Gesellschaft | Lebenslanges Lernen

"Irgendwann war es Zeit"

Familie, Arbeit und trotzdem studieren? Ein Gespräch mit Petra Wallnöfer, 48 Jahre und jetzt Master-Absolventin an der Universität Brixen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Petra Wallnöfer
Foto: Petra Wallnöfer

Petra Wallnöfer, 48 und ansässig in Meran mit Ehemann und Kindern hat vor wenigen Wochen das Master-Studium „Innovation in Forschung und Praxis der sozialen Arbeit“ an der Universität Brixen mit 110/110 Punkten abgeschlossen. Das Studium begonnen hat sie mit 42, die Lust zum Studieren hatte sie jedoch schon immer. Ein Gespräch über die Entscheidung, sich mit 40 beruflich nochmal neu zu orientieren, über das Studium selbst und überwundene Hürden.

Salto.bz: Waren Sie schon immer in Meran?

Petra Wallnöfer: Aufgewachsen bin ich in Lichtenberg, das befindet sich in der Gemeinde Prad im Vinschgau. In Meran habe ich die Oberschule besucht, gleich nach der Matura bin ich wieder zurückgezogen und habe in der Schweiz, gleich hinter der Grenze, für ein Internationales Unternehmen gearbeitet.

Haben Sie schon damals daran gedacht, zu studieren?

Der Gedanke, dass ich studieren möchte, war eigentlich schon immer in meinem Hinterkopf. Bei meiner Matura gab es die Freie Universität Bozen noch nicht, das heißt, ich hätte im Ausland studieren müssen. Dies alleine wäre noch machbar gewesen, jedoch ist zu dieser Zeit, als ich etwa 20 Jahre alt war, mein Vater verstorben. So wurde mein Plan, studieren zu gehen, vorerst auf Eis gelegt. Stattdessen bin ich arbeiten gegangen.

Was ist aus dem Gedanken, studieren zu wollen, geworden?

Der Gedanke des Studiums hat mich immer weiter begleitet und im Alter von 25 habe ich dann tatsächlich begonnen zu studieren. Ich habe mich an der Wirtschafts-Fakultät der Universität Bozen inskribiert. Damals war ich alleinerziehend mit meiner ältesten Tochter. Ich habe es dennoch versucht, da der Wunsch, mich weiterzubilden, so groß war. Als ich circa bei der Hälfte des Studiums angelangt war, ist meine Tochter leider erkrankt und ich habe viel Zeit mit ihr im Krankenhaus verbracht. Als Alleinerziehende war das zu viel, ich habe die Universität abgebrochen und habe wieder begonnen, zu arbeiten.

Wie ist es dann weitergegangen?

Ich habe meinen jetzigen Mann kennengelernt. Er hat einen Sohn in die Ehe mitgebracht, ich eine Tochter, gemeinsam haben wir auch noch ein Kind, wir sind eine richtige Patchwork-Familie. Ich war dann freiberuflich beschäftigt oder habe mit meinem Mann die Firma geleitet. Der Gedanke des Studierens hat mich noch immer verfolgt, so haben mein Mann und ich uns, sobald meine Tochter zwei Jahre alt geworden ist, beim Studium Generale an der Uni Bozen inskribiert. Das Studium Generale war passend, da es uns erlaubt hat, ein paar Vorlesungen herauszupicken und diese zu besuchen. Bei einer der Vorlesungen haben wir Professorin Susanne Elsen kennengelernt, sie war eine Schlüsselfigur für mich und meine Ausbildung.

Inwiefern?

Sie ist für mich eine unglaublich inspirierende Person, die genau meinen Zeitgeist getroffen hat. Die Ideen und Träume, die ich hatte, konnten plötzlich benannt werden, ich habe die Worte dafür gefunden. Einmal hat sie mir gesagt: „Wenn das Studieren wirklich dein Wunsch ist, dann geh doch nach Brixen und fang mit einem Studium an!“

War das der Zünder für Ihren Start in die Universität?

Ja, nach ihrer Aussage habe ich mir gedacht „Wenn nicht jetzt, wann dann“ und habe das Studium der Sozialpädagogik begonnen. Zunächst ein bisschen halbherzig, weil mich eigentlich Psychologie in Innsbruck interessiert hätte, aber mit drei Kindern und Arbeit nebenher wäre das zu weit entfernt gewesen. Diese Halbherzigkeit war aber nicht von Dauer, schon nach kurzer Zeit war ich dem Bachelor der Sozialpädagogik sehr verfallen.

