Wer kann sich Wohnraum leisten
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Text: Thomas Huck
Eine Kurzversion dieses Textes wurde zuvor in dérive | Zeitschrift für Stadtforschung, Ausgabe 102, veröffentlicht
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Distanzen innerhalb Europas sollte man wohl weniger in Metern messen, als in Grundstückspreisen. So scheint es sich ein Bekannter von mir gedacht zu haben, als er von den sonnigen Ritten in Südtirol ins estnische Hinterland zog – und die Bodenpreise seiner Umgebung damit auf ein Tausendstel reduzierte. Von durchschnittlich mindestens 500 bis 750 Euro pro Quadratmeter Baugrund – sofern überhaupt einer zum Verkauf steht – auf maximal 50 Cent. Weiter weg hätte man immobilientechnisch innerhalb Europas kaum verziehen können. Es war jedoch nicht die erste Grundstücksflucht aus Südtirol, die ich beobachtete. Vor einigen Jahren ließen sich die Eltern eines Freundes scheiden. Das Einfamilienhaus wurde verkauft, und mit ihrer Hälfte des Vermögens kaufte sich die Mutter eine kleine Wohnung mit Garten im Nachbarort, während der Vater in Ungarn einen Bauernhof samt Nebengebäuden und Liegenschaften erwarb.
Die Nachfrage bestimmt den Preis – so will es der Markt. Aber wenn niemand mehr fragt, wäre dann alles umsonst?
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geld . macht . raum
über die ökonomie des wohnens
aut. architektur und tirol
8. November 2025 bis 21. Feber 2026 -
Süd- und Nordtirol liegen eingezwängt zwischen Gebirgsketten – nur rund 10 Prozent ihrer Flächen gelten als Dauersiedlungsraum. Auf diesem begrenzten Terrain verdichten sich die Interessen an Grund und Boden zu einem besonders intensiven Geflecht. Diesbezügliche Problematiken führen dort besonders direkt zu Verwerfungen, weshalb bereits kleinste Veränderungen schnell und gut sichtbar werden. Doch diese Entwicklungen verteilen sich keineswegs gleichmäßig über die bereits reduzierte Nutzfläche. Als Inbegriff alpiner Urlaubskulissen, verdichten sich Entwicklungen auch noch auf gewisse touristische Hotspots, wo sich finanzielle und geografische Interessen besonders dicht aneinanderreihen. Wie also umgehen mit einem ökonomischen Gut, das sich der Reproduzierbarkeit entzieht – und damit in seiner Grundessenz allen Marktlogiken widerspricht?
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Diesen und ähnlichen Fragen widmet sich das aut – Architektur und Tirol – in seiner neuesten Ausstellung geld . macht . raum . Über die Ökonomie des Wohnens. Eine Ausstellung, die bewusst anecken will und durchaus das Potenzial zum Skandal hätte, jedoch von den dafür nötigen betroffenen Personen wohl kaum besucht, wenn nicht sogar gezielt gemieden wird, um sich somit dem Diskurs zu entziehen. Trotzdem versucht man für das Thema die Stimme zu erheben und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn wenn genügend – und vor allem die richtigen – Menschen mit wachsendem Nachdruck das Ende der Bodenspekulation und entsprechende Reformen fordern, würde tatsächlich Bewegung in die Sache kommen. So ähnlich formulierte es Hans-Jochen Vogel, 1970, damals Bürgermeister von München, in einer Rede vor dem Stadtrat im Zuge seiner Bundes-Bodenreformbewegung ausgehend von einer Stadt an. Er sah Kommunen als einzige Garanten für langfristige soziale Bodenpolitik. Sein Vorhaben scheiterte, als er zum Minister, und das Thema dadurch ins Abseits befördert wurde. Mit seinen Forderungen, die er zuletzt nochmals in einem Buch zeitgerecht aufarbeitete, traf er einen Nerv – so etwa mit der These: Miete sei nichts anderes als eine Vermögensumverteilung nach oben. Eine Aussage, die 55 Jahre später in der Ausstellung mit Zahlen und Fakten untermauert wird. Weitergedacht wird sie mit dem Vorwurf, dass diese Umverteilung heute sogar doppelt stattfinde: einmal durch die