Kultur | Gastbeitrag

Blaue Flecken

Anarchisten stürmen die Brennergrenze. Das anarchisch agierende Theater-Performance-Kollektiv God`s Entertainment aus Wien stürmt ebenfalls Grenzen.

„Ich warte auf den Moment. Ich kann nichts mehr machen, ich bin so im körperlichen Einsatz, dass der Intellekt in den Hintergrund rückt. Der Körper schiebt die Intellektualisierung zurück,“ erzählt Boris Ceko, Performer und Gründungsmitglied von God`s Entertainment. Er steht in Halle 1, auf dem Gelände des Donaufestivals in Krems. Unmittelbar daneben befinden sich die öffentlichen Toiletten, eine für Frauen, eine für Männer und eine mobile, in Form eines herkömmlichen Kunststoff-Festival-WCs für Theaterflüchtlinge jeglichen Geschlechts. Von dieser Theatertoilette aus geht es in einen notdürftigen, abgedunkelten Gang, wo in gebückter Haltung ein guter Teil der Bühne umrundet wird, wo eine undurchsichtige Verfolgungsjagd mit schleichender Orientierungslosigkeit seinen Anfang nimmt, ohne Aussicht auf Ausgang. „Es ist ein fiktiver Fluchtweg, wo die Schmuggler den Zuschauer an die Hand nehmen und sie auf die andere Seite der Bühne lotsen“ erklärt Ceko.

Er, Maja Degirmendzic und Simon Steinhauser haben sich vor über einem Jahrzehnt zufällig kennengelernt. Umso auffälliger war ihr gemeinsames Interesse: Sie wollen Theater und Performance machen, mit radikalem körperlichen und geistigen Einsatz, das Publikum aktiv Teil haben lassen, Grenzen der Kunst austesten. Sie spielen unter dem Namen God`s Entertainment und mit dem verstörenden Charme experimentellen Theaters, arbeiten bühnentechnisch fortgeschritten wie ein Erwin Piscator in den 1920er Jahren, orientieren sich an Jean-Luc Godards radikaler Gesellschaftskritik, lieben die künstlerischen Verschiebungen und die ausdruckstarke Bildsprache der Surrealisten „Es ist sicher die Schule des Surrealismus und Dadaismus“ verweist Ceko auf mutmaßliche Vorläufer. In einem anderen Zusammenhang fügt er später hinzu: „Das ist wie bei Luis Buñuel, der die Bourgeoisie auf das Klo setzt und sie dort über wichtige, weltpolitische Dinge sprechen lässt“. Doch weder am Klo noch an der Bar; God`s Entertainment bemühen selten die eigene Vergangenheit, sie rudern lieber in der Gegenwart, kraulen nach vorne.

Die Suche nach Formen für ihren künstlerischen Ausdruck keimte in einer der ersten gemeinsamen Arbeiten, die unter dem Titel Fight Club realtekken, beim Donaufestival in Krems 2006 aufgeführt wurde. Die Kampf-Performance sorgte kurzweilig für blaue Flecken, umso langlebiger ist die Freundschaft zwischen dem Kremser Donaufestival und dem Wiener Kollektiv. Beide haben sich 2016 das gleiche Zitat auf ihre Plakate geschrieben: Niemand hat euch eingeladen. Das Publikum kam trotzdem und wurde bei den Aufführungen von God`s Entertainment von einem Dutzend nackt mimender Hundeperformern empfangen, die Zähne fletschend in Szene setzten, wie Publikum und Europa vor die Hunde gehen. Die knapp 20köpfige Truppe spielte eine schräge FLUCHT-Polit-Show, schrecklich und ernüchternd, zügig, freizügig, mit religiösen Bühnenelementen, die mitunter an Christoph Schlingensiefs Biennale-Beitrag Church of Fear erinnern. Nach gut 90 Minuten ist das Stück zu Ende. Im Unterschied zu einem Fußballspiel, wird das Absingen der Hymne ans Ende gesetzt, danach wird das Publikum noch an einem mit Fahnen ausgeschmückten hölzernen Masturbationalismus-Käfig vorbeigeschleust, darin werkelt und ferkelt ein sichtlich erregter Performer, der sich anhand wiesengrünem und himmelblauen Heimatkitsch, rot-weiß-rot einen herunterholt – gewöhnungsbedürftig, irgendwie eklig, irgendwie ehrlich. Man möchte am liebsten wieder in die vis a vis installierte Toilette und aus Österreich, aus Europa flüchten.

