Gemeinsam ist man weniger allein
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Obwohl es im Stück mehr um die leisen Töne und kleinen Gesten geht, beginnt es mit einem Knall: Im Stadttheater Gries schrecken zahlreiche Zuschauer in ihren Sitzen auf, als Jason De Majo auf die Bühne stürmt und beginnt, Steine in einen Eimer zu werfen. Wir sind in einer Wüste und der Sinn dieser Tätigkeit - De Majo schüttet die Steine immer wieder um einige kleine Gegenstände zu Haufen auf - erschließt sich weder ihm noch uns. Er will sich an nichts mehr erinnern und nichts mehr fühlen, die Sisyphusarbeit wird ihm zum Selbstzweck.
Der Schauspieler ist allerdings nicht allein auf der Bühne, er hat in Michael Untertrifaller sein Gegenstück. Zu Beginn des Stücks klammert sich dieser an einen Strommasten in der Mitte der Bühne fest, sein Blick aber geht neugierig in den Bühnenraum zu seinen Füßen. Will De Majo nichts mehr von der Welt wissen und sich nur mehr durch Beschäftigung betäuben, so möchte Untertrifaller alles - wirklich alles - wissen. Einen großen Handlungsbogen spannt das Stück dabei nicht und bleibt auf dem Punkt einer großen, schön inszenierten Metapher für das Leben stehen, was mehr als ausreichend ist.
Schließlich möchte der, vom Himmel herab gestiegene Untertrifaller auch das Steinesammeln lernen, der einzige der ihm etwas beibringen könnte weit und breit ist De Majo. Erst wiederwillig und sich allmählich öffnend, zeigt dieser dem Neuankömmling erst wie man Steine „richtig“ schleppt, dann lässt er den Fremden auch ein Stück weit in seine Vergangenheit blicken. Der Ballast des einen sind schwerwiegende Steine und Erinnerungen, der des anderen seine Unbeschwertheit und ein Koffer voller Federn. Es zeigt sich, dass De Majo den Verlust einer geliebten Person nicht verwunden hat; Untertrifaller hat, man ahnt es, frischere Wunden auf seiner Schulter: Zwei rote Striche, wo einmal Flügel waren. Der eine ist Mensch, schleppt seinen Verlust mit sich herum, der andere, Engel, ist nun endlich von seiner Vergangenheit in einer Ebene außerhalb der Zeit losgelöst (er beschreibt sein bisheriges Leben in drei Worten: „cielo, aria, volare“) und will eigene Geschichten er-leben.
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Das Thema des Abends, wegen dem das Netzwerk Suizidprävention die Patenschaft für die Aufführung übernommen hat, webt Regisseur Antonio Viganò als gut leserlichen Subtext in seinen Abend ein: Da ist das Symbol des gefallenen Engels, die verlorene Liebe, die „auf einmal verschwunden ist“, obwohl mit ihr gut Kirschen stehlen war und die unsagbar schöne Musik des zu früh von uns gegangenen Luigi Tencos, die aus einem Plattenspieler dringt. Selbst im Publikum wird man da nostalgisch für eine Zeit, die man nie erlebt hat. Aber ein vor Kurzem erst gefallener Engel weiß nicht, wie man tanzt, sein Lehrer hat durch ihn jedoch auch wieder Geduld und Sanftheit gelernt.
Das, was Worte ohnehin nicht auszusprechen wissen übernehmen die „häretischen Körper“ der Kompanie, ob das nun ein Wunsch zu fliegen ist oder jener, seinem Zorn einmal Luft zu machen. Das Stück ist in jedem Fall sehr körperbetont und das an den richtigen Stellen. Dafür hat man mit der Tänzerin und Choreographin Julie Anne Stanzak - vom Tanztheater Wuppertal, der unvergessenen Pina Bausch - eine starke Partnerin gefunden, welche den beiden Darstellern einfache, aber kraftvolle Gesten an die Hand gibt, die Handlungsleerstellen überbrücken und wie ein Bewegungs-Mantra immer wieder zum Einsatz kommen und eine Nähe ermöglichen, die den beiden Männern sonst vielleicht schwerer gefallen wäre.
„Ali“ hat die wichtige Botschaft, dass sich zwar nicht über alles sprechen lässt, es aber besser ist nach den „passenden“ Worten zu suchen und, wenn sich diese nicht finden lassen, auch zu tanzen. Zwischen größtmöglicher Schwere und Leichtigkeit ist das ein irdischer Weg mit den Dingen umzugehen und gleichzeitig auf Distanz zu gehen. Gleichzeitig ist auch der im Wesentlichen unveränderte Bühnenraum, der im Grieser Stadttheater sicherlich nicht optimal ausgeleuchtet ist (das Schummerlicht ermüdet trotz der kurzen Dauer des Stückes die Augen), eine wunderbare Metapher für die Sinnsuche: Keiner der Gegenstände oder der Steine ringsum hat für sich irgendeine Bedeutung. Es ist die Beziehung zu den Dingen und den Menschen, aus welchen wir, so uns das möglich ist, Sinn schöpfen können. Gemeinsam ist man weniger allein.
10 Jahre Teatro la Ribalta - Kunst der VielfaltDie nächsten Termine in der Jubelsaison des Teatro la Ribalta folgen im November. Insgeamt fünf mal wird „Impronte dell'anima“ im Spazio Costellazione in Bozen (Claudia Augusta Straße 111) zu sehen sein: Am 11. (20.30 Uhr) und 12. November (17 Uhr), als Teil der Programmreihe „Corpi eretici“, sowie am 13. und 14. jeweils um 10.30 Uhr als Teil des Projekts „Belli, sani e forti“.
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