Man sollte immer seinen Träumen treu bleiben und sich nicht durch Hürden oder Widrigkeiten vom Weg abbringen lassen - Petra Wallnöfer

Was hat Sie am Bachelor der Sozialpädagogik so begeistert?

Das Studium hat mich wegen seiner Dreisprachigkeit, seiner kleinen Seminar-Gruppen und den international bekannten Professoren begeistert. Auch inhaltlich hat mich das Studium absolut fasziniert. Eigentlich war ich ja immer eher eine Person der Wirtschaft, dies hat sich jedoch geändert. Genossen habe ich auch den engen Kontakt mit den Professoren, das war sehr bereichernd.

Diesmal konnten Sie das Bachelor-Studium abschließen?

Nach drei Jahren habe ich den Bachelor abgeschlossen. Zwischenzeitlich habe ich gearbeitet, mit meinem Mann ein Haus gebaut, meine zwei größeren Kinder haben maturiert und meine jüngste Tochter hat die Grundschule besucht.

In welchem Berufsfeld waren Sie zu dieser Zeit tätig?

Ich habe bei einem öffentlichen Wettbewerb für Schulsozialpädagogik mitgemacht und habe dadurch eine Stelle an der Wirtschaftsoberschule Franz Kafka in Meran bekommen. An der WFO bin ich nun seit mehr als drei Jahren tätig. Diese Arbeit sehe ich nicht als Job, sondern als Berufung. Ich sage immer: Ich muss nicht arbeiten, sondern ich darf arbeiten.

Wann haben Sie mit dem Master begonnen?

Gleich nach meinem Bachelor-Abschluss, da war ich 45 Jahre alt. Aber auch dieser Start war kein leichtes Spiel, weil mein Mann zu dieser Zeit einen Herzinfarkt erlitten hat. Schlussendlich habe ich mich aber trotzdem dazu entschieden, mit dem Master-Studium zu beginnen. Gerade weil ich jetzt auch in diesem Berufsfeld tätig war, wollte ich mein Wissen abrunden.

Wie ist Ihnen das Master-Studium ergangen?

Als Master-Richtung habe ich „Innovation in Forschung und Praxis der sozialen Arbeit“ gewählt. Ich habe jedoch einen harten Rückschlag erlitten, da ich nach dem ersten Jahr an Brustkrebs erkrankt bin. Das war für mich und mein Umfeld ein schwerer Moment, ich habe die Erkrankung jedoch zum Glück gut überstanden. Das Studium war mitunter eine Beschäftigung, die mir in diesem Moment Kraft und Motivation gegeben hat.

Niemand weiß, was morgen passiert, aber bis dahin ist man immer noch des eigenen Schicksals Herrin - Petra Wallnöfer

Phu, da ist viel passiert.

Ja, da ist tatsächlich einiges passiert. Jedoch eines ist geblieben: Meine Zuneigung zur Sozialpädagogik. Diese hat mich wirklich arg begeistert, ich brenne regelrecht dafür. Meine Arbeit bereitet mir auch sehr viel Freude: Es ist sehr befriedigend, Jugendlichen Bildungschancen und Bildungsgleichheiten zu bieten. Ich bin eine Kämpferin und eine Optimistin und es ist sehr wichtig, in solchen Momenten die Hoffnung zu bewahren und trotz Erkrankung den eigenen Weg zu gehen. Wichtig für meine Ausbildung war auch die Freie Universität Bozen, welche mit Kompetenz Studierenden aus Südtirol und aller Welt die Möglichkeit bietet, sich weiterzubilden. Sie zeigt auf, dass Südtirol nicht nur aus Lederhosen und Knödeln besteht.

Hatten Sie bereits vor dem Studium Kontakt zu Sozialer Arbeit?

Nur auf freiwilliger Basis. Mit meinen Kindern habe ich mich freiwillig engagiert, zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe oder bei Obdachlosen-Organisationen. Es war mir wichtig, meinen Kindern solche Momente als Werteverständnis mitzugeben. Nicht allen Menschen geht es so gut wie uns. Zeigen wollte ich ihnen auch, was es heißt, solidarisch zu sein. Während des Studiums habe ich bei der Caritas Praktika in Flüchtlingshäusern absolviert, einmal beim Haus Arnika in Meran und einmal beim Haus Noah in Prissian.

