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Die Schule des Bilderschriftstellers

"Aus den Memoiren eines Mittelschülers" ist der Untertitel eines tragisch-komischen Buches über das Schulwesen um 1940. Die Zeichnungen und Texte stammen von Paul Flora.
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Foto: Salto.bz

„Mein Desinteresse an der Schule war kaum zu übertreffen, aber immerhin habe ich die Matura gemacht. Die politischen Zustände waren unerfreulich, die Klasse in ein vaterländisches und ein national-sozialistisches Lager gespalten, dazwischen einige Opportunisten.“ Mit den Worten Paul Floras aus dem 1997 erschienenen Erinnerungsbuch Dies und das eröffnete gestern Roland Sila (Kustos der Bibliothek des Ferdinandeum Innsbruck) seinen kurzen Vortrag in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann. Sila war mit seiner Kollegin Helena Pereña (Hauptkuratorin des Ferdinandeum Innsbruck) nach Bozen geeilt, um ein neues Buch zum Ausnahmezeichner vorzustellen. Pereña kuratierte die im Herbst 2016 eröffnete große Paul Flora-Schau im Ferdinandeum.

 

2016 war auch das Jahr, in welchem die Witwe des 2009 verstorbenen Künstlers ein sehr wertvolles Dossier dem Tiroler Landesmuseum überreichte: nämlich ein Skizzenbuch das mit pointierten Zeichnungen und Beobachtungen den Schulalltag der 1940er Jahre dokumentiert. Unter dem Titel Paul Flora: Aus den Memoiren eines Mittelschülers sind die damals entstandenen Aufzeichnungen des zeichnerischen Ausnahmetalents nun bei Folio erschienen.


In rund 50 mit Zeichnungen illustrierten Textminiaturen (Bsp: Wie man dazu kommt, ein Schüler  zu sein / Das Schulgebäude / Die Klassenzimmer / Das Musikzimmer / Der Zeichensaal / Der Chemiesaal / Der Physiksaal / Der Turnsaal / Die Meinung über die Schule / Der Schuldiener / Der Direktor / Der Lehrkörper / Das Elternhaus /  Die Schultasche / Das Zuspätkommen / Das Schuleschwänzen / Die Pause …) beschreibt der 18-jährige Schüler Paul Flora den Alltag und den 1940 herrschenden Zeitgeist an seinem Gymnasium in Innsbruck. „Paul Flora besuchte das älteste Innsbrucker Gymnasium, das Akademische Gymnasium, das sich noch heute an derselben Stelle im Stadtzentrum neben dem Tiroler Landesmuseum befindet“ erzählt Sila bei der Präsentation und setzt Floras Zeitdokument in den Kontext des Entstehungsjahres: „Wie bei allen anderen Tiroler Schulen wird die Direktion nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten durch einen regimetreuen Lehrer besetzt, trotzdem sind gerade für diese Schule auch intensiver Widerstand, vor allem in der Person des kurz vor Kriegsende im Widerstandskampf getöteten Lehrers Franz Mair, verbrieft.“


Die ablehnende Einstellung des jungen Zeichners gegenüber dem damals herrschenden NS-Regime ist spürbar, etwa dann, wenn er die starke militärische Ausrichtung des Unterrichts beschreibt, oder im Kapitel Deutsch zum Wesen des Deutschlehrers festhält:

[…] Der Lehrer ist meist ein schöngeistiger, schwärmerischer Mensch, der mit gewaltigem Pathos seinem Inneren lyrische Redewendungen entreisst.
Oder er ist zu dumm und man muss ihn dauernd korrigieren.
Letztere erst seit kurzem anzutreffen. […]

Flora kritisiert mit hintergründigem Humor, der durchaus „als versteckt geäußerte Kritik am Regime“ verstanden werden kann. Roland Sila erwähnte in diesem Zusammenhang auch die Geschichte von Floras Eltern. Der Vater, eine der „zentralen Figur des Tiroler Widerstandes“ war von Dezember 1943 bis April 1945 im Landesgefangenenhaus Innsbruck inhaftiert, die Mutter Paula Flora wurde ebenfalls „zeitweise festgehalten“

Turnen betrifft den Körper.
Man übt es aus in Turnsälen, Schwimmbädern und auf Sportplätzen.
Man schwimmt, läuft, liegt und hüpft.
Seine Überwacher sind manchmal Weltmeister im Abfahrtslauf und im Nebenberuf Don Juans.
Man turnt gezwungen.

Mit feinem Witz und klarer Botschaft zeichