Bronzolòt oder Krautwalsch?
salto.bz: Ist Krautwalsch ein Schimpfwort oder ein eigenständiger Dialekt? Was sagt die Sprachwissenschaft?
Katrin Tartarotti: In der Sprachwissenschaft steht der Begriff Krautwalsch im weiten Sinne für eine Sprachvarietät, die durch die Interaktion einer romanischen und einer germanischen Sprache entstanden ist. Unter den Varietäten, die als Krautwalsch etikettiert werden können, besteht zum Beispiel das Krautwalsch im Südtiroler Unterland aus dem deutschen Unterlandler Dialekt, dem italienischem Trentiner Dialekt und dem italienischen Standard. Da das Krautwalsch hier scheinbar eigenen Regeln folgt, könnte man in manchen Aspekten von einem Code sprechen, der sich einem eigenständigen Dialekt nähert. Gleichzeitig verrät die Volksetymologie eine abwertende Konnotation der Varietät, das heißt, die Mischvarietät der Walschen und der magnacrauti.
Sie haben das Krautwalsch systematisch erfasst? Wie sind sie vorgegangen?
Ich bin mit einem Mikrofon und einem Fragebogen direkt unter autochthone Sprecher gegangen. Da bin ich auf großes Interesse gestoßen, der Beitrag der Teilnehmer war groß. Wenn der Begriff Krautwalsch auch als Schimpfwort gelten könnte, so tut er das unter den Sprechern selbst überhaupt nicht. Sie haben stolz erklärt, wie und warum sie so sprechen. Die Daten wurden dann wissenschaftlich bearbeitet und dank eines theoretischen Musters von Peter Auer, Franz Lanthaler und Alberto Mioni kontextualisiert. Die Freie Universität Bozen hat sich dann unter der Leitung von Frau Professor Silvia Dal Negro einer größeren Forschung zum Thema gewidmet.
Man bedenke, dass im Sprachführer "Sprechen Sie Südtirolerisch?" rund 12% des Wortschatzes aus italienischen Wörtern besteht.
Wo wird in Südtirol noch Krautwalsch gesprochen?
Also ein bisschen krautwalschelen im weiteren Sinne tun wir alle. Man bedenke, dass im Sprachführer Sprechen Sie Südtirolerisch? rund 12% des Wortschatzes aus italienischen Wörtern besteht. Aber wenn wir jene Art von Krautwalsch meinen, die sich einem eigenen Code nähert, dann finden wir sie in den folgenden Gemeinden: Branzoll, Leifers, Pfatten, Salurn und in der Neumarkter Fraktion Laag. Es handelt sich um Gegenden, in denen man eine hohe Anzahl von italienischen Sprechern findet. Wenn man die Lage genauer analysiert, dann bemerkt man, dass das Krautwalsch nur in jenen Gemeinden entstanden ist, in denen nicht der italienische Standard, sondern der italienische Dialekt, und genau genommen der trentinische Dialekt gesprochen wurde, weil er als Brücke zwischen den zwei Sprachen und Kulturen fungiert hat.
Wie lässt sich dieser Dialekt historisch erklären?
Die bloße Präsenz von zwei Sprachen im selben Territorium reicht nicht aus, um Sprachalterationen hervorzurufen. Im Gegensatz zu anderen Teilen Südtirols herrscht in den Gemeinden, in denen das Krautwalsch entstanden ist, eine Art der Zweisprachigkeit, in der die jeweilige Sprachgruppe zwei Sprachen spricht, was durch bestimmte historische Voraussetzungen gefördert wurde.
Welche?
