„Wir müssen uns neu erfinden“
salto.bz: Herr Girardi, am kommenden Freitag will das Global Forum Südtirol Impulse für eine Agenda für neo-ökologische Vielfalt im Land geben. Springt nun auch ein Wirtschafts-Netzwerk auf das Thema Mals auf?
Christian Girardi: Mals ist zwar nicht unbeteiligt an diesem Thema, doch wir wollen über das Pestizidthema hinausgehen. Ansatz des Global Forums Südtirols ist es seit seiner Gründung vor neun Jahren einerseits einen Blick über den Tellerrand hinaus zu ermöglichen, um Impulse und Denkanstöße für den Wandel zu ermöglichen. Andererseits zählt es zu unseren Grundsätzen, auch gegensätzliche Positionen auf sachliche Art zu diskutieren. Unter anderem, indem man sie aus der Helikopterperspektive betrachtet....
Und eine solche Helikopterperspektive hat die Diskussion um eine Ökologisierung der Landwirtschaft und insbesondere um den Einsatz von Pestiziden dringend notwendig?
Ja, ich denke, es braucht hier tatsächlich eine Versachlichung der Diskussion, auch weil das Thema weiter als die Landwirtschaft geht. Wir haben uns bereits beim 6. Global Forum mit einem verwandten Thema auseinandergesetzt: der Frage, was Südtirol einzigartig und austauschbar macht. Und seit damals war mit klar, dass wir hier noch tiefer gehen müssen. Denn bereits damals haben viele namhafte Persönlichkeiten das Thema Ökologie, die Notwendigkeit, dass Südtirol ökologischer werden muss, vorgebracht. Und zwar nicht nur Menschen, bei denen man es erwarten mag, wie bei einem Alois Lageder oder einer Elisabetta Foradori. Bei manchen Wortmeldungen war auch ich damals überrascht. Doch je mehr ich mich mit dem Thema in den vergangenen Jahren auseinandersetze, desto überzeugter bin ich, dass ein solches „Back to diversity, back to the roots“ unser Thema ist, dass es die Chance für Südtirol ist, unser Produkt, unser Profil im internationalen Standortwettbewerb zu schärfen.
Also Öko als Wirtschaftsmotor?
Es geht um Neo-Ökologie und es geht um Vielfalt. Ein Asset, bei dem Südtirol unglaublich viel zu bieten hat, von den Böden bis zum Klima, von der Kultur bis zur Sprache, vom Ehrenamt bis hin zum Handwerk und Tourismus. Doch um unsere Einzigartigkeit in diesem Bereich besser zu leben und sichtbar zu machen, müssen wir unsere Ecken und Kanten noch schärfen und der Vielfalt in manchen Bereichen wieder mehr Raum geben, wo wir an Terrain verloren haben.
Genau die Themen, die in Südtirol mit Vielfalt zu tun haben, scheinen aber besonders viel Stoff für Polemik zu bieten – von der Sprache bis hin zu den Pestiziden...
Das ist der Punkt. Genau deshalb bringt der neoökologische Ansatz ein Lösungspotential. Bei uns in Südtirol sind die Grabenkämpfe zwischen Ökologie und Ökonomie und Gesellschaft zwar noch voll im Gang. Zumindest in der internationalen Debatte ist man darüber heute hinweg. Auch bei einem Treffpunkt der Wirtschaftseliten wie dem WEF in Davos geht es mittlerweile um Prinzipien der Nachhaltigkeit. Und um die Einsicht, dass es statt einem Gegeneinander mehr Miteinander braucht – von Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlichem Engagement. Wenn es uns gelingt, diese Bereiche in Südtirol stärker ineinander fließen zu lassen, vor allem wenn es um die Vielfalt geht, könnten wir unser Potential viel besser ausschöpfen.
"Es würde Südtirol sicher gut tun, mehr freies und auch oft utopisches Denken zuzulassen. Denn aufgrund unseres Erfolgs sind wir auch ein wenig kommod geworden. Vor allem aber sollten wir mehr Vielfalt zulassen, unsere Vielfalt stärker leben. Auch in der Politik."
In der Theorie sehen solche Dreiecke, in denen Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft ineinander greifen, natürlich verlockend aus. Doch wenn wir wieder das Beispiel Mals hernehmen: In der Praxis werden sie weit komplexer.....
Natürlich. Und ich verstehe nicht nur die zunehmenden Sorgen der Bevölkerung und der Konsumenten. Ich kann auch die Bauern sehr gut verstehen, die sich in dieser Pestiziddiskussion massiv angegriffen fühlen.
Auch wenn Ihnen nun auch noch beim Global Forum Südtirol ein Haufen Bio-Pioniere vorgeführt werden, die angeblich alles besser machen....
Klar, kann das so verstanden werden, und ich weiß auch, dass unser diesjähriges Thema in der Landwirtschaft kontrovers diskutiert wird. Doch wir wollen mit der Tagung nicht ihr Geschäftsmodell verurteilen und auch keineswegs eine emotional geführte Diskussion zur Abschaffung von Pestiziden fortführen. Es geht einfach darum, gemeinsam darüber nachzudenken, wie uns in Südtirol eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit gelingen kann.
Unsere Agrios-Richtlinien sind heute schon sehr nachhaltig, heißt es doch immer.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Südtiroler Obstwirtschaft erfolgreich ist, von Exportzahlen bis hin zu Marktanteilen. Dennoch sind wir nun an einem Punkt angelangt, wo ein Umdenken notwendig ist, um eine Transformation zu ermöglichen.
Warum braucht es eine solche Transformation?
