Gesellschaft | Gesundheitswesen

„Es war wie ein Tsunami“

Überlastetes Personal, sexuelle Belästigung und beinahe keine Auskunft über den eigenen Befund: Nachdem Vera Gruber nach einem Fahrradunfall in die Erste Hilfe des Bozner Krankenhauses eingeliefert wird, wendet sie sich an die Kriminalpolizei.
Notaufnahme Bozen
Foto: LPA / Ivo Corrà
  • „Ich bin auf dem Weg zur Arbeit in Bozen Süd mit einem anderen Fahrradfahrer zusammengestoßen. Es war auf einem Fahrradweg hinter einer Bushaltestelle und ein sehr heißer Tag. Der andere Fahrer war auf die Gegenfahrbahn ausgewichen, weil ein paar Mädchen sich in den Schatten der Bushaltestelle gesetzt hatten und damit seine Spur blockierten. Ich fiel hin und musste mit dem Krankenwagen in die Erste Hilfe gebracht werden. Mein Fahrrad schloss ich dort ab, leider war es am nächsten Tag trotzdem weg.

    Im Krankenhaus wurde ich untersucht, was relativ schnell ging. Mit dem Ergebnis bin ich zu dem zuständigen Arzt. Anstatt ein Anamnesegespräch zu führen, sagte er, dass mir nichts fehle und ich keinesfalls ein bestimmtes Medikament nutzen sollte, was mir gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Dann begann er darüber zu sprechen, dass er schon seit 19 Stunden arbeitet, die Patienten immer aggressiver werden und die Zustände in Bozen nicht mehr zu ertragen seien. 

    Es sei kein Personal mehr zu finden, schon gar nicht zweisprachig. Wenn er an diesem Tag endlich Feierabend habe, würde er eine Flasche Wein trinken. Am Tag zuvor hätten Ausländer Computer zerschlagen, weil sie zwei Stunden warten mussten. Es seien prekäre Zustände. Ich hatte den Eindruck, dass er am Limit ist, er redete wie eine Person mit psychischen Problemen. Als er nicht aufhörte zu sprechen, begann ich vor Erschöpfung zu weinen. 

    Nach dem Gespräch bin ich zu meinem Partner, der vor dem Zimmer im Krankenhaus auf mich gewartet hatte. In diesem Augenblick kam der Arzt erneut auf mich zu und begann meinen Partner in ein Gespräch zu verwickeln. Während ich neben ihnen saß, begann er sich abfällig über mich zu äußern und seine sexuellen Phantasien mit uns zu teilen. Er beschrieb, wie man mit Frauen umzugehen habe. Mein Partner und ich beendeten nach einigen Minuten entschieden das Gespräch. 

    Ich war völlig verstört, als wir das Gebäude verließen und bekam erneut einen Weinkrampf. Von plötzlicher Wut erfasst kehrte ich ins Gebäude zurück und wollte mich beschweren. Polizisten vor Ort empfahlen mir Anzeige zu erstatten. Ich habe dann am Tag darauf bei der Kriminalpolizei eine Meldung gemacht und auch erklärt, dass ich nicht strafrechtlich dagegen vorgehen möchte. 

  • Krankenhaus in Bozen: Arbeitsbelastung, Patientinnen und Patienten bringen das Personal offenbar an die eigenen Grenzen. Foto: Sabes
  • Nach der Erfahrung habe ich mich zudem per PEC-Mail auch an den zuständigen Landesrat Hubert Messner und an die Beschwerdestelle des Sanitätsbetriebs (Sabes) gewandt. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Beschäftigten stark überarbeitet sind und es mehr Ressourcen in diesem Bereich braucht. Zudem wäre es sinnvoll, dass Bewerberinnen und Bewerber vor der Einstellung vom Sabes eingehend geprüft werden. 

    Im Gespräch mit dem Frauennetzwerk SUSI habe ich festgestellt, dass viele Frauen in einem Südtiroler Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht haben. Auf ihre Beschwerden wurde nicht immer ausreichend eingegangen, häufig erhielten sie nicht einmal eine Antwort vom Sabes. Der Zusammenhalt im Frauennetzwerk war beeindruckend für mich, sie haben mich unterstützt und mir nützliche Kontaktstellen weitergeleitet. 

    Solche Erfahrungen, wie ich es im Krankenhaus erlebt habe, können traumatisch sein. Du bist in so einer Situation sehr verletztlich, eine Person in weißem Kittel weiß mehr als du und du bist von ihrer Behandlung abhängig. 

    Anstatt auf meinen Befund einzugehen, hat der Arzt über seine Arbeitsbelastung gesprochen und ich musste ihm zuhören. Es war wie ein Tsunami, der über dich rollt. Ich wurde von ihm nicht angefasst, aber die verbale Belästigung war für mich mindestens genauso schlimm. Seine Aussagen sind mir im Gedächtnis geblieben, ich werde sie nicht mehr so schnell los. Das ist für mich mit physischer Gewalt gleichzusetzen. Psychische Gesundheit wird heute leider noch immer unterbewertet.“ 

  • Anlaufstellen

    Südtirols Sisters (SUSI) – Plattform zur Vernetzung und Austausch von Frauen

    Amt für Bürgeranliegen des Sanitätsbetriebs

    Hinweis

    Der Name der betroffenen Person wurde geändert, ihre Identität ist der Redaktion bekannt. 

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Salto User
Cicero Mo., 19.08.2024 - 12:39

Erschreckender Bericht... Mehr kann man dazu glaube ich nicht sagen.

Zur "Ehrenrettung" der Notaufnahme Bozen muss ich aber sagen, dass ich in den letzten 2,5 Jahren (leider) dreimal diese in Anspruch nehmen musste. Zweimal war ich selbst als Patient dort, einmal mit meinem kleinen Sohn. Alle drei Male sind wir sehr gut aufgenommen und betreut worden. Die Ärzte waren zwar allesamt italienischer Muttersprache und des Deutschen nicht wirklich mächtig, aber sie haben sich sehr gut um unsere Anliegen und Probleme gekümmert. Ich persönlich kann also nichts Schlechtes über die Notaufnahme im Krankenhaus Bozen sagen. Das alles muss am Ende aber nichts heißen, vielleicht hatte ich einfach Glück und habe einen "guten" Zeitpunkt erwischt.

Mo., 19.08.2024 - 12:39 Permalink