Kultur | Salto Afternoon

Flache Abgründe

Mit dem Roman „Dort“ ist der Schweizer Niko Stoifberg für die 7. Ausgabe des Franz-Tumler-Literaturpreises nominiert, der am 20. September in Laas verliehen wird.
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Foto: Hendrik Dietrich

Sebi Zünd verliebt sich direkt vor seiner Haustür und will die schöne Unbekannte mit dem kleinen Jungen damit beeindrucken, dass er sie nicht einfach anspricht, sondern stattdessen den kleinen Jungen, ihren Bruder, in den See stößt und hinterherspringt, um ihn zu retten. Die Rettung misslingt, der kleine Bruder von Lydia ertrinkt. Klingt erstmal tragisch und ein bisschen geschockt müssen die beiden wohl tun (sie drängt sich in bester Ich-bin-ja-so-verletzlich-bitte-halte-mich-Manier ständig an seine Brust), aber immerhin hat er sie so tatsächlich kennengelernt und später am Abend kommt es dann doch zu dem, was sich der Protagonist quasi seit der ersten Seite gewünscht hat, nämlich Sex. Vorher serviert sie ihm noch ein Steak und sie schlaumeiern ein wenig über ihren und seinen Kreativberuf. Das liest sich in etwa so, als hätte einer unter größter Notgeilheit versucht, etwas intellektuell Anspruchsvolles aufs Papier zu bringen.

Überhaupt werden alle Tragödien, von denen dieser Debütroman nicht wenige erzählt, im Laufe der Lektüre irgendwie harmlos, wie eine Suppe, die langsam abkühlt.

Sebi trifft just am Tag danach zum ersten Mal in fünf Jahren Xenia, die neue Partnerin seines Vaters – man lasse sich ihre Beschreibung auf der Zunge zergehen: OBWOHL sie stämmig ist, wirkt sie doch elegant, und etwas später: „Nein, schlank ist sie nicht. Das nicht. […] Und doch […]“. Obwohl sie also anders als die engelsgleiche, zierliche Angebetete mit ihren „Frauenschritten“ nicht den richtigen BMI hat, lässt der Ich-Erzähler ihr doch die Gnade zukommen, sie trotzdem irgendwie schön zu finden. Sie ist erstmal total angetan von seinen Holzstegen, die er in die Natur hinaus baut, und schleimt über ein paar Seiten kräftig, danach gesteht Sebi ihr natürlich indirekt seine Tat, die er vor Lydia und der Polizei geheim gehalten hat, und (keine Panik, das ist kein richtiger Spoiler, der Autor platziert die Hinweise auf neue Zusammenhänge nämlich denkbar plump) wie sich hinterher herausstellt, ist Xenia die Mutter des ertrunkenen Jungen. Sebi muss dann natürlich ein paar Kapitel lang Läuterung in Form von Erbrechen und Schwitzen und bösen Träumen erfahren, aber eigentlich geht es ihm recht schnell wieder um den nächsten Sex mit Lydia. Xenia hingegen wirkt eher missgünstig den beiden gegenüber als wirklich traumatisiert durch den Tod ihres Kindes, Sebis Vater bleibt überhaupt seltsam konturlos und Lydias prägnanteste Eigenschaft scheint ihr Bedürfnis, sich ständig an Sebis starke Schulter zu werfen, zu sein.


Die Geschichte nimmt derweil Wendungen wie in der besten Bügelnachmittags-Telenovela, wo auf eine Intrige die nächste folgt und alle irgendwie verbandelt sind. Gott sei Dank sind wir zumindest sprachlich auf wesentlich höherem Niveau. Aber inhaltlich wird bald klar, dass Niko Stoifberg beim Schreiben genau das Gegenteil seiner eigenen Aussage „Wir tun, was wir tun, weil wir sind, wer wir sind“ umgesetzt hat. Man merkt, da war die Idee zu einer Geschichte mit ein paar Geheimnissen und krassen Wendepunkten und die Figuren wurden dann in die Handlung hineingedrückt und mussten sich in ihrem Wesen dieser anpassen. Dementsprechend fehlt ihnen nicht nur psychologische Tiefe, sondern schlichtweg die Nachvollziehbarkeit. War ein paar Kapitel weiter vorne noch blanke Abscheu zu spüren, ist es für den Protagonisten etwas später in einem Anfall von Rührseligkeit „nicht selbstverständlich, wie sie mich hier aufgenommen haben“, manche Figuren machen offensichtlich nur den Mund auf, um die Leserschaft lang und ausführlich über die Hintergründe der Geschichte zu informieren, und ständig laden die Figuren durch ihre Taten und Worte Dinge mit Bedeutung auf, die am Ende nicht mehr die geringste Rolle spielen. Überhaupt werden alle Tragödien, von denen dieser Debütroman nicht wenige erzählt, im Laufe der Lektüre irgendwie harmlos, wie eine Suppe, die langsam abkühlt. Während der Mittelteil noch auf etwas Pfeffer hoffen lässt, plätschert am Ende alles irgendwie lustlos ins Nichts. So entpuppen sich die Abgründe, auf die der Klappentext hoffen lässt, als bedauerlich flach.