Leistbare Wohnungspolitik

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Inzwischen sind alle der Meinung, dass in Südtirol der Immobilien- und der Mietmarkt blockiert sind. Das ist zwar schon seit Jahrzehnten so, aber viele Kräne in der Landschaft haben immer Bewegung suggeriert. Die soziale Dramatik der Wohnungsnot ist durch die Sozialverbände und Gewerkschaften anhand der Daten und des Vergleichs mit anderen Gebieten ins allgemeine Bewusstsein gerückt worden. Breitere Aufmerksamkeit erhielt die Wohnungsnot erst, seit sich selbst der Mittelstand schwertut, auf dem Wohnungsmarkt erschwingliche Angebote zu finden, und Unternehmen freie Stellen nicht nachbesetzen können, da geeignete Wohnangebote fehlen. Sozialsprengel und Gemeinden sind ja seit langem kaum mehr in der Lage, für Bedürftige Wohnraum zu finden. Die Landesregierung hat ihrerseits den Handlungsbedarf erkannt und bereits bei ihrer Konstituierung Reformmaßnahmen zur Wohnungspolitik angekündigt. Handelskammer und Immobilienmakler, Bauwirtschaft, Verband der Hauseigentümer, Sozialpartner und neue gemeinnützige Wohnbauinitiativen haben seither die verschiedenen Facetten der Problemlage beleuchtet und eigene Lösungsvorschläge eingebracht.
Um die Probleme herumgedrückt
Üblicherweise kristallisiert sich im Zuge der Debatte heraus, wo wie anzusetzen ist, um zeitnah zufriedenstellende Lösungen herbeizuführen. Bei der Wohnungspolitik wurden zentrale Problemstellungen nicht angesprochen bzw. diesen nicht auf den Grund gegangen: Die Gründe für den Stillstand auf dem Wohnungsmarkt, die Praxis der Ad-hoc-Bestimmungen zur Bedienung von Partikularinteressen, der Umgang mit dem Leerstandspotenzial, der Wohnungsbedarf der zugezogenen Arbeitnehmer:innen und der Migrant:innen, das Auf-die-lang-Bank-Schieben der Nutzungskonzepte der Militärareale, die Blockierung der städtebaulichen Entwicklung in Bozen, die Schließung laufend eingeführter Sondernutzungsrechte und Schlupflöcher in der Wohnbauförderung, die Herabwirtschaftung des Wohnbauinstituts zu einem unflexiblen Verwaltungsapparat, die Legitimation der Sonderrolle des Investmentfonds Euregio Plus bei der Planung von Wohnbauprojekten auf den Militärarealen, die Komplexität und Langatmigkeit der Verfahren als Grund für die Verzögerungen bei der Umsetzung von Wohnbauprojekten.
Mittelstandsförderung statt Mietwohnungen
Stattdessen wurde der Wohnungsbedarf des Mittelstandes zu einer zentralen Zielsetzung, eigentlich ein Nebenschauplatz des sozialpolitischen Auftrags der Wohnungspolitik. Anstatt einen Schwerpunkt bei der Schaffung von erschwinglichen Mietwohnungen zu setzen, wird die sozialpolitisch unbedenkliche Zielgruppe des Mittelstands durch das Modell „Wohnen mit Preisbindung“ in die Lage versetzt, bessere Chancen für den Erwerb von Eigentumswohnungen zu erhalten. In unserer Nachbarregion Tirol ist dieses Anliegen übrigens strategisch viel klüger angegangen worden, indem der gemeinnützige Wohnbauträger „Neue Heimat Tirol“ aus der Nischenfunktion einer auf den Bedarf des Niedriglohnsektors und der Migrant:innen beschränkten Struktur herausgelöst und mit einem umfassenderen Wohnraumbeschaffungsauftrag ausgestattet wurde. Auf diese Weise kommt auch der Mittelstand zum Zug. Das kommt der sozialen Durchmischung in den Wohnanlagen zugute und fördert die Akzeptanz als Wohnbauträger.
