(lacht) Natürlich. Wir haben auf der Bozner Messe im September 1980 einen kleinen Stand beim ORF gehabt und wir schafften es damals ganze 2000 Abos abzuschließen. Dabei hatten wir nur eine Nullnummer, die wir herzeigen konnten. Die Leute wollten einfach ein neues Medium.
 
Wer hatte die Idee vor 40 Jahren die FF zu gründen?
 
Die Idee war nicht meine. Die Idee hatten Klaus Dubis und Christian Chindamo von Witkenberg. Klaus Dubis war damals Präsident der RAS und Christian Chindamo von Witkenberg hat den ersten Südtiroler Privatsender betrieben. Die Dolomiten hatten damals nur eine achtseitige Fernsehbeilage auf Zeitungspapier, die jeden Mittwoch erschien. Diese beiden Herren waren der Meinung es brauche eine Fernsehzeitschrift. Denn man muss eines bedenken. Südtirol war damals europaweit eine Art Fernseheldorado. Nirgends hat man so viele Sender bekommen wie bei uns. Damals hat man zum Bespiel in Österreich weder das ZDF noch die SRG empfangen. Darauf gründet dann auch die Geburt der FF.
Christoph Amonn war ein Idealist, ihm lag der Medienpluralismus in Südtirol wirklich am Herzen und er wurde in der SVP permanent wegen der FF angegriffen.
Der Mann, der das Projekt finanzierte und auch politischen den Kopf hingehalten hat, war aber der Bozner Unternehmer Christoph Amonn?
 
Christoph Amonn war ein Idealist und ihm lag der Medienpluralismus in Südtirol wirklich am Herzen. Das ist sein größtes Verdienst. Er war ja einer der höchsten Vertreter der SVP-Wirtschaft und innerhalb der Partei hat man ihn permanent angegriffen. Bei jeder Sitzung wurde er angepöbelt, wie wirtschaftsfeindlich die FF sei und was wir uns erlauben. Er hat oft gezaudert, am Ende ist es aber sein und das Verdienst seiner Familie, dass es nicht nur die FF heute noch gibt, sondern mit der "edition raetia" auch ein Verlag entstanden ist.
 
Sie hatten einen ruhigen, gut bezahlten Job bei der RAI, den Sie für dieses Himmelfahrtskommando aufgegeben haben?
 
Meine Mamma hat gemeint: "Machst Du es dir woll nicht letzer". Das war ihr Kommentar, als ich gesagt habe ich gehe von der RAI weg. Ruhig war es nicht. Wir waren Wenige und haben viel gearbeitet. Es war eine sehr interessante Erfahrung. Gleichzeitig habe ich mir gedacht, soll ich jetzt wirklich bei der RAI bleiben bis zu meinem Lebensende? Das wird dann irgend einmal einfach fad. Und das wollte ich vermeiden.
 
 
Aus der zahmen Illustrierten für „Fernsehen und Freizeit“ (FF) wurde dann ein Nachrichtenmagazin, das Südtirol ordentlich aufmischte?
 
Klaus Dubis war damals SVP-Fraktionssprecher im Landtag. Ich war zwar politisch deutlich anders gewickelt, aber er wollte mich unbedingt als Chefredakteur. Mir war aber auch klar, dass wir in der Zeitung zwei Jahre eine Art politische Abstinenz brauchen. Denn sonst steckt man uns in eine gewisse, politische Schublade und das würde niemand guttun. Deshalb haben wir vor dem Start ausgemacht, dass wir uns zwei Jahre lang politisch nicht äußern.
 
Für einen Journalisten und eine Zeitung ein völliger Irrsinn?
 