Um 1850 gibt es die sogenannte Trentiner Einwanderung. Tausende von Trentinern ziehen ins bonifizierte Unterland, um Arbeit zu finden. Hier sind sie nun die sprachliche Minderheit und nehmen deutsche Elemente in den italienischen Dialekt auf, vor allem auf lexikalischer Ebene. Die Varietät, die zum Beispiel in Branzoll daraus entsteht, nennen wir Bronzolòt, das heißt eine italienische Matrixsprache mit Entlehnungen aus dem deutschen Dialekt. Später ändert sich das Verhältnis: Italienisch ist nun die Mehrheitssprache und der Transfer erfolgt in der entgegengesetzten Richtung. Nun nimmt der deutsche Dialekt italienische Elemente auf und entwickelt sich so zum Krautwalsch. Die Interaktion zwischen Sprachen ist durch die Tatsache erleichtert worden, dass es sich um zwei Dialekte handelt und nicht um kodifizierte und normative Standardsprachen.Das heißt also zusammenfassend, dass sich das Krautwalsch durch die Präsenz zweier Sprachen, das Minderheit-Mehrheits-Verhältnis der Sprachgruppen, die Zweisprachigkeit innerhalb der selben Sprachgruppe und die Präsenz von dialektalen Varietäten entwickelt hat. Es ist natürlich auch eine Frage der Identität, die die Sprecher durch ihre Sprache mitteilen wollen.
Es hat zum Beispiel einige Sprecher gegeben, die augenscheinlich Krautwalsch sprechen, aber sich nicht als krautwalsche Sprecher bezeichnen
Wie viele Sprecherinnen und Sprecher sprechen Krautwalsch?
Das wurde bisher nicht erfasst. Man müsste sich vorher mit wissenschaftlichen Fragen beschäftigen: Welche Parameter soll man benutzen, um das Krautwalsch von anderen Varietäten zu unterscheiden? Ab wann spricht man von Krautwalsch? Wie viel muss gemischt werden? Wie viel muss davon gesprochen werden? Welche Kompetenz muss man haben? Auf eine Selbsteinschätzung kann man sich in diesem Fall nicht immer verlassen. Es hat zum Beispiel einige Sprecher gegeben, die augenscheinlich Krautwalsch sprechen, aber sich nicht als krautwalsche Sprecher bezeichnen, teils weil sie etwas anderes damit assoziieren, teils weil sie im formalen Kontext nicht zeigen wollen, dass sie so sprechen.
Werden die Sprachvarietäten nur von den Älteren, oder auch unter Jugendlichen gesprochen?
Mischvarietäten benutzen beide Generationen. Die älteren Generationen sprechen Bronzolòt, die jüngeren Bronzolòt und vor allem Krautwalsch, was wie gesagt mit dem Verhältnis der Sprachgruppen im Laufe der Geschichte zusammenhängt.
Was kann man machen, damit diese Sprachvarietäten nicht aussterben?
Das Mittel, das hier Dialekte weiterführt, sind die dörflichen Traditionen wie Krampus, Wurschten, etc., und das soziale Zusammenkommen in Bars und bei Veranstaltungen. Sobald der Kontext formeller wird, switchen die Sprecher in den deutschen oder italienischen Dialekt. Es gibt zudem einzelne Personen, die Material sammeln. Günther Pallaver hat zum Beispiel deutsche Lehnwörter im Bronzolòt erhoben und B. Corteletti veröffentlicht 2017 ein Wörterbuch zum Bronzolòt.
Sie kommen aus Branzoll. Sprechen sie in erster Linie Italienisch, Deutsch, Bronzolòt oder Krautwalsch?
Ich persönlich spreche im Dorf den deutschen Dialekt, den italienischen Standard und ein bisschen italienischen Dialekt. Meine Mutter hat uns beim Mischen immer korrigiert und gemeint: Red net Krautwalsch! Aber ab und zu passiert es halt.
Welche Besonderheiten finden sich im Dialekt Bronzolòt. Was unterscheidet ihn vom Dialekt Krautwalsch?
Im Bronzolòt finden wir wie gesagt deutsche Elemente, die in den italienischen Dialekt aufgenommen worden sind. Man kann ihn als die andere Seite der Medaille der Sprachvariation im Branzoller Kontext ansehen. Historisch gesehen ist er vorher entstanden. Was die Form betrifft, so treten die deutschen Elemente im Bronzolòt, oder dem was wir heute vom Bronzolòt erleben, fast nur auf lexikalischer Ebene auf. Der Einfluss der italienischen Sprache auf den Dialekt macht sich hingegen auch auf phonetischer und manchmal sogar auf syntaktischer Ebene bemerkbar. Während der Dialekt Bronzolòt bereits eingefroren ist, lässt das Krautwalsch stets viel Raum für neue Alterationen zu.