An vielen kleinen Schrauben gedreht
Hierzulande konzentrierte sich die Intervention der öffentlichen Hand mit dem Gesetz für „Raum und Landschaft“ auf die Überarbeitung urbanistischer Regelwerke, deren Umsetzung aufgrund der Komplexität und zahlreicher Anwendungsprobleme sowie der notwendigen Aktivierung der Gemeinden ihrerseits wohnbaupolitische Entscheidungsprozesse blockiert. Bei der Erstellung des neuen Wohnbaugesetzes wurde entschieden, an den Schrauben der Wohnbauförderung zu drehen ohne auf die Marktdynamik im Wohnungssektor entscheidend Einfluss zu nehmen. Die Auflegung eines neuen umfassenden Wohnbauprogramms des WOBI blieb aus. Die Unterstützung von gemeinnützigen privaten Wohnbauträgern wurde nur sehr allgemein definiert und blieb ohne konsistente finanzielle Dotierung.
Vor der Verabschiedung des Wohnbaugesetzes Anfang Juni sind zahlreiche gesellschaftliche Akteure in ihren Stellungnahmen auf die Ursachen der Wohnungsnot eingegangen und haben die Problemstellungen aus ihrer Sicht deutlich benannt. Was gefehlt hat, ist eine wohlüberlegte Zusammenführung der Sichtweisen auf technischer und politischer Ebene. Bei der Vielfalt der Akteure stellt sich die Frage, wer dafür sorgt, dass die Planungs- und Entscheidungsprozesse zügig vorangebracht werden. Da und dort werden diese nämlich in den entsprechenden Gremien und in der öffentlichen Debatte durch Argumentationslinien eingebremst, die auf Leerstände und die Möglichkeiten der Bestandssanierung und der Nachverdichtung verweisen. Deshalb ist darauf zu achten, dass die entsprechenden Informationen frühzeitig in die Bedarfserfassung einfließen und als Planungsfaktor berücksichtigt werden.
Kurzfristige und mittelfristige Agenda
In der aktuellen Situation muss einerseits die Schaffung von neuem Wohnraum durch kurzfristige Entscheidungen vorangetrieben werden. Die Wohnbaupolitik der Landesregierung ist daran zu messen, in welchen Zeitraum wie viele neue Mietwohnungen zur Verfügung stehen. Für eine ausgewogene Abstimmung von Raumordnung, Siedlungsentwicklung und die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum sind anderseits umfassende Bestands- und Planungseckdaten erforderlich. Die Landesregierung sollte die eigenen Ressourcen und die vorhandene Expertise gezielt nutzen, damit diese Informationen in der notwendigen Tiefe zur Verfügung stehen und eine akkurate Planung möglich ist. Einige zentrale Aufgabenstellungen sind die folgenden:
- Die Abklärung des Leerstandes durch die Gemeinden mit Informationen zu den Charakteristiken der Wohnungen und zur Orientierung der Eigentümer, was den Verwendungszweck angeht;
- Die Beschleunigung des Übergangs der Militärareale innerhalb eines halben Jahres mit der Möglichkeit, Teile davon im Rahmen einer Grobplanung umgehend für den Bau von Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen;
- Die Sondierung, welche größeren Eigner von Liegenschaften bereit wären, bei vorteilhaften Bedingungen im Rahmen einer sinnvollen Anbindung an das Siedlungsgebiet ihre Flächen als Baugründe zur Verfügung zu stellen
Mehr Schwung und klare Weichenstellungen
Es braucht mehr Schwung in der Wohnbaupolitik. Ein entscheidender Impuls kann durch die Entbürokratisierung und die Potenzierung der Leistungsfähigkeit des WOBI als gemeinnütziger Wohnbauträger nach dem Vorbild der Neuen Heimat Tirol gesetzt werden. Natürlich gehört dazu dann auch die Bereitstellung der Finanzierung für ein umfassendes Wohnbauprogramm und eine gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Klare Rahmenbedingungen können eine Schubwirkung für das Engagement gemeinnütziger privater Bauträger auf dem Mietwohnungsmarkt erzeugen.
Für die Besteuerung sind mit dem Staat abgestimmte Regeln einzuführen, damit die dauerhafte Vermietung an Einheimische steuerlich deutlich günstiger wird als Airbnb. Zu klären sind auch die entsprechenden Bedingungen für den Tourismussektor und Urlaub auf dem Bauernhof. Unerlässlich ist die Einführung einer Regelung, damit durch eine dauerhafte gemeinnützige Zweckbindung von gefördertem Wohnraum der Bestand an verfügbarem Wohnraum für die einheimische Bevölkerung ausgebaut werden kann. Schließlich ist die Ausarbeitung neuer zeitgemäßer Konzepte für die Siedlungsentwicklung und die Infrastruktur unter Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse durch entsprechende Fachleute voranzutreiben, denen die Politik offenkundig zu wenig Gehör schenkt.