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Wer weiß, was Milch ist?

„Bist du dumm? Laut Milchlobby schon!“ So wehrt sich ein Hafermilch-Startup gegen das Verbot der EU, pflanzliche Getränke als „Milch-Alternative“ zu bezeichnen.
Streitfall Milch
Foto: Clarissa Carbungco on Unsplash

Hafer-Milch, Soja-Jogurt und CO. klettern in der Beliebtheitsskala umweltbewusster und tierliebender Verbraucher*innen weiter nach oben. Eine Studie des Finanzdienstleisters ING zeigt: der Marktanteil pflanzenbasierter Alternativen  im Molkereisektor hat sich in weniger als 10 Jahren in der EU verdoppelt und lag 2019 bei 3 Prozent. Kein Wunder also, dass immer mehr Start-ups sich der Herstellung von nachhaltigen Milchalternativen verschreiben.

Doch wo mehr auf pflanzliche Alternativen zurückgegriffen wird, wittern Produzenten tierischer Milchprodukte potentielle Konkurrenz und versuchen diese im Keim zu ersticken. So sieht es der schwedische Haferdrink-Produzent Oatly, der Anfang des Jahres eine internationale Kampagne unter dem Motto „Are you stupid? The Milk Lobby thinks you are!“ startete.

Wie kam es zu diesem Streit um die Milchregale europäischer Supermärkte?

 

Hintergrund

 

Im Jahr 2013 verordnete die EU, dass Begriffe wie „Milch“, „Käse“ und „Jogurt“ nur auf Verpackungen stehen dürfen, die tierische Lebensmittel enthalten. Bezeichnungen wie „Hafermilch“ oder „Sojajogurt“ verschwanden von veganen Produktverpackungen und wurden ersetzt mit „Haferdrink“ oder „Soja-Schoko-Spezialität“. Was auf den Etiketten blieb, waren aber Hinweise wie „enthält keine Milch“ oder „Alternative zu Jogurt“.

Solche Hinweise könnten in Zukunft ebenfalls verboten sein, denn das EU-Parlament sprach sich im Oktober letzten Jahres mit knapper Mehrheit für einen Änderungsantrag der Molkereiindustrie aus. Nicht nur Beschreibungen der Produkte als „Alternative“ oder „milchlos“ sollen in Zukunft verboten sein, sondern auch Vergleiche mit tierischen Milchprodukten – zum Beispiel im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck. In strengster Auslegung dürfen pflanzliche Drinks vielleicht nicht mehr Verpackungen verwenden, die einer Milchtüte ähnlichsehen.

 

 

Das Argument der Molkereiindustrie für den Änderungsantrag: Verbraucher könnten nicht mehr zwischen echter und pflanzlicher Milch unterscheiden, und würden so in die Irre geführt.

 

Bist du dumm?

 

Laut dem schwedischen Hafermilchproduzenten Oatly verkauft die europäische Milchlobby die Verbraucher*innen damit für dumm. „Wir glauben, dass Verbraucher*innen sehr wohl dazu in der Lage sind, den Unterschied zwischen Haferdrinks und Kuhmilch zu erkennen und Ausdrücke wie „enthält keine Milch“ alles andere als verwirrend finden,“ erklärt Tobias Goj, Geschäftsführer von Oatly im deutschsprachigen Raum. Das Argument des Verbraucherschutzes der europäischen Molkereiindustrie sei somit nur ein Deckmantel für das, was im Grunde Zensur sei.

Das Argument präsentiert Oatly im gewohnten Stil seines innovativen Marketings: kreativ und lustig.

 

 

Um das Verbraucherschutzargument der Milchindustrie zu überprüfen, lädt Oatly die Verbraucher ironisch zu einem „Intelligenztest“ ein:

 

 

Oatly – bedeutet auf deutsch so viel wie „haferig“ – war das erste Start-up, das in den 90er Jahren auf Alternativen zu Milchprodukten setzte. Entstanden aus einem Experiment des schwedischen Forschers Rickard Öste von der Universität Lund – er entwickelte ein Enzym, das Hafer spaltet und in eine milchige Flüssigkeit umwandelt – gehört der europäische Vorreiter heute zu den erfolgreichsten Pflanzendrinks-Herstellern und ist mit seinen Produkten in mehr als 20 Ländern in Europa und Asien vertreten.

Seit 2018 ist Oatly auch auf dem deutschen Markt verfügbar, nach europäischem Gesetz unter der Produktbezeichnung „Haferdrink“. Laut Goj sorge das aber vielmehr für Verwirrung bei den Verbraucher*innen: „Wir sehen immer wieder, dass der Begriff „Hafermilch“ fest im Sprachgebrauch der Konsument*innen, Cafés und Restaurants verankert ist, weshalb es natürlich ohne Frage verwirrend ist, dass die Hersteller selbst nur von „Haferdrinks“ sprechen dürfen.“ Unverständlich sei es außerdem, dass Bezeichnungen wie Kokosmilch oder Erdnussbutter rechtlich gesehen völlig unproblematisch sind. 

 

Verbraucherschutz?

 

Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Silke Raffeiner teilt die Meinung von Oatly und hält die Verordnung der EU ebenso für eine „Bemühung, bestimmten Lobbys entgegenzukommen.“ Zwar sei transparente Information essentiell für die Verbraucher. „Aber man sollte sie auch nicht für blöd verkaufen,“ fügt Raffeiner hinzu. Dass Sojamilch nicht dasselbe wie Kuhmilch ist, hätte mittlerweile jeder und jede verstanden. Auch warum die CO2-Bilanzen nicht mehr miteinander verglichen werden sollten, erschließt sich der Expertin nicht, denn, dass bei der Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel weniger CO2 frei wird, wie bei tierischen Produkten, sei mittlerweile Allgemeinwissen.

Zahlreiche Umwelt- und Lebensmittelorganisationen sehen das genauso. Gemeinsam mit der Organisation ProVeg, die sich für Lebensmittelbewusstsein einsetzt, sowie Upfield, einem Hersteller von pflanzlichen Lebensmitteln, hat Oatly deswegen eine Petition gestartet, die bereits über 390.000 Unterzeichner*innen hat und von 98 Unternehmen unterstützt wird. „Wir alle sind der Meinung, dass dieser Änderungsantrag den Interessen der Verbraucher*innen widerspricht, Transparenz und fairen Wettbewerb erschwert sowie dem Pariser Abkommen und dem darin erklärten Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 entgegensteht,“ sagt Goj.

 Ob der Änderungsantrag 171 des europäischen Parlaments ins Gesetz aufgenommen wird, wird sich zeigen. Verhandlungen mit dem Rat der EU und der Europäischen Kommission stehen dazu noch aus, und am Ziel der 400.000 Unterschriften ist die Petition von Oatly und Co. auch ganz nahe dran.