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Wohlstandsbeschaffer Tourismus?

Die immer noch wachsenden Tourismusindustrie ist stets bemüht, den Tourismus als wichtigste Wohlstandsquelle darzustellen. Doch um welchen Wohlstand geht es und für wen?
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Hotelbau statt Äpfel und Reben in Schreckbichl bei Girlan
Foto: Thomas Benedikter
  • „Der Beitrag des Tourismus  zum Wohlstand werde nicht ausreichend gewürdigt,“ meinte LTS-Präsident A. Hofer bei der jüngsten LTS-Vollversammlung und stimmte das übliche Loblied auf den Tourismus als Wirtschaftsmotor, Jobmaschine, Investitions- und Einkommensbeschaffer an. Dass der Tourismus wächst, beweisen die Zahlen, doch heute ist zu fragen, ob man den Wohlstand der Bevölkerung nur mehr in Maßstäben von Ankünften, Nächtigungen, Umsätzen und verbauter Kubatur messen kann. Doch wie belastet die touristische Überbeanspruchung den Wohlstand? Und wie ist die touristisch geschaffene Zusatzwertschöpfung sozial verteilt? Laut einer Studie der Universität Bozen nimmt eine Mehrheit der Bevölkerung die Auswirkungen in zumindest drei Bereichen als sehr oder überwiegend negativ wahr: Immobilienpreise, Verkehrsbelastung und Lebenshaltungskosten. Die klare Mehrheit wünscht sich nicht mehr Tourismus, also Wohlstand im Sinne des LTS, was von der Tourismusbranche beharrlich ignoriert wird.

    Die öffentliche Skepsis sei unangebracht, meinte sinngemäß HGV-Direktor Mooswalder bei derselben Veranstaltung und befasste sich mit dem Hauptproblem der Touristiker: nicht das Scheitern der Bettenstopp-Regelung mit jetzt 260.000 Betten Tendenz weiter steigend, nicht die zunehmende Verkehrslawine, die nicht weniger als 24% des internen Verkehrsaufkommens Südtirols ausmacht (vgl. H.P. Niederkofler, Tourismus in Maßen statt in Massen, arcaedizioni 2024, 43 ff.), nicht der enorme Ressourcenverbrauch und der fehlende Beitrag des Tourismus zur CO2-Emissionsminderung. Für keinen der LTS-Versammlungsredner ist der Klimaschutz ein ernst zu nehmendes Thema. Nein, es ist die sinkende „Tourismusgesinnung“, die Einheimischen, die die touristische Zwangsbeglückung nicht schätzen.

    Wenn heute jemand – außer den Investoren selbst - stark vom Wachstum im Tourismus profitiert, ist es das Bauhaupt- und Nebengewerbe. Wie die SWZ vermeldet, sind der Tourismus und die Öffentliche Hand derzeit die Haupttreiber der guten Auftragslage dieser Branche. Noch mehr Hotelkubatur auf die grüne Wiese: das ist keine gute Nachricht weder für die Landschaft noch fürs Klima. Denn jedes zusätzliche Bett will auch gefüllt werden, wird beworben, erzeugt mehr Verkehr und Ressourcenverbrauch.

    Dann die Geschichte mit den Arbeitsplätzen. Heute arbeiten zur Hochsaison über 50.000 Menschen abhängig und selbstständig im Tourismus. Ganzjahresarbeitsplätze gibt es in dieser Branche weit weniger. Im Jahresdurchschnitt liegt die Beschäftigtenzahl bei 37.500 (ASTAT 2023, vgl. HGV), was rund 14% der Gesamtbeschäftigten entspricht. Die Arbeit im Tourismus weist eine vergleichsweise geringere Produktivität und unterdurchschnittliche Entlohnung auf. Südtirol mit seinem leergefegten Arbeitsmarkt braucht heute nicht mehr so viele unterbezahlte, nicht stabile, saisonale und unterversicherte Arbeitsplätze im Gastgewerbe.

    Zudem stellt sich in Zeiten des demografischen Wandels die Frage der Beschäftigung neu. In den nächsten 10-15 Jahren wird sich der Personalmangel in verschiedenen qualifizierten Bereichen von der Pflege über das Handwerk bis zum Bildungssystem verschärfen, wie auch die Banca d’Italia festhält. In dieser Situation gereicht zu viel Tourismus zum Schaden, weil er tausende junge Erwerbstätige absorbiert, die in anderen Bereichen sozial, ökologisch und sogar wirtschaftlich sinnvoller tätig sein könnten. Von wem werden wir im Alter gepflegt? Von Robotern? Welche Techniker installieren klimafreundliche Heizungen für 80.000 Haushalte, die noch mit Gas und Öl heizen? Wer saniert zehntausende alte Häuser? Welche jungen Menschen lehren und erziehen auf allen Stufen? 

    Ohne Zweifel hat der Tourismus zum heutigen Wohlstand im Land beigetragen, doch dank exzessiver touristischer Vermarktung sind wir heute die tourismusintensivste Region der Zentralalpen, in der Spitzengruppe bei der Tourismusintensität unter den EU-NUTS-II Regionen. Wägt man heute Vor- und Nachteile einer weiter wachsenden Tourismusindustrie ab, muss man zum Schluss kommen: angesichts der Überbelastung ist noch mehr Tourismus nicht mehr Wohlstandsbeschaffer, sondern wohlstandmindernd, eine wirtschaftspolitische Umorientierung absolut geboten. Auch für LTS, IDM, HGV und Landesrat mal Anlass, sich mit den Grenzen des Wachstums zu befassen, statt mit der rituellen Beschwichtigung der besorgten Bevölkerung?