fortlaufenden Mietzahlungen – ein Gewinn, welcher auch noch vertraglich (wert-)gesichert ist –, und zugleich durch die rapide Wertsteigerung des Mietobjekts selbst. Doch Vogel und sein Werk bilden nur einen der vielen Bezugspunkte, die im ersten Raum der Ausstellung frei angeordnet sind. Die kuratorische Setzung lädt Besucherinnen und Besucher ein, selbst Verbindungen herzustellen und Zusammenhänge räumlich zu erkunden. Den Raum spannt man dabei von Innsbrucker und Tiroler Gegebenheiten bis hin zum Status quo österreichischer und weltweiter Entwicklungen entlang der Achsen von Geld, Macht und Raum. In diesem Setting kommt man nicht um den größten Wohnskandal der österreichischen Republik herum: die BUWOG-Affäre. Dabei versucht die Ausstellung, das Thema von der sonst zentralen Person Karl-Heinz Grasser loszulösen und es in einem größeren wirtschaftlichen Kontext zu betrachten – ganz im neoliberalen Sinne ermittelt man dafür den monierten Wert der Sache. Diesen effektiven entstandenen wirtschaftlichen Schaden an der Allgemeinheit durch den vergünstigten Verkauf der staatlichen BUWOG-Wohnungen - bis heute ansonsten noch nicht ermittelten - beziffert das aut. rund zwölf Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt sind mögliche Folgekosten der letzten 25 Jahre durch ausbleibende Wertschöpfung oder soziale Fehlentwicklungen durch den Verlust von öffentlichem Wohnraum. Ein Thema, das bisher in der Presse eher gemieden wurde, da das Geld ja nicht verschwand, sondern lediglich privatisiert wurde. Ein weiterer, bislang unterrepräsentierter Aspekt, den die Ausstellung ans Licht bringt, ist der oft unterschätzte Anteil der Grundstückskosten an der Gesamtinvestition in Wohnbauprojekten. Das Sparen an den Baukosten, das oft genug auf Kosten der Qualität geht, kann jedoch an den Gesamtkosten nur wenig ändern; es macht nur rund ein Drittel derselben aus. Der überwiegende Anteil – 60 bis 80 Prozent – entfällt in Ballungsräumen mittlerweile auf den Boden selbst. Dessen Reglementierung gilt jedoch in einer marktwirtschaftlich geprägten Logik als verzerrender Eingriff in den Markt und damit als Tabu.
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In den Folgeräumen wird in mehreren, teils interaktiven Installationen dann doch am Beispiel der Stadt Innsbruck und an weiteren Extremfällen eindrucksvoll vorgeführt, wie all diese Themen im Alltag ineinandergreifen – und welchen Folgen dadurch entstehen. Das geschieht etwa anhand ausgewählter Mietangebotsschmankerl aus dem Nordtiroler Lokalanzeiger, von denen eines originalgetreu nachgebaut wurde: einmal innerhalb der Ausstellung und ein weiteres Mal auf einem breiten SUV-Parkplatz im Außenraum. Das schmerzhafte Angebot einer 17 m² großen Wohnung für 782 € (46 €/m²) wird unmittelbar spürbar. Damit versucht die Ausstellung, die anlässlich des 50-jährigen Bestehens von DOWAS (Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) initiiert wurde, die sozialpolitische Dimension der Wohnungsfrage ins Zentrum zu rücken. Sie zeigt deutlich, dass Wohnproblematiken in jeglicher Form nicht als individuelles Schicksal, sondern als gesellschaftliche Aufgabe zu verstehen sind. Umgesetzt wurde dies mit einem Konzept, das im Wesentlichen darin besteht, ein von Arno Ritter – als Leiter des Hauses – zusammen mit seinem Team angelegtes Archiv der letzten 30 Jahre zu öffnen. Dieser Sammlung entstammt der Erkenntnis, dass bereits die Getränkekarte eines Lokals erste Hinweise auf die Wohnpolitik der Umgebung liefert. Und so begann man mit der Sammlung und Dokumentation von Zeitzeugnissen der monetären Baugeschichte Innsbrucks und Tirols. Womit Ritter seine - wohl im Geschichtsstudium erworbenen archivarischen - Fähigkeiten einmal mehr in den Dienst der Architektur und der Gesellschaft stellt.
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