"Risikoverhalten muss überdacht werden"
Frischer Schnee und wenig Basis – diese Kombination hat an diesem Wochenende in ganz Südtirol zu zahlreichen Lawinenabgängen geführt. Nach dem tragischen Auftakt im Ahrntal hatte am Sonntag in Ratschings eine Gruppe aus sechs Skitourengehern aus der Lombardei unglaubliches Glück. Sie befanden sich unterhalb der Klammalm im Aufstieg, als sich eine gewaltige Lawine löste und zwei von ihnen mit sich riss. Einer der beiden Männer konnte sich selbst befreien, der andere wurde mit Hilfe einer Kamera an die Oberfläche gebracht. Die beiden Alpinisten wurden mit leichten bis mittelschweren Verletzungen ins Krankenhaus geflogen. Rund 35 Skitourengeher befanden sich noch oberhalb der Abbruchstelle. Da anfangs nicht ausgeschlossen werden konnte, dass jemand von ihnen ebenfalls unter die Lawine gekommen war, suchten die Bergretter den Lawinenkegel mit Suchgeräten und –hunden ab.
Zu einem weiteren Großeinsatz der Rettungskräfte kam es am Sonntag im Skigebiet Speikboden. Dort hatte sich gegen Mittag am Rand der Gamsleiten-Piste ein Schneebrett gelöst. Da niemand den Abgang gesehen hatte, sondierten rund 50 Einsatzkräfte zur Sicherheit das Gebiet. Nach rund 30 Minuten konnte jedoch Entwarnung gegeben werden.
Trauer in Bruneck und Welsberg
Tiefe Trauer herrscht indes im Pustertal. Dort beklagt man in Bruneck und Welsberg mit der Dermatologin Cosima Jocher und dem leitenden Angestellten von GKN Sintermetals Heinold Goller bereits das vierte und fünfte Lawinenopfer dieses jungen Jahres. Die 46-jährige Ärztin war in den Fachambulanzen der Krankenhäuser von Bruneck, Brixen, Innichen und Sterzing tätig und überall geschätzt. Ebenso wie Goller (60), der seit 35 Jahren bei der GKN tätig war, war sie als leidenschaftliche Alpinistin bekannt. Beide hatten viel Erfahrung mit Skitouren und waren perfekt ausgerüstet.
"Aggresives Risikoverhalten"
Doch auch ein Airbag kann im Fall eines Lawinenabgangs gerade mit nur zehn Prozent zur Sicherheit von SkitourengeherInnen beitragen, warnte der Landesleiter des Bergrettungsdienstes Toni Preindl im Morgengespräch von RAI Südtirol. Das wichtigste sei nicht unter eine Lawine zu geraten. In dieser Hinsicht sieht der Bergretter die Notwendigkeit sich stärker mit dem Risiko am Berg auseinandersetzen. Denn Skitourgehen sei die schönste, aber auch gefährlichste Wintersportart, meint der Landesleiter des Bergrettungsdienst. Rund 10.000 Skitourengeher und Schneeschuhwanderer seien mittlerweile an einem schönen Sonntag in ganz Südtirol unterwegs. „Nach dem vergangenen Winter, in dem es keinen einzigen Lawinentoten zu beklagen gab, glaubt man heuer, genauso weitermachen zu können“, sagt Preindl. Doch die katastrophale Bilanz der vergangenen Wochen beweise das Gegenteil, warnt der Bergretter. Er macht eine vielfach zu „aggressive Planung“ der Bergbegeisterten aus; meist würde nur auf die Lawinenwarnstufe geschaut, ohne die Umstände rundherum zu beachten. „Doch Winter mit wenig Schnee sind immer gefährlich, und Winter mit wenig Schnee und viel Wind sind noch viel gefährlicher“, warnte er. Sein Tipp für Wochenende wie dieses: In flaches Gelände auszuweichen – „alle Hänge über 35 Grad sind bei solchen Bedingungen auszuschließen.“
Wenn an einem schönen Sonntag
Wenn an einem schönen Sonntag 10.000 Tourengeher (siehe Angaben in obigem Bericht) auf Südtirols Bergen unterwegs sind, dann müssten es derer während eines ganzen Winters (sprich: 5 Monate) in Summe wohl eine halbe Million sein, denn diese Sportart wird tagtäglich - nicht allein sonntags ausgeübt. Von einer besonders gefährlichen Sportart zu sprechen, halte ich daher für völlig ungerechtfertigt. So tragisch jeder tödliche Unfall einerseits für die Angehörigen unbedingt ist, so präsentiert die Lawinen-Todesfallstatistik andererseits ein weniger alarmierendes Bild. Diesbezüglich bewegen wir uns im 0,001-Prozentbereich. Dennoch löst ein Lawinentoter erstaunlicherweise stets weit mehr mediale Aufmerksamkeit als beispielsweise ein Verkehrstoter aus. Der Grund hierfür sind die spektakulären Großeinsätze der Retter und Berger, die mit großem personellen und technischen Aufwand ihre Arbeit oft auch unter lebensbedrohlichen Umständen verrichten. Rechtlich bedenklich erscheint mir allerdings die Unsitte, wenn Einsatzkräfte mittels Handy fotografieren und die Bilder Redaktionen zukommen lassen oder gar direkt ins Netz stellen.