„Unsere Projekte haben etwas Prophetisches,“ sinniert Maja Degirmendzic, „so auch diese Trilogie Die neue Europäische Tragödie. Am Konzept dazu haben wir vor zwei Jahren begonnen zu schreiben. Ich hätte damals nie gedacht, dass sich Europa so – wie aktuell – entwickeln wird.“ Gleichzeitig kam damals eine Einladung nach Leipzig, wo der erste Teil ANGST der Trilogie realisiert wurde und wo just in den Tagen der Umsetzung, Ungarn in der Flüchtlingsfrage sein wahres Gesicht der Abschottung zu zeigen begann. Nun, inmitten der Bundespräsidentenwahl ist Österreich politisch gespalten wie schon lange nicht mehr, es herrscht irgendwie Anarchie in Österreich, freilich nicht wie vor kurzem am Brenner. Die Politik verkommt zu einem vertrauensunwürdigen Theater und bietet dazu schauderhafte Zutaten für experimentelles Bühnenfutter, das bitter schmeckt und sauer aufstößt. Reale Bilder werden bei God`s Entertainment in einen ästhetisierten Zustand versetzt, „wo jeder“ – so der kollektive Grundtenor – „was anderes sieht und versteht.“ Um die drei Gründungsmitglieder haben sich mittlerweile weitere Akteure geschart, die Sounds kommen vom Haus und Hof-Komponisten und Klangkünstler Peter Kutin.

„Es ist eine Suche, um sich gesellschaftspolitisch auszudrücken. So viele Felder gibt es da nicht, entweder Kunst, Politik, auch Journalismus“ meint Simon Steinhauser, der bei der Aufführung in Krems nur am Rande beteiligt war, da er bereits das nächste Projekt, das „behördlich genehmigte Festival für falsche Zustellungen“ Real Deal in Wien vorbereitet. God`s Entertainment sind mittlerweile zu einem Theater-Unternehmen herangewachsen, anarchisch organisiert, dem Zahn der Zeit leicht voraus, bereitwillig plakativ, tiefgründig, ernst, närrisch verspielt, entblößend bis auf die Haut und darunter. Vielleicht werden sie gerade deshalb als ewige Newcomer wahrgenommen, die anstandslos die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Die Kunst- und Theaterkritik bleibt gespalten, aber das war sie schon bei den dadaistischen Abenden vor 100 Jahren, wie auch bei Christoph Schlingensief, bevor dieser erwachsen wurde und sich von Kunst-Biennalen und Wagner-Festspielen verführen ließ.

Als God`s Entertainment im Februar dieses Jahres in Hamburg „Deutsche integriert euch!“ auf die gelb rot schwarzen Performance-Flaggen schrieben, staunten die Passanten im Stadtteil Altona nicht schlecht. „Das polarisiert halt. Es stört die Linken, da sie nicht verstehen, weshalb wir so eine Aktion machen, die ihrer Meinung nach die Rechten stärkt. Die Rechten hingegen beginnen lauthals zu schimpfen, manche spucken, da sie nicht wahrhaben wollen, weshalb sich Deutsche in Deutschland integrieren sollten“ erinnern sich Boris und Maja. Simon, der Osttiroler mit Südtiroler Buschenschank-Ambitionen meint dazu: „Du merkst die Verwirrung. Je radikaler die Menschen in eine Richtung denken, links oder rechts, desto radikaler reagieren sie auch, wenn sie eine deutsche Fahne sehen.“ Die Hamburger Aktion hatte, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen, Ähnlichkeiten mit der Container-Aktion „Ausländer raus!“ von

Christoph Schlingensief und seiner im Stil von Big-Brother angelehnten Kunstaktion 2002 in Wien. Österreich war damals erbost und für Schlingensief gab es neben Beschimpfungen wie „Schleich di, du Piefke“ eine fragwürdige Befreiungsaktion der Containerinsassen, geplant und durchgeführt von der kommunistischen Jugend. Sehr peinlich! Damals war auch Elfriede Jelinek, eine der prominenten Unterstützerinnen der Aktion an der Wiener Oper und sprach öffentlich zu den aufgebrachten Menschen. 14 Jahre nach der politischen Zerreißprobe rund um die blaue Regierungsbeteiligung, wurde das Stück der Literaturnobelpreisträgerin Die Schutzbefohlenen nun von den rechten Identitären gestürmt, das Publikum und die Theatermacher beschimpft. Verkehrte Welten. Im Unterschied zu Christoph Schlingensief stellen God`s Entertainment ihr Künstlersein nicht so sehr in den Vordergrund. Bei der Hamburger Aktion sagten sie den Menschen sie seien „Experten aus Österreich“ und wären „vom Staat beauftragt und gefördert.“ Richtige Förderungen gibt es für ihr Projekt im Juni, wo es unter anderem darum gehen wird, wie Politik Kunst entartet, zensuriert und mit dem gängigen Begriff als Nestbeschmutzer aburteilt. Wann hingegen der letzte Teil der neuen europäischen Tragödie folgen wird bleibt offen, den Titel gibt es schon: HOFFNUNG!

REAL DEAL 
Behördlich genehmigtes Festival für falsche Zustellungen, 
16. Juni bis 2. Juli 2016, 
Gelände der Gösserhalle, Wien

Der Autor Martin Hanni ist freiberuflicher Publizist, Ausstellungsgestalter, Filmemacher und TV-Redakteur.