Meine Überlegung war es: Wir müssen unpolitisch sein, damit wir in die Familien hinauskommen. Alle vorhergehenden Experimente, wie Tandem, Volkszeitung oder Rote Zeitung, das waren eigentlich Hausmitteilungen für die eigene Klientel. Mein Ziel war es, etwas zu machen, was einen größeren Leserkreis anspricht. Das war meine Vision. Außerdem haben wir schon in der ersten Nummer auch gesellschaftskritische Artikel gebracht.
 
Und Sie haben das durchgehalten?
 
Mehr oder weniger ja. Das Absurde an der Sache ist: Es war ausgerechnet Klaus Dubis, der als erster diese Abmachung gebrochen hat. Er schrieb schon für die Nullnummer der FF einen kurzen Artikel über das Verbot von Solidarnosc in Polen und wie schlimm der Kommunismus in Wirklichkeit sei. Ich habe ihm den Artikel einfach aus dem Blatt geschmissen. Er war dann fürchterlich beleidigt. Aber das hat sich dann gelegt und wir haben diese zwei Jahre auch durchgehalten.
 
Ein Jahr nach dem Start kam dann die erste Krise?
 
Wir saßen 1981 im Laurin zusammen und die FF war bereits aufgelöst. Die Finanzen waren völlig daneben. Die Abo-Zahlen passten und auch die Zustimmung in der Bevölkerung war da. Aber das Werbeaufkommen war nicht annähernd so, wie man gedacht hatte. Ich sollte dann zusammen mit Klaus Dubis eine Pressemitteilung verfassen. Der Titel „FF stellt Erscheinen ein“. Ich habe dann gesagt: „Klaus, das kann es doch nicht gewesen sein“. Wir haben am Titel ein Fragezeichen angehängt und geschrieben, wenn sich im allerletzten Moment nicht noch Leute melden, müssen wir zusperren. Die Dolomiten verkündeten dann am nächsten Tag, dass die FF nicht mehr erscheinen wird.
 
Es war dann ausgerechnet Silvius Magnago, der die FF gerettet hat?         
 
Klaus Dubis ist zu Magnago gegangen. Unser größtes Problem war, dass die gesamte Südtiroler Wirtschaft uns boykottierte. Von Toni Ebner Senior wird gesagt, dass er mit einem Meterstab die Werbeflächen der ersten FF ausgemessen habe und danach gesagt haben soll: „Nach 14 Tagen sperren die wieder zu“. Das war die Krux. Magnago hat dann einen Brief an die Südtiroler Unternehmer geschrieben. Aber die Wirkung war eigentlich Null. Selbst Christoph Amonn hat es nicht geschafft seinen Bruder zu überzeugen, dem die Despar-Kette gehörte, bei uns Werbung zu schalten.
 
 
Die FF wurde vom System überall geschnitten, wo es nur geht?
 
Man war es damals in Südtirol einfach nicht gewohnt, dass ein Medium auf den Plan tritt, das den Finger auf die Wunde legt. Das gab es damals nicht. Wir wurden mit einem öffentlichen Informationsboykott belegt. Landesrat Anton Zelger hat allen seinen Beamten verboten mit der FF zu reden. Der Bauerbund, die Weinwirtschaft oder auch die Feuerwehren haben dasselbe gemacht. So mussten wird uns mit den Informanten halt in den Hinterhöfen treffen.
 
Es kam dann die große Zeit der FF mit Ihnen als Chefredakteur, Hanskarl Peterlini, Josef Roher und Wolfgang Mayr, wo die Politik vor jedem Donnerstagmorgen zitterte?
 
Gezittert haben Sie nicht, aber dieser Aufdeckungsjournalismus war neu für Südtirol. Die Leute waren es nicht gewohnt und es gab große Widerstände. Man hat uns verklagt und alle Prügel in den Weg gelegt, die es nur gab.
Man war es damals in Südtirol einfach nicht gewohnt, dass ein Medium auf den Plan tritt, das den Finger auf die Wunde legt.
Besonders konfliktbeladen war von Beginn an das Verhältnis zum Medienhaus Athesia?
 
