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Ausschluss und Einblick

Ein Zelt, das sich über den Brenner spannt, nahm in Brixen Marlene Streeruwitz und Übersetzerin Donatella Trevisan auf. Welchem Ausschlussverfahren folgte die Wienerin?
Marlene Streeruwitz und Donatella Trevisan, Zeitworte
Foto: Florian Dariz
  • Nachdem im Mai die erste Veranstaltung des in Zusammenarbeit mit dem ZeLT (Europäischen Zentrum für Literatur und Übersetzung) neu gestalteten Alphabeta-Formats Zeitworte / Parole del Tempo Sebastiano Mondadori in Bozen als Protagonisten sah, ging es Samstagabend in Brixen weiter. In die Stadtbibliothek Brixen kam ein literarisch und sozial am Thema „Ausschluss“ Interesse findendes Publikum, vor allem um der scharfen, klaren und nüchternen Stimme von Marlene Streeruwitz zu lauschen.

    Die Wiener Schriftstellerin gilt als aufmerksame Beobachterin der Gegenwart und wird auch dank ihrer präzisen, unaufgeregten und mit verknappten Sätzen arbeitenden Art, die sich allen auktorialen Tendenzen widersetzt, geschätzt. Marlene Streeruwitz schildert einen Blick in den Spiegel der an Sprache und Aussparungen ausdifferenziert wird. Erst führte das ZeLT aber in den Modus des Projektes ein und das Innsbrucker Lyrikfestival W:ORTE entsandte seine Grüße. In den Worten von Co-Organisatorin Siljarosa Schletterer habe das Festival Kooperation, wie in diesem Fall zum dritten Mal Brenner-übergreifend, als Handschrift und bemühe sich seit nunmehr 10 Jahren, Orte in und um Innsbruck zu „poetisieren“. Worte seien nicht eingrenzbar, so Schletterer.

    Das eigene Wunsch-Zeitwort von Streeruwitz war beim Treffen Anfang März übrigens „König“, wo wir schon bei, zumindest sprachlichen, Hoheitsgebieten sind. Damit hätte man jedenfalls auch, so wie mit Ausschluss, den Nerv der Zeit treffen können, überschatteten doch am Wochenende die „No Kings“-Demonstrationen bei weitem Donald Trumps Geburtstagsparade. Die Autorin meinte, es sei der Begriff auch an seinem italienischem Pendant, dem „re“ gescheitert, der nicht dasselbe Gewicht hätte. „Ihr Italiener hattet das auch nicht so lange wie wir“, scherzte die österreichische Autorin.

  • Interesse: Wer oder was dieses Mal ausgeschlossen sein würde, konnte ein ausgesprochen interessierte Literaturpublikum zu Beginn des Abends kaum erwarten. Zeit für Grüße muss sein. Foto: Florian Dariz

    Herausfordernd war sicher auch Donatella Trevisans Arbeit der Übertragung von Marlene Streeruwitz essenzieller, oft mehr an ein Langgedicht erinnernder Sprache, die oft vor Ende eines Satzes mit einer Synkope abreißt. Die Fehlstellen, die sich im Kopf des Lesers füllen, erfordern im Italienischen das Spiel mit der Syntax, für welches Trevisan eine neue, stimmige Prosodie des Textes finden muss. Die Autorin, welche sich mit der Übersetzerin abwechselt und verschiedene Ausschnitte, statt wie beim letzten Mal das volle Werk vorliest, genießt sichtlich, der Übersetzung zu lauschen. Dieselbe Deutungsoffenheit, die Trevisan etwa auch schon für ihre Anita Pichler Übersetzungen gesucht hatte, ist der Sache ausgesprochen dienlich.

    Den „missbrauchten“, oder „geschundenen“ Worten gibt Streeruwitz wieder etwas an Atemluft zurück, indem sie sich selbst zurückhält. Das Zurückhalten der Außenwelt oder das Fehlen von Rückhalt jedenfalls, färben unseren Blick in den Spiegel. Für Trevisan sind die weiblichen und männlichen Pronomen eine der größten Herausforderungen, da sich nicht jeder Satz mit einem „lui“ oder „lei“ beginnen lässt. Das grammatikalische Geschlecht ist bei Streeruwitz ein klar definiertes und auch es färbt den Blick in einen Spiegel. Sich selbst jenseits solcher Kategorien zu sehen ist dabei auch kaum möglich und färbt das Bild im Glas ein.

