Ötzi Superstar
Die Faszination des Eismannes hat auch 5.300 Jahre nach seinem Tod und 25 Jahre nach seinem Auffinden am Tisnerjoch nicht nachgelassen. Inzwischen ist Ötzi die meist untersuchte Leiche der Welt. Doch die Gletschermumie findet keine Ruhe. Seit der Mann aus dem Eis am 19. September 1991 vom Ehepaar Simon aus Nürnberg gefunden wurde, zieht er Forscher aus aller Welt in seinen Bann. Und da die Methoden zur Untersuchung im Laufe der Jahre zunehmend weiterentwickelt und verfeinert wurden, treten immer neue Hinweise über die Identität des Eismannes, seinen Lebensstil und die Umstände, unter denen er zu Tode gekommen ist, zutage.
Im Bann des Ötzi
Zum 25. Jubiläum von Ötzis Entdeckung sind dieser Tage zahlreiche Wissenschaftler aus aller Welt nach Bozen gekommen. An der EURAC findet dort ein dreitägiger internationaler Mumienkongress statt. Und dieser ist – wie könnte es anders sein – ganz und gar dem Mann aus dem Eis gewidmet. Doch der Ötzi-Hype hat anlässlich des 25. Jahrestags seiner Entdeckung nicht nur die Wissenschaft fest im Griff. Kaum ein Medium aus dem deutschsprachigen Raum lässt die Gelegenheit aus, am 19. September über Ötzi zu berichten. Der Kreativität der Redakteure scheint dabei keine Grenzen gesetzt. So listet n-tv einige Kuriositäten aus den vergangenen 25 Jahren Ötzi auf. Die deutsche Presseagentur lässt die 75-jährige, inzwischen verwitwete, Erika Simon zu Wort kommen. Auch der SPIEGEL, Focus, die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, berichten über den Sensationsfund und was seither passiert ist – ebenso wie der österreichische Standard und Die Presse, die die erste Reaktion des Finderehepaars Simon wortwörtlich und im fränkischen Dialekt wiedergibt. Ein “Ui, dös is ja a Mensch”, soll Erika Simon an jenem 19. September vor 25 Jahren entgeistert entfahren sein. Den originellsten Beitrag zum Fund-Jubiläum liefert allerdings DIE ZEIT. Redakteur Urs Willmann hat ein Interview – oder, wie er es bezeichnet, ein “faktennahes Gespräch” – mit dem Eismann geführt.
Darin erfährt man, dass sich Ötzi “natürlich” gern aktiver an den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag seiner Entdeckung beteiligen würde – etwa mit einem “Fernsehauftritt beim Lanz”. Dass er stattdessen im Museum in Bozen liegen gelassen werde – und das bei einer Temperatur von konstant minus sechs Grad –, sei “langweilig”. Ausgehend von den wissenschaftlichen Entdeckungen der vergangenen Jahr(zehnt)e erfährt man auf unterhaltsame Art und Weise viel aus dem Leben von Ötzi.
ZEIT: Nervt es Sie, dass in den vergangenen 25 Jahren Hunderte von Wissenschaftlern jede Faser Ihres Körpers analysiert haben?
Ötzi: Mich entsetzt, dass sich keiner an die ärztliche Schweigepflicht gehalten hat. Und einige Untersuchungen habe ich als sehr indiskret empfunden. Mein Darm geht doch keinen etwas an!
Die Wissenschaftler, die am Montag Mittag im Untergeschoss der EURAC vor die zahlreich erschienen Medienvertreter treten, sehen das etwas anders. Sie können von Ötzi nicht genug bekommen und wollen jedes noch so kleine Detail des Eismannes erforschen. Zum Auftakt des Mumienkongresses präsentieren sie neue Erkenntnisse.
Ötzi inspirierte Sepp Messner Windschnur kurz nach seiner Entdeckung zum Song “Eismonn”
Ein heimtückischer Mord…
Dass Ötzi ermordet wurde, stand zehn Jahre nach dem Auffinden seiner Leiche fest. 2001 entdeckten die Forscher eine Pfeilspitze in der linken Schulter des Eismannes. Unter welchen Umständen aber ist er zu Tode gekommen? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit 2014 Hauptkommissar Alexander Horn von der Kriminalpolizei München. Auch er ist am Montag in der EURAC anwesend und berichtet von den neusten Entwicklungen im “Mordfall Ötzi”. “Den Täter haben wir nicht ermittelt”, so Horn, doch das Tatmotiv, so scheint es, ist allem Anschein nach ein persönlicher Konflikt gewesen. Hinweise darauf ist die Tötung durch einen Pfeilschuss aus der Ferne. “Wahrscheinlich hat es bereits wenige Tage vorher eine Auseinandersetzung gegeben, bei der Ötzi eine Verletzung davon getragen hat. Der Täter dürfte ihn dann bei seinem Aufstieg auf den Gletscher verfolgt und heimtückisch ermordet haben”, berichtet der Kommissar. “Ein Verhaltensmuster, wie es sich auch heute noch bei der großen Masse der Tötungsdelikte zeigt.”
Seit einigen Jahren prangt der Frozen Fritz als Tätowierung von Brad Pitts Unterarm.
…und Kontakte nach Mittelitalien
Eine überraschende neue Erkenntnis gibt es auch zu Ötzis herausragendstem Ausrüstungsgegenstand, dem wertvollen Kupferbeil, das vom Mörder am Tatort zurückgelassen wurde. In den vergangenen zwölf Jahren haben sich Wissenschaftler der Universität Padua mit dem Beil beschäftigt und eine Datenbank aller Kupferminen aus der näheren Umgebung des Fundortes von Ötzi erstellt. Und lassen nun mit einer kleinen Sensationsmeldung aufhorchen: “Anders als bisher vermutet, stammt das Kupfer der Klinge nicht aus dem Alpenraum sondern aus Mittelitalien, genauer gesagt, aus der Südtoskana”, berichtet Gilberto Artioli, der die Forschungsgruppe Archäometallurgie in Padua leitet. Nun sollen weitere Analysen folgen, um die ersten Ergebnisse abzusichern. Wird sie bestätigt, liefert die neue Erkenntnis interessante Denkanstöße für die Forschung: Kam Ötzi als Händler womöglich bis in die Gegend des heutigen Florenz? Wie sahen zu seiner Zeit die Handelsverbindungen und kulturellen Kontakte mit dem Süden aus? Waren mit dem Warenaustausch auch Populationswanderungen verbunden, zogen also Menschen aus dem Süden in den Alpenraum und umgekehrt? “Gerade was Fragen zur Bevölkerungsentwicklung angeht, ist das eine spannende Erkenntnis”, erklärt Albert Zink, EURAC-Forscher und wissenschaftlicher Leiter des Mumienkongresses.
Für Spannung scheint also weiterhin reichlich gesorgt zu sein, auch 25 Jahre nach der Entdeckung des Eismannes – und das nicht nur in Forscherkreisen. Hat seine Geschichte doch jüngst auch den Filmemacher Felix Randau zum Drehbuch für “Iceman” inspiriert. Seit mehreren Wochen ist der Hochjochferner Gletscher, wo 2015 bereits der Spielfilm “Everest” gedreht wurde, die Kulisse für den Film, der Ende 2017 in die Kinos kommen soll.