Wirtschaft | Unternehmen

„Ich lebe Second-Hand-Mode“

Second-Hand hat sich zu einem boomenden Segment der Modebranche gemausert. Karin Klammsteiner trägt dazu bei, den Trend in Bozen salonfähig zu machen.
kleopatra.jpg
Foto: Kleopatra

Kleidung aus zweiter Hand? Die befreit sich in beindruckendem Tempo von ihrem einstigen Schmuddelimage. Und legt Wachstumsraten hin, von der man im Handel sonst nur träumen kann. Laut einer Studie der Unternehmensberatung KPMG und des Handelsforschungsinstitut EHI hat Secondhand-Kleidung das Potenzial, in den kommenden zehn Jahren einen Anteil des Fashionmarkts von 20 Prozent auf sich zu vereinen. Im Internet boomen Second-Hand-Plattformen mit hochpreisiger Designermode; gerade erst hat dort die Übernahme der US-Plattform Tradesy durch den französischen Marktführer Vestitaire Collective zur Entstehung eines neuen internationalen Riesen im Second-Hand-Segment geführt. Doch auch traditionelle Marktriesen wie Zalando, Otto oder H&M sind mittlerweile in das Geschäft mit gebrauchten Kleidern oder neudeutsch pre-owned fashion eingestiegen.

Einen Hauch von dieser Aufbruchsstimmung spürt man seit drei Jahren auch im Bozner Viertel Zwölfmagreien. Auf 220 Quadratmetern hat Karin Klammsteiner, Spross des bekannten Obst- und Gemüsehändlers, Bozens erste Adresse für Second-Hand-Mode geschaffen. An der – unter dem Namen der letzten ägyptischen Pharaonin Kleopatra – gebrauchte Kleidung wie in einer schicken Boutique verkauft wird. Beste Visitenkarte ist die Chefin selbst, die nicht nur tagtäglich im Geschäft, sondern auch in ihrem Instagram-Auftritt persönlich vorführt, wie stylish gebrauchte Kleider aussehen können. Die Kundinnen werden hier meist mit Vornamen oder „cara“ angesprochen, der Umgangston ist locker und familiär.  „Die Farbe steht dir nicht. Aber die Hose sehe ich gut bei dir, die ist von Dolce & Gabbana, die geht ein bissl baggier“. Oder: „Du hast Glück heute, ich habe grad zwei Vintage-Taschen reinbekommen. Und wenn du willst, geb ich dir die Nummer von einer Taschenschneiderin, die repariert dir diesen kleinen Fehler hier super um nicht viel Geld.“ Immer wieder wird unser Interview kurz von solchen Dialogen mit Kundinnen unterbrochen. Nebenbei hängt Klammsteiner Kleider um, drapiert einzelne Stücke auf kleinen Teppichen, um sie später auf Instagram hochzuladen, neben der Mundwerbung ihr einziger Werbekanal.  

Salto.bz: Warum verkaufst du Second Hand-Kleider?

Karin Klammsteiner: Weil ich total davon überzeugt bin und seit meinem 15. Lebensjahr Second-Hand-Mode lebe. Für mich war Kleidung immer schon eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Ich liebe das Gefühl, etwas anzuhaben, das zu mir passt, in dem ich mich schön finde. Aber vor allem als junge Gitsch bin ich immer schnell stuff geworden von den Sachen. Und ich wollte nie anhaben, was alle tragen. So habe ich Second-Hand entdeckt, da konnte ich günstig kaufen und mir meinen eigenen Style kreieren. Wenn ich in ein Second-Hand-Geschäft hinein gegangen bin, ob in Wien, Berlin, oder wo auch immer auf der Welt: Ich hab immer Teile gefunden, die mir in dem Moment etwas gegeben haben, die wie auf mich gewartet haben.  

Mittlerweile liegst du damit ja voll im Trend.

Das sagen mir jetzt viele, aber mich interessieren Trends nicht. Ich mache, was ich will, und ich wollte dieses Geschäft wirklich mehr als alles andere bisher in meinem Leben.

Dabei war eigentlich Gemüse und Obst dein Geschäft …

Ja klar, zehn Jahre lang. Ich habe dann auch die Firma meines Vaters mit meinem Bruder übernommen und vier Jahr lang gemeinsam mit ihm geführt. Aber irgendwann habe ich einfach keine Freude mehr daran gehabt, Obst zu verkaufen und gespürt: Ich muss das jetzt einfach probieren, sonst werde ich nie wissen, ob es funktioniert, ob ich aus meiner Passion ein Unternehmen machen kann. Ich habe auch nicht viel zu verlieren gehabt. Ich hatte mir Geld gespart dafür; das Geschäft hier habe ich großteils mit Möbeln aus der Wohnung meines Bruders eingerichtet, der damals gerade ins Ausland zog. Hier ist wirklich alles Second-Hand, auch der Spiegel hier, der Stoff vor der Garderobe (lacht).