Verbunden war ich mit Sozialarbeit schon immer, den theoretischen Hintergrund hat mir das Studium geboten - Petra Wallnöfer

Wie war es für Sie, nebenher zu studieren?

Anfangs war es natürlich eine Herausforderung, aber es gab auch durchaus positive Aspekte. Der Unterschied zu einem 20-jährigen ist meiner Meinung nach, dass wir uns bewusst für ein gewisses Studium bzw. einen Weg entscheiden. Ich habe mich zu 100% auf das Studium fokussiert, Jugendliche nach der Matura gehen an das Studieren oft mit dem Motto: “Okay, ich gehe mal studieren, aber schauen.“, heran.

Es braucht auch Mut, mit 42 Jahren einen neuen Lebensweg einzuschlagen.

Ja, für mich war das auf jeden Fall ein Schritt aus der Komfortzone heraus. Mit 40 hat man sich ja bereits ein Leben aufgebaut und ist in einem Rhythmus festgefahren. Zwischendurch habe ich mich schon gefragt, ob es eine gute Idee ist, sich das anzutun. Man weiß ja auch nicht, was auf einen zukommt und ob man das Lernpensum aufbringen kann. Auch der Altersunterschied zu den restlichen Studierenden bereitete mir Sorgen.

War der Altersunterschied ein Problem?

Überhaupt nicht, ich war auch nicht die einzige Person im Studiengang über 40. Bei der Einführungsveranstaltung bin ich dennoch mit weichen Knien hingegangen. Da war es eine Erleichterung, als sich meine jetzige Freundin Heidi Oberhofer zu mir gesetzt hat mit der Aussage: „Oh ich glaube, wir sind im gleichen Alter, dann bleibe ich mal bei dir“. Sobald die Vorlesungen begonnen haben, hat man keinen Altersunterschied mehr bemerkt. Für Gruppenarbeiten habe ich auch mit den jüngeren Studierenden zusammengearbeitet und es war immer eine bereichernde Situation in beide Richtungen. Mit Heidi habe ich öfters im Studium zusammengearbeitet und schlussendlich haben wir auch unsere Master-Arbeit gemeinsam geschrieben.

Um was dreht sich Ihre Masterarbeit?

Der Titel der Arbeit lautet: „Empirische Erhebung zur aktuellen Situation der Schulsozialarbeit in Südtirol anhand einiger exemplarischer Schulen“. Wir sind zu diesem Thema gekommen, weil wir beide als Sozialpädagoginnen in Oberschulen arbeiten, sie beim Berufsbildungszentrum in Bruneck und ich an der WFO in Meran. So wollten wir herausfinden, in welchen Bereichen der Sozialpädagogik in Oberschulen es gut läuft und in welchen es vielleicht hapert. Auf welcher Grundlage wird gearbeitet, wo gibt es territoriale Unterschiede in der Wahrnehmung des Angebots und wo decken sich die Bedürfnisse der Zielgruppen? Gerade in der Oberschule ist eine professionell geführte Sozialpädagogik maßgebend, man kann nicht auf der einen Seite über Jugendkriminalität schimpfen und auf der anderen Seite Sozialarbeit in den Schulen nicht fördern. Wir hoffen, mit den empirisch erhobenen Daten verschiedener Oberschulen einen Ist-Zustand zu schaffen, anhand dessen Entscheidungen getroffen werden können, welche zukunftsweisend und nachhaltig für diesen Weltbereich der Jugendarbeit und Präventionsarbeit sind.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Pläne habe ich viele, das liegt vielleicht in meiner Vinschger Natur. Ein Doktorats-Studium habe ich im Hinterkopf, es ist aber nicht Priorität Nummer Eins. Vorerst möchte ich jetzt mal meine Arbeit in der Schulsozialpädagogik fortführen und mich weiterhin für Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeit einsetzen. Für die Zukunft würde mich eine Lehrbeauftragung an der Universität reizen, über einen kleinen Lehrauftrag dürfen Heidi und ich uns bereits ab Herbst freuen. Ich möchte das Wissen, dass ich mir durch Studium und Arbeit aneignen konnte, an Studierende weitergeben. Was die Zukunft bringt, wird man sehen, langweilig wird es sicher nicht.

Vielen Dank für Ihr Interview!

Interview: Nathanael Peterlini