Auch das ist eine natürliche Sache. Klaus Dubis war so fair, dass er vor Erscheinen der Nullnummer, zu Toni Ebner Senior nach Aldein gefahren ist, um ihm die Nullnummer zu zeigen. Er wollte ihn informieren. Bevor wir unsere Nullnummer drucken konnten, hatten die Dolomiten ihr Fernsehprogramm bereits verdoppelt. 1983 wolle man uns mit dem Dolomiten-Magazin dann den Todesstoß geben. In Wirklichkeit war das aber die Rettung der FF.
 
Wie bitte?
 
Es klingt absurd. Wir hatten ein drucktechnisches Problem. Zu Beginn war die FF die einzige Wochenzeitung in Farbe. Wer Werbung schalten wollte, musste damals ein eigenes, relativ teures Litho machen. Das wollte kaum ein Unternehmer. Mit dem Dolomiten-Magazin kam aber plötzlich ein zweites Medium für das man dieses Litho gebraucht hat. Wir haben damals zwar rund 1000 Abonnenten verloren, aber die Werbung verdreifacht. Dank Athesia (lacht) So kann es gehen.
 
1990 sind Sie dann als FF-Chefredakteur ausgeschieden. Nicht ganz freiwillig?
 
Mein Ausscheiden hatte zweierlei Gründe. Christoph Amonn war ein Liberaler, der große Verdienste hatte, aber er saß im wahrsten Sinne des Wortes andauernd zwischen Hammer und Amboss. Er hat unheimlich gelitten, wenn wir politisch etwas nach links gerückt sind. Als ich Florian Kronbichler angestellt habe, meinte er, das ist doch ein Fossil aus den 60-er Jahren. Später machte er ihn dann zum Chefredakteur. Peter Jankowitsch hat mich einmal gefragt, ob ich einen Beitrag für die „Sozialistischen Monatshefte“ schreiben würde. Immer wenn ich bei Amonn zum Kaffee saß, kam dieses Thema. Das sei eine sozialistische Einstellung. So kam im Laufe der Zeit zu einem politischen Zerwürfnis.
Ich nenne sie liebevoll die zwei Rebellen: Hanskarl Peterlini und Josef Rohrer. Das waren meine zwei besten Journalisten damals.
Dazu forderten die jungen Wilden in der FF-Redaktion eine Wachablöse?
 
Ich nenne sie liebevoll die zwei Rebellen: Hanskarl Peterlini und Josef Rohrer. Das waren meine zwei besten Journalisten damals. Ich habe immer wieder einmal die Bremse gezogen, weil sei zu aggressiv waren. Irgendwann haben beide deshalb gekündigt. Zuerst der Sepp und dann der Hanskarl. Später habe ich dann erfahren, dass Amonn gemeint hat: „Jetzt müssen wir einen SVP´ler zum Chefredakteur machen.“ Das war der Hanskarl Peterlini, der aus der jungen Unterlandler SVP kam. Sie wussten aber nicht, dass er bereits damals auf einem ganz anderen politischen Weg war.
 
Dann kam 1993 die sogenannte Schwimmbadaffäre und die größte Krise in der Geschichte der FF.
 
Darüber wurde eh schon viel geschrieben und gesagt. Damals wollten Christoph Amonn, aber auch Luis Durnwalder und viele andere mich wieder als Chefredakteur zurückhaben. Man hat mir das doppelte Gehalt geboten. Ich habe aber längst die edition raetia gegründet gehabt. Und es war mir klar, dass das mein Job ist, den ich machen will. Das war das Glück dieser ganzen Krise. Ich bin sehr nobel hinauskomplimentiert worden und dadurch ist der Verlag entstanden.
 
 
Es gibt nur einen FF-Mitarbeiter, der seit der ersten Nummer dabei ist und auch heute noch für die FF tätig ist: Hanspeter Demetz in Arte hpd?
 
