Südtirol Wohnbau Manifest
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Text: Thomas Huck & Kateřina Kunzová
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Architektur gilt als Spiegelbild der Gesellschaft. In Anbetracht dessen verwundert es nicht, dass Tourismusarchitektur aus Südtirol weltweit bekannt ist. Schließlich haben wir diesem Bereich sowohl politisch wie wirtschaftlich als auch gesellschaftlich sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Viel schlechter steht es um den Südtiroler Wohnbau, der weitgehend unbekannt ist, nimmt man Villen und Ferienhäuser außen vor.
Doch während die „Weinjahre in der Südtiroler Architektur“ zu Ende gehen und die Bautätigkeit für den Tourismus an seine Grenzen stößt, gilt es in Zukunft vor allem sorgsam Wohnraum zu schaffen!
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Bauernhöfe als verklärtes architektonischen Bild des Wohnens in Südtirol
Das Bild von Südtirol ist geprägt von Landschaft und Bergen, zwischen denen kleine dörfliche Siedlungen liegen. Doch die Realität hat sich längst weiterentwickelt: Land auf, Land ab, wuchsen die Dörfer in die Landschaft und Wohnbauzonen sind aus dem Boden gesprossen. Und doch bleibt jenes Bild des einsamen Gebäudes inmitten unberührter Landschaft bestehen. Dieser Illusion folgend wurden von idyllischem Grün umgebene Bauernhöfe (die ohnedies heute immer öfter Villen sind) zum verklärten architektonischen Bild des Wohnens in Südtirol. Weder die inzwischen oft errichteten Geschossbauten noch die pragmatisch, dichte Realität der Einfamilienhäuser konnten dieses romantisierte Bild des Wohnens korrigieren. Doch mit steigenden Bevölkerungszahlen, zunehmendem Landschafts- und Naturschutz, Inflation und dem im Allgemeinen immer stärker werden Gedanken der lokalen und globalen Ressourcenschonung, wächst die Zahl der außerhalb der Städte errichteten Wohnbauten stark an. Heutige Wohnbauzonen bestehen schon längst nicht mehr aus Einfamilienhäusern und auch die ehemals klassische Doppelhaushälfte weicht immer mehr den Reihenhäusern und Kondominiums. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken.
Doch wo sind die zeitgenössischen Legohäuser? Was die Flötenhäuser des 21. Jahrhunderts?
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Während für den Tourismus über Jahre hinweg in allen Bereichen spezifische und detaillierte Lösungen durch-deklinierte wurden und Visionen un-masse erzeugt hat, ist im Wohnbau diese Entwicklung ausgeblieben. Wäre es nicht an der Zeit, diesem Bereich dieselbe Aufmerksamkeit und Offenheit zu schenken, weit über die grundlegende Frage des günstigen Wohnens hinaus? Wie wollen wir in der Zukunft in Südtirol leben und welche Wohnformen brauchen wir dafür? Ist der Einfamilientraum in Wohnbauzonen in Zukunft noch gefragt bzw. schon heute überhaupt noch realisierbar? Während das Land Südtirol noch immer Rundschreiben an alle Haushalte mit "Liebe Familie“ beginnt und so kategorisch andere Wohnideen ausschließt, zwingt der Familienbogen sowieso jede alternative Wohnform in die Knie.
pragmatisch, dichte Realität der Einfamilienhäuser
Selbst der Landeshauptmann reagiert auf diese Fragen ideenlos. Vereinfachte Baugenehmigungen und Verdichtung seien die Lösung. Als wäre Wohnen eine technische Aufgabenstellung und Baugenehmigungen sowie Verdichtung nur für diesen Bereich relevant. Man tut sich offensichtlich schwer, Wohnen als eigenes Themenfeld zu verstehen.
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Wie aber soll zeitgenössischer Wohnbau in Südtirol aussehen? Wie sieht allgemein zukunftsträchtiges Wohnen aus? Zwar gibt es vereinzelt hervorstechende Beispiele, aber es fehlt an einer erkennbaren Richtung, einem Typus, Inhalt und vor allem einem breit geführten Diskurs! Doch um das zu ändern, brauchten wir neue Bilder des Wohnens in unseren Köpfen!
Nach außen zeichnet sich wohnen noch durch gute Architektur aus. Erzeugen aber nach innen immer mehr eine leere Hülle. Doch wie schaffen wir es nicht nur, die lokale Architekturqualität zu erhalten, sondern auch inhaltlich zu füllen, wenn gleichzeitig immer schneller dichter, großvolumiger Wohnbau entsteht?
Für diese Entwicklung braucht es Prototypen! Es braucht Vorzeigeprojekte! Es muss das Ziel sein, von Anfang an die Qualität der bisherigen Auftragslage auf den Geschossbau zu übertragen. Es muss genauso spannend, lukrativ und kreativ sein, Wohnbauten zu schaffen, wie bisher Orte für den Tourismus. Wettbewerbe des Wohnbauinstituts zeigen deutlich, dass das Interesse der Architekten da wäre – aber wo sind die Aufträge?
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Neue Lebensräume für neue Lebensträume!
Die Aufgabe wird sein - wie allgemein in der lokalen Kultur, den Einfluss aus dem Norden und Süden zu nutzen: Wiener Wohnbaukultur mit italienischem Lebensgefühl! Mediterran offene Wohnungen mit alpinem Ausblick! Bauernhofartiges Mehrgenerationenwohnen wie auch vielfältige „Quartiere“ als "Grätzlmixer". Es geht genauso um Ausschauen wie Inhalt.
Was wir brauchen, sind neue Lebensräume für neue Lebensträume!
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Die Erarbeitung des Textes inklusive Vorgeschichte und Hintergrundarbeit ist Teil der Architekturausstellung „OBLIQUE - Die Entstehungsgeschichte des Projekts„ des Südtiroler Künstlerbundes und noch bis zum 1. Februar im SKB ARTES in Bozen zu sehen.