    Dass die Worte Gender oder Queerness nicht fallen, die sich als Themen durchaus aus dem Text herauslesen ließen, hängt wohl auch mit Streeruwitz neutraler, etwas distanzierterer Haltung zusammen. Generell lehnt sie Kategorisierungen ab und merkt an, dass wir in Sachen Akzeptanz schon einmal weiter waren, als es noch weniger Labels und Zuschreibungen gab. Ähnlich sieht die Autorin die Einordnung ihrer Texte. „Es ist ein Text.“, so Streeruwitz vor einer Pause. „Ein Text, der sich da irgendwo zwischen den Genres bewegt.“ Überhaupt müssten wir über das Denken in Boxen hinwegkommen. Das Kind benennen, als Erzählung oder Langgedicht etwa, wollte Marlene Streeruwitz daher auch nicht.

     

    „Wieso hat er das so entschlossen gesagt, dieses ‚ausgeschlossen‘ und warum zweimal?“

     

    Poetologisch teilt sich Marlene Streeruwitz ruhiger Blick in zwei Sphären, jene der Pflege und jene der Öffentlichkeit. Der Blick in den Spiegel markiert so etwas wie eine Schwelle, am Weg vor der Tür. Still spielt die Welt ins Kleine herein, Szenen werden aus der Erinnerung wach.

    Es war ein Abend der im besten Sinne im Zeichen der Sprache und auch der Menschlichkeit stand, auch wenn er – bei der Übersetzung Donatella Trevisans ansetzend – mit einem doppelten „escluso“ beginnt, oder im Original: „Wieso hat er das so entschlossen gesagt, dieses ‚ausgeschlossen‘ und warum zweimal?“ Die Autorin hört auf den Ton, analysiert das scharf gesprochene Doppel-S und liest aus dem Blick einer Mutter das geteilte, familiäre Trauma. Eine langsame, methodische Lektüre führt schließlich zum Kern des Mutter-Kind-Konflikts. „Sie hängte die Jacke am Knauf der Kastentür auf, legte die Hose aufs Bett. In gewisser Weise war diese Mutter immer noch mit der Geburt beschäftigt und er mit dem Geborenwerden. War es daraus, dass er sie ausschloss? War er nicht gelungen, dieser Vorgang, die eigene Sexualität zu verlassen und musste sie deshalb ausgeschlossen werden, um diesen Vorgang nicht verlassen zu müssen? Sie seufzte und knüpfte den Morgenmantel auf.“

    Expliziter als an dieser Stelle wird der wie gesagt antiauktoriale Text nicht und es bleibt am Ende dem Leser überlassen, Grenzen des Ausschlusses zu definieren. Marlene Streeruwitz, die am 28. Juni ihren 75. Geburtstag feiert und sich selbst als Feministin der ersten Generation bezeichnet und fürs Studium noch die Unterschrift ihres Mannes brauchte, lädt in jedem Fall zum ruhigen, unaufgeregten Zuhören und zum Dialog ein. Beides fand in der Brixner Stadtbibliothek schon mal einen fruchtbaren Boden.

  • esclusione / Ausschluss

    Es verbleibend zwei Termine von Zeitworte / Parole del Tempo: Am 8. August geht die Reihe mit der bosnisch-italienischen Autorin und Übersetzerin Elvira Mujčić und Moderatorin Alma Vallazza in der Stadtbibliothek Bruneck weiter. Am 5. September folgen der „vulkanische“ Kurt Lanthaler und Moderator Stefano Zangrando in der Stadtbibliothek Meran. Zum Zeitwort 2025 „Ausschluss / Esclusione“ erscheint eine Doppelpublikation bei Edizioni Alphabeta Verlag Anfang 2026 mit allen vier Texten in deutscher, beziehungsweise italienischer Version.