Politik | Ziellos

Tyrann - Tourismus (I)

Fragt einer ernsthaft danach, wie es uns mit der fakturierenden Touristisierung unseres Lebensraums geht?
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  • Erstickende Zahlen

     

    «Was willst du mit dem Dolche? Sprich!»

    Entgegnet ihm finster der Wüterich.

    «Die Stadt vom Tyrannen befreien.»

    «Das sollst du am Kreuze bereuen!»

    (F. Schiller, Die Bürgschaft

     

    Sollten Kritiker oder Gegner des Tourismus, speziell des Massentourismus, das Land aus deren unschuldig-biederen Würgegriff befreien wollen, wäre das sicher ein hohes aber weltfremdes Ziel, für das keiner sein Leben aufs Spiel setzen sollte. Dass allerdings unmäßige, anonyme Massen an Touristen die Einheimischen und Ansässigen tyrannisieren, kann nicht mehr geleugnet werden, wird jedoch öffentlich nicht angemessen angesprochen, im Privaten dagegen um so stärker beklagt.  

    Davon wollen und können Touristiker im Bunker ihrer hermetischen  Geschäftskonstruktion nichts wissen. Das wäre insofern nicht von Bedeutung, wären sie nicht Betreiber dieser Tyrannei, oder doch maßgeblich daran beteiligt. Die Mauern ihres Bunkers sind zwar nicht sichtbar, aber spürbar, und zwar gerade deshalb, weil sie für alles nicht Zahlenmäßige – wie das Gespür – völlig undurchlässig sind. Nur ist das mit den Zahlen so eine Sache …  

    Die Massen an Touristen müssen ja, bevor sie gezählt werden können, erst einmal da sein bzw. da gewesen sein. Die erste Frage ist also nicht die nach den Zahlen, sondern die, wie die Massen an Touristen denn da sind. Dass sie viele und zu viele sind, ist durchaus ein wichtiger Aspekt, aber nicht der einzige und schon gar nicht der alles entscheidende. Wenn wir nur auf die Zahlen starren und die gegeneinander verrechnen, bleiben wir auf der Strecke, wir mit unserem selbst miteinander spürbar gelebten Leben. Zahlen dagegen sagen nicht, wie es mir geht, sondern sind isoliert und steril, ja sie sterilisieren alles – und gerade auch dieses Leben, das unmittelbare und an einem eigenen, besonderen Ort sich vollziehende Leben. 

    Nun liegt in dem, wie Massen an Touristen da sind das Tyrannische, nämlich darin, wie sie eine Gegend, einen Ort oder eine Stadt einnehmen und in sie einfallen. Solches Einnehmen und Einfallen wird ihnen von Touristikern gezielt eingerichtet und vorbereitet, wobei die Masse der Touristen in ihr selber wesenhaft ziellos ist. Das gezielte Einrichten von Ziellosigkeit scheint widersprüchlich und absurd, ja es ist absurd und zwar in dem Maße, dass touristisierte Gegenden, Orte und Städte von einer Atmosphäre der Absurdität durchzogen werden, in die Touristen sich nur allzu gerne aufgeben. 

    Dabei wird alles gewachsene, eingewohnte Ortseigene, das selber in sich ruht, seiner Ruhe entrissen und an die touristische Ziellosigkeit verschleudert, an eine Ziellosigkeit, die der Führung und Verführung bedarf und die in ihrer Unbestimmtheit, Beliebigkeit und Gleichgültigkeit das ihr Vorgegebene folgsam konsumiert und in einen Stoffwechsel verzehrt, der sich zählbar auf den Konten der Touristiker wiederfindet. 

    Alles gewachsen Angestammte der Ziellosigkeit konturlos träger Massen zu unterwerfen, heißt nicht nur, sich nicht an die Gewohnheiten und Bezüge jeweiliger Orte zu halten, sondern deren gewachsene Verbindlichkeit durch das selbstgefällige touristische Verhalten anmaßend für nichtig zu erklären. Ziellosigkeit braucht gerade blasse, verschwommene Unverbindlichkeit, die allem aufgezwungen wird als jener Freiraum, den die Masse als Tyrann für sich beansprucht, und den sie jetzt ungehindert durchstreifen kann. Zu derart verzwungenen Freiräumen mit all ihrer Hohlheit und Leere werden am Ende auch mein Café und meine Bar, werden meine Wege dorthin. Doch von diesen sinnlich mit Fleisch und Blut gelebten sinnvollen Gemeinschaftsräumen wissen die sterilen Zahlen der Touristiker nichts und auch jene nicht, die sich allein an Zahlen halten – vielleicht sogar als einzigen Halt und darum womöglich krampfhaft.  

    Können wir es also wagen, uns offen und gemeinsam aufzumachen gegen die durchaus richtigen, aber doch viel zu einseitigen und sterilisierenden Zahlen der Touristiker, die unser Leben tyrannisieren, oder  klagen wir lieber engagiert im Stillen unter uns (– womit wir ihnen den größten Gefallen gegen uns tun)? Wie geht es uns bei all dem?