Das Recht des Stärkeren
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Israels Angriff gegen den Iran richtet sich – im Unterschied zu früheren chirurgischen Bombardements von solchen Anlagen in Syrien und im Irak - nicht nur gegen die Atomanlagen, sondern mittlerweile gegen die gesamte militärische Infrastruktur, gegen zivile Eirnichtungen und die Ölindustrie. Mit gezielten Terrorakten aus dem Inland versucht der hochgerüstete Apartheid-Staat die iranische Führungsriege auszuschalten. Zivile Opfer spielen keine Rolle, weil man seit 20 Monaten Gaza-Krieg in Tel Aviv weiß, dass auch Völkermordverbrechen folgenlos bleiben.
Unabhängig davon, wie lange Israels Terror im Iran noch dauert, wirft dieser von den USA sekundierte Krieg grundlegende Fragen für die Zeit danach auf. Es geht um den Bruch mit der regelbasierten Friedensordnung, die seit 1945 und dann nach dem Mauerfall 1989 mühsam aufgebaut worden ist. Die Unversehrheit des Territoriums, das Verbot von Angriffskriegen, das Recht auf Selbstverteidigung und weitere Grundsäulen internationalen Rechts sind in in vielen Abkommen verankert worden, unterzeichnet von fast allen Staaten. Doch heute scheint sich das Gesetz des Stärkeren in aller Brutalität durchgesetzt zu haben. Weil Israel dank US-Unterstützung schnell die Lufthoheit im Iran hergestellt hat, kann es nun ungehindert iranische Städte bombardieren, und tut es. Wurde früher noch der Anschein gewahrt, das humanitäre Völkerrecht im Krieg zu wahren, scheint auch das jetzt Nebensache. Es geht um den maximalen Schaden und die Vernichtung des Feindes jenseits jeglichen Rechts.
Dabei wird ein Machtwechsel in Teheran allein das Problem auch nicht lösen. Zum einen hat die Vergangenheit gelehrt, dass sich diktatorische Regimes nicht allein durch Luftschläge stürzen lassen. Zum anderen brütet das Mullah-Regime sicher in diesen Tagen über Plänen, doch rasch zu Atomwaffen zu gelangen, um sich selbst zu verteidigen. Es wäre das einzige Mittel, das noch Abschreckung gegenüber dem flächendeckenden Terror Israels verspricht. Der Staatsterror heute wird zum Gegenterror von morgen führen.
Da nützt es nichts, dass die Nuklearmacht Israel ihren Überfall auf den Iran als „Präventivschlag“ gegen sein Atomprogramm begründet. Davon überzeugen muss es ohnehin nur den Hauptsponsor USA. Mit „Präventivschlag“ lässt sich jede staatliche Aggression begründen. „Sometimes they have to fight it out“, ließ Trump zum Überfall auf den Iran verlauten, liefert aber selbst die militärische Unterstützung und bald auch die entscheidenden Waffen für den Endsieg. China könnte heute locker in einem „Präventivschlag“ Taiwan einkassieren, niemand im Westen könnte Peking einen Vorwurf machen.
Keine maßgebliche europäische Regierung hat sich von diesem Angriffskrieg distanziert. Im Gegenteil: Bundeskanzler Merz hat mit seinem Sager „Die Israelis machen die Drecksarbeit für uns“ auf die Seite des gesuchten Völkermordverbrechers Netanjahu gestellt. Bei den internen Beratungen der EU, die der offiziellen Stellungnahme vom 14.6.2025 vorausgegangen ist, hatten nur wenige Länder – angeführt von Spanien – gemahnt, dass man sich vor doppelten Standadrs hüten müsse: „Wenn man Israel den Angriff durchgehen lasse, obwohl eine unmittelbare Bedrohung gar nicht vorhanden war, wie solle man glaubwürdig den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen?“ (FAZ, 18.6.25, 2). Tatsächlich, eine Steilvorlage für Putin, der seinen Angriff auf die Ukraine jetzt nochmals als „Präventivschlag“ begründen kann, um eine existenzielle Bedrohung durch ein potenzielles NATO-Mitglied Ukraine für Russland zu verhindern.
Die EU hat noch nicht einmal Schritte eingeleitet, ihr Assoziationsabkommen mit Israel auszusetzen. Der permanente Bruch des humanitären Völkerechts, die Blockade der Hilfslieferungen, tägliche Massaker an Zivilisten während der Lebensmittelausgabe, die Aushungerung der Bevölkerung als Waffe, die Zerstörung ziviler Infrastruktur in nie gekanntem Ausmaß und jetzt auch das deklarierte Ziel, die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben: was muss Israel noch tun, um sich diese mildeste Reaktion der EU zu verdienen, nicht zu reden von einem Stopp der Rüstungslieferungen? Stärker diskreditieren kann sich die EU gar nicht mehr.
Heute triumphiert das Faustrecht und die regelbasierte Ordnung zerbröselt, wenn sich sogar die EU mehrheitlich auf die Seite der Aggressoren stellt. Die imaginäre „internationale Gemeinschaft“ als Hüterin des Völkerrechts hat wie schon in Gaza schon wieder versagt, die UN erscheint komplett machtlos. Damit geraten rechtliche, aber auch zivilisatorische Errungenschaften ins Wanken, für die die westlichen und andere Demokratien der Welt bis vor Jahren eingestanden haben. Das Verbot des Angriffskriegs, Staatsterror ohne Grenzen, die Missachtung des humanitären Völkerrechts, Krieg als legitimes Mittel für jeden Zweck: beim Völkerrecht stehen wir heute nicht mehr am, sondern im Abgrund.