Noch industrieller und intensiver zu wirtschaften als heute kann in Zeiten des Null-Wachstums nicht mehr das Ziel sein, wenn wir den Wohlstand der zukünftigen Generationen sichern wollen. Wir müssen uns neu erfinden. Alte Denkmuster und Geschäftsmodelle sind an ihre Grenzen gestoßen. Man denke nur an Megatrends wie Digitalisierung, E-Mobility oder Energiewende. Wer hätte sich noch vor wenigen Jahren ausmalen können, dass so eine Umwälzung möglich wäre? Auch damals gab es starke Resistenzen. Die Mutigen und Kreativen von gestern sind die Gewinner von heute. Doch es muss uns auch klar sein, dass sich eine Branche wie die Landwirtschaft in ihrer Existenz bedroht und angegriffen fühlt, wenn nun der Einsatz von Pestiziden als integraler Teil ihres heutigen Geschäftsmodells in Frage gestellt wird.
Und was kann das Global Forum Südtirol dagegen machen? Ihnen die Ängste nehmen?
Auch das. Ich hoffe aber vor allem, dass auch das Global Forum Südtirol zu der Diskussion beitragen kann, wie wir zum Beispiel neue Möglichkeiten der Technologie, Forschung oder Digitalisierung nutzen könnten, um die Produktivität zu erhöhen und gleichzeitig neue Modelle zu entwickeln, mit denen sowohl die regionale Wertschöpfung erhöht als auch negative Effekte minimiert werden können. Anders ausgedrückt: Wie können wir Innovation und ein Umdenken fördern und den Weg zu einer neo-ökologischen Agenda 2030 aufzeigen? Denn wir sollten zwar nicht vergessen, wie viele innovative Landwirte es in Südtirol schon gibt, auch was sich bereits in puncto Bio getan hat und welche Synergien auch mit anderen Sektoren wie Tourismus aufgebaut wurden. Diesen Weg gilt es weiterzuführen und zu fördern.
Aber?
Aber es fehlt uns noch das Ziel, die gemeinsame Vision. Deshalb werden solche Diskussionen auch so emotional geführt. Wenn wir erst einmal wissen, wohin wir wollen, wird eine sachliche Auseinandersetzung wesentlich einfacher.
Und wie könnte eine solche gemeinsame Vision aussehen?
Man könnten sich zum Beispiel die Agenda setzen, Südtirol zur Bio-Region zu machen. Natürlich klingt das aus heutiger Sicht wie eine Utopie, doch wenn ich so eine Vision habe, verläuft auch eine Diskussion wie jene um Pestizide ganz anders.
"Noch industrieller und intensiver zu wirtschaften als heute kann in Zeiten des Null-Wachstums nicht mehr das Ziel sein, wenn wir den Wohlstand der zukünftigen Generationen sichern wollen. Wir müssen uns neu erfinden. Alte Denkmuster und Geschäftsmodelle sind an ihre Grenzen gestoßen."
Die Frage ist, wie zum Beispiel konventionelle Bauern mit solch einer Utopie zurechtkommen?
Das wichtigste an Utopien ist, dass sie Denkanstöße anregen und damit Veränderungen auslösen. Eines meiner Vorbilder ist der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter. Er hat vorgeführt, dass Innovation dann entsteht, wenn man Gleichgewichte zerstört. Denn jedes System, das ins Ungleichgewicht kommt, will wieder zurück ins Gleichgewicht und in diesem Prozess entsteht ein Mehrwert.
Und deshalb sollten wir auch in Südtirol keine Angst vor Utopien haben, die heute vielleicht überzogen scheinen mögen?
Es würde Südtirol sicher gut tun, mehr freies und auch oft utopisches Denken zuzulassen. Denn aufgrund unseres Erfolgs sind wir auch ein wenig kommod geworden. Vor allem aber sollten wir mehr Vielfalt zulassen, unsere Vielfalt stärker leben. Auch in der Politik.
Wie zum Beispiel?
Ich habe sieben Jahre in der Schweiz gelebt und bin ein absoluter Fan ihres politischen Modells. Und zwar nicht einmal so sehr wegen der Direkten Demokratie. Der Schlüssel zum Erfolg des Schweizer Modells liegt meiner Meinung nach darin, dass dort alle gesellschaftlichen Gruppen in der Regierung vertreten sind. Denn jede Partei, die in den Landtag gewählt wird, kommt gewöhnlich auch in die Regierung. Das wiederum bedeutet, dass es nicht die klassische Polarität zwischen Regierung und Opposition gibt, sondern in der Exekutive alle Vertreter des Volkes in Konkordanz Verantwortung übernehmen und Lösungen finden müssen.
Und so ein Modell würden Sie sich auch für Südtirol wünschen? Grüne, Freiheitliche, Alto Adige nel Cuore, M5S – alle in die Regierung?
Ja, das würde uns mehr Vielfalt und eine weit bessere Einbindung der Bevölkerung bringen als ein noch so gutes Gesetz für Direkte Demokratie.
Doch sind wir uns einig, dass wir auch hier im Bereich der Utopien sind?
Nein, das ist keine Utopie. Es braucht nur den politischen Willen dazu. Ich wage hier sogar eine Analogie zur Pestiziddiskussion: Auch hier sehen wir in ganz Europa, dass eine von Parteien gesteuerte Politiklandschaft ein Auslaufmodell ist. Doch nun geht es darum, in alle diesen Bereichen zu definieren, was wir stattdessen anstreben. Und dafür wollen wir beim Global Forum Südtirol Impulse geben.
geschäftsmodell: sich ständig
geschäftsmodell: sich ständig neu erfinden!?
da muß man sich schon fragen: jo wer sein miar denn?
vorallem: über etwas sinnieren anstatt mit den menschen reden und sich etwas zeigen lassen: über anderleute köpfe hinweg gscheid reden und sich am liebsten selbst zuhöhren.