Seit damals sind drei Jahre vergangen. Hast du in der Zeit einen Mentalitätswandel bei den Südtirolerinnen gegenüber gebrauchten Kleidern beobachtet?

Sagen wir: Anfangs haben die meisten total viel gefragt: Wie Second-Hand, warum alles gebraucht? Mittlerweile fragt kaum mehr jemand. Aber ich muss auch sagen, dass ich zu rund 80 Prozent mit Stammkundinnen arbeite. Ich mache auch fast keine Werbung, abgesehen von Instagram. Mir passt das so. Ich bin ein Ein-Frau-Betrieb und muss das ja auch alles handeln können.

Was ist der Unterschied zwischen deinem Geschäft und einer normalen Boutique – außer dass die Sachen, die du verkaufst, schon getragen wurden?

Ich habe zum Beispiel so viele unterschiedliche Stils und Sachen, die eine Boutique sicher nie haben kann. Ich verkaufe jede Größe, alle Materialien, ich habe wirklich viele verschiedene Epochen in meinem Laden. Was ich aber schon probiere und was mir wichtig ist: Ich probiere immer Fashion aufzunehmen. Mode, die auch alltagstauglich ist, und die ich auch anziehen würde. Ich nehme nichts an, das ich selber nicht anziehen würde oder wo ich nicht weiß, wie kombinieren. Außerdem habe ich von Beginn an Wert darauf gelegt, auch gute Marken und ein cleanes und cooles Geschäft zu haben. 

 

Ich verkaufe jede Größe, alle Materialien, ich habe wirklich viele verschiedene Epochen in meinem Laden.

 

Und du hast wahrscheinlich noch öfter wechselnde Kollektionen als große Kleiderketten, weil du ständig neues Zeug reinbekommst?

Ich habe keine Ahnung, wie viele Kollektionen Ketten haben. Ich weiß nur, dass ich Kleider von zwei bis acht Leuten am Tag aufnehme.

Und das sind dann jedes Mal mehrere Stücke pro Verkäuferin?

Oft sind es acht Stücke, oft nur eins, kommt darauf an, wie viele mir gefallen. Wenn mir nur eines gefällt, nehme ich nur eines, und wenn keines dabei ist, eben überhaupt nichts.

Da bist du knallhart?

Ja, immer schon. Aber auch weil ich so viel Nachfrage habe, ich kann mir auch leisten, wählerisch zu sein.

 

 

Und wie funktioniert dein System genau?

Ich habe einerseits Kundinnen, die mir Kleider auf Provision bringen und dann andere, die kaufen. Konkret schicken mir Leute, die was verkaufen wollen, Bilder der Stücke, und wenn was dabei ist, machen wir einen Termin und ich nehme die Ware auf Provision in mein Sortiment auf. Wenn sie verkauft wird, behalte ich mir meine Spanne. Wenn das Stück dagegen nach drei Monaten nicht verkauft wurde, geht es wieder zurück an die Kundin.

Ist deine Spanne mit jener im herkömmlichen Modehandel vergleichbar?

Ich weiß nicht einmal, wie hoch die sonst ist. Ich habe das für mich so festgesetzt, weil es mir für beide Seiten fair vorkommt, also 40 für die Verkäuferin und 60 für mich. Denn ich habe die ganze Arbeit und muss meine Einkünfte ja auch noch versteuern. Für Second-Hand zahlt man gleich viel Steuern wie für alle anderen Kleider, obwohl die Sachen eigentlich schon einmal besteuert wurden.   

 

Für Second-Hand zahlt man gleich viel Steuern wie für alle anderen Kleider, obwohl die Sachen eigentlich schon einmal besteuert wurden.   

 

Ist es schwieriger an gute Ware zu kommen oder sie zu verkaufen?

Zum Glück ist das meist recht ausgewogen, sonst hätte ich ein Problem. Und ich habe auch viele Frauen, die zuerst nur verkauft haben, und mittlerweile auch gerne einkaufen.

Und wer sind diese Frauen, gibt es da bestimmte Typen, die bei dir kaufen oder verkaufen?