Ich habe folgenden Satz gefunden: „Es ist erstaunlich wie einsprachig ein Dialekt sein kann, der sich aus zwei Sprachen zusammenfügt!“ Was ist damit gemeint?
Damit könnte gemeint sein, dass eine Mischvarietät, die aus zwei Sprachen besteht, ein eigenes System mit eigenen Regeln entwickelt. Es gibt im Bronzolòt und im Krautwalsch tatsächlich eigene Regeln, die auf ein eigenständiges System hinweisen könnten, zum Beispiel die morphologische Anpassung der Lehnwörter.
Warum ist Dialektforschung wichtig?
Dialektforschung ist wie jede Forschung ein Versuch der Aufklärung, sie soll erklären, weshalb etwas ist wie es ist, um im besten Fall voreiligen Urteilen entgegenzuwirken. Vor allem in Südtirol scheint mir die Dialektforschung wichtig zu sein, da die Muttersprache der deutschsprachigen Südtiroler schlussendlich ja ein Dialekt ist. In Bezug auf das Krautwalsch ist die Forschung auch für die Didaktik wichtig, um bestimmte Phänomene, wie eben den Transfer von fremdem Material, zu verstehen.
In Bozen wird Krautwalsch nicht gesprochen. Warum?
Bozen hat eine hohe Anzahl von italienischen Sprechern. Trotzdem hat sich hier das Krautwalsch nicht im selben Ausmaß entwickeln können, weil es kein langes Zusammenleben der Sprachgruppen gegeben hat wie im Unterland. Zudem sprechen die italienischen Sprecher in Bozen Standarditalienisch. Der trentinische Dialekt und seine Notwendigkeit, sich der damals deutschen Mehrheitssprache zu öffnen, um eine einzige Sprachgruppe zu bilden, sind hier ausgefallen.
Nem a slaifenar?
Der Begriff „slaifenar“ passt in die Jahreszeit? Was heißt „slaifenar“, ist das Bronzolòt oder Krautwalsch?
Der Begriff slaifenar gehört zum Wortschatz des Dialektes Bronzolòt. Etymologisch gesehen stammt der Begriff vom deutschen Verb schleifn, hier im Sinne von gleiten. Das Wort wurde in den italienischen Dialekt aufgenommen und der italienischen Form durch das Hinzufügen des Suffixes –are, -ar im Trentiner Dialekt, angepasst. Wenn Sie also jemand fragt: Nem a slaifenar? dann lädt er Sie gerade zum Schlittschuhlaufen ein.
Haben Sie Worte oder Sätze der beiden Dialekte, die Sie besonders mögen, oder besonders lustig finden?
Mein Lieblingswort ist der Begriff el spricarét. Ich habe das Wort oft hören müssen, bevor mir klar geworden ist, dass es vom deutschen Sprühgerät kommt. Ansonsten hat mir vor kurzem ein Freund ein neues Wort verraten, das ich besonders lustig finde: Atrezkastele (cassetto degli attrezzi).
Wenn ich in Branzoll Zigaretten kaufen möchte, dann frage ich nach dem „Tabacchino“ oder „Tabakele“?
Ja, da fragen Sie am besten nach dem tabacchino.
Ich habe mich nie mit diesem
Ich habe mich nie mit diesem Thema auseinandergesetzt; ich habe in meiner Kindheit im Passeier und Jugend in Meran die Bezeichnung krautwalsch aber ganz anders kennen gelernt:
Bei uns wurden die Trentiner und speziell die Fersentoler Kromer als Krautwalsche bezeichnet. Später im Lehrlings- und Kolpingheim in Meran wurden die Grödner und Gadertaler Lehrlinge und Gesellen, die es damals in Meran auch gab, als Krautwalsche bezeichnet.
Sehr gelungenes Interview.
Sehr gelungenes Interview.