(lacht) Der hpd kam durch Sabine Kompatscher zur FF. Sie war in der FF am Anfang für Modethemen zuständig. Ich habe für die Nullnummer unbedingt einen Karikaturisten gebraucht. So ist der hpd zur FF gekommen. Am Anfang war es etwas schwierig. Denn er musste regelmäßig in die Redaktion kommen und dort zeichnen. Mittlerweile geht das alles übers Internet. Damals aber musste er physische anwesend sein. Genau das war aber manchmal ein Problem. Denn sein Motto heißt: „Pünktlich heißt auch keine Minute zu früh.“ So hat er oft die Karikatur fast noch in die Druckmaschine gezeichnet.
 
Wollte er nie aufhören?
 
Einmal war es soweit. Hpd ruft mich völlig aufgelöst um 2 Uhr in der Nacht an. Da war ich schon nicht mehr Chefredakteur, sondern Hanskarl Peterlini. Er hatte einen Ötzi gezeichnet und hat ihm einen kleinen Penis dazu gemalt. Diesen hat aber Hanskarl wegretuschieren lassen. Als Hanspeter das sah, war es für ihn aus. Ich musste noch in der Nacht zu ihm kommen und er zeigte mir den Kündigungsbrief. Ich habe es geschafft ihn in jener Nacht davon abzubringen. Und er hat bis heute durchgehalten.
Ich wünsche mir, dass die FF unabhängig bleibt. Mit der jetzigen Besitzerstruktur scheint das gegeben zu sein.
Als ehemaliger Chefredakteur, eine Blattkritik der FF im Jahr 2020.
 
Mir ist sie zu milde geworden. Aber es wird einfach schwierig sein. Wirtschaftslastig ist sie sicher nicht. Es werden viele Geschichtchen erzählt. Sie ist nicht uninteressant, aber der große Aufklärungs- und Aufdeckjournalismus passiert dort nicht mehr.
 
Was wünschen Sie der FF zum 40. Geburtstag?
 
Ich wünsche mir, dass sie in den schwarzen Zahlen bleibt. Und vor allem, dass sie unabhängig bleibt. Mit der jetzigen Besitzerstruktur scheint das gegeben zu sein. Ich würde mir zudem wünschen, dass sie redaktionell und auch im Werbeumfang zulegen kann.
 
 
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Armin Holzgethan Do., 17.09.2020 - 05:54

Sehr interessant der Bezug zur TV-Situation damals, die Trojanisches Pferd Taktik, das wechselhafte Verhältnis zur SVP und das ängstlich aggressive Verhalten der Athesia. Die Schwimmbadaffäre für uns junge Hupfer in einem Satz skizziert wäre noch geil gewesen.

Do., 17.09.2020 - 05:54 Permalink
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Lollo Rosso Do., 17.09.2020 - 21:50

Ich habe die FF unter Solderer, Rohrer und Peterlini immer gern gelesen, aber jetzt fehlt ihr einfach der Biss. Immer die selben Themen und auch den Schreibstil einzelner Redakteure ertrage ich nicht mehr. Rettet die FF, bevor es zu spät ist.

Do., 17.09.2020 - 21:50 Permalink
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Hartmuth Staffler Do., 17.09.2020 - 22:14

Ich habe zu Beginn der 80er-Jahre unter Chefredakteur Solderer als freier Mitarbeiter für die FF gearbeitet. Es hat damals gute Ansätze für einen guten Journalismus gegeben, die inzwischen leider verflogen sind. Statt seriösem Aufdeckungsjournalismus wird heute reine Wadlbeißerei betrieben. Und anstatt selbstkritisch zu sein, loben sich RAI und FF gegenseitig in den Journalisten-Himmel. Dabei hätten sie es angesichts der Schwäche der "Dolomiten" so leicht, aber sie wissen die Chance nicht zu nutzen.

Do., 17.09.2020 - 22:14 Permalink