Ich würde sagen, mein Kundinnensegment fängt so bei Frauen ab etwa 25 Jahren an. Aber sonst habe ich wirklich jede Art von Kundinnen: von Frauen in repräsentativen Positionen, die sich nicht leisten können, dasselbe Kleidungsstück öfter zu tragen und mir regelmäßig tolle Markenware bringen, bis hin zu ganz einfachen Menschen; Es kommen auch nicht nur Frauen aus Bozen oder Südtirol, sondern von überall her. Da gibt es zum Beispiel zwei Mailänderinnen, die hier Verwandte haben, die bringen mit regelmäßig Sachen. Und ich kann auch sagen, dass mittlerweile auch Leute mit Geld bei mir kaufen, und das nicht wenige.

Also ein richtig bunter Mix?

Das hat sicher auch damit zu tun, dass bei mir jede gleich behandelt wird – egal, ob sie mit einer Louis-Vuitton-Tasche kommt oder mit einer O’Neill-Bluse. Ohne all die Frauen, die bringen und kaufen, hätte ich meinen Traum nicht erfüllt. Klar, ich mache das Bürokratische und habe das System entwickelt, das viel Arbeit mit sich bringt. Doch Kleopatra sind wir alle, das Geschäft sind alle Frauen gemeinsam, die bringen und kaufen.

Man könnte auch sagen: ein Ansatz voll im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Ein solch nachhaltiger Umgang mit Kleidern ist einer der wichtigsten Gründe, der als Erklärung für den aktuellen Trend von Second-Hand genannt wird.

Ich muss ehrlich und offen zugeben: Ich habe das Geschäft nicht aus Nachhaltigkeitsgründen eröffnet, sondern weil es mein Traum war. Doch mittlerweile spielt das Thema für mich schon auch eine Rolle. Es gibt so viele Statistiken, die einem echt die Augen öffnen. Zum Beispiel könnte sich die gesamte Menschheit noch 30 Jahre lang mit den bereits existierenden Klamotten einkleiden. Bei einem T-Shirt, das 29 Euro kostet, gehen gerade einmal 18 Cent an alle beteiligten Arbeitskräfte. Die Modebranche ist nach der Erdölindustrie sicher die grausigste Industrie.

 

Zum Beispiel könnte sich die gesamte Menschheit noch 30 Jahre lang mit den bereits existierenden Klamotten einkleiden.

 

Doch auch hier gibt es nun einen starken Trend zu mehr Nachhaltigkeit, ökologischen Materialien und faireren Arbeitsbedingungen.

Ja, das ist auch toll. Aber man muss trotzdem sagen: Auch Ökomode wird neu produziert, während bei Second-Hand eben nur Kleider verkauft werden, die es bereits gibt.

Corona, das Arbeiten im Home Office, die Zeiten im Lockdown und natürlich auch finanzielle Nöte haben die Bedeutung von neuen Kleidern letzthin für viele Menschen relativiert. Geht es nicht auch einfach darum, generell runterzufahren und weniger bis nichts zu kaufen?

Ich lasse mir durch Corona sicher nicht meine Passion für Mode ruinieren. Das sollte niemand. Wichtig ist aber, bewusst zu kaufen, und nur zu kaufen, was mir wirklich gefällt. Und, was ich auch selbst praktiziere: Für jedes neue Stück das reinkommt, muss ein anderes aus dem Kasten raus, sonst wird es einfach zu viel. Darüber hinaus empfehle ich meinen Kundinnen immer: Kauft nicht immer dieselben Sachen, sonst hat man wirklich das Gefühl zu wenig zu haben. Kauft besser ganz unterschiedliche Kleider. Interessant finde ich übrigens, dass uns die junge Generation nun sagt, dass wir uns durch Kaufen belohnen. Die verweigern sich da eher, sich glücklich zu kaufen.

Ein Motto der vorhergehenden Generation ist dagegen eher, alles das gut läuft, immer noch schneller und größer machen zu müssen. Hast du nach den ersten drei Jahren das Bedürfnis, zu wachsen, weitere Second-Hand-Geschäfte zu eröffnen?

Nein, mir würde nicht einfallen, noch ein Geschäft aufzutun. Das kannst du mir jetzt glauben oder nicht, aber erstens will ich nicht reich werden. Zweitens ist mir wichtig, dass mein Alltag schön ist, und das ist er, seit ich dieses Geschäft habe. Es gibt also keinen Grund, größer werden zu wollen. Ich habe da einfach das Motto: Kral net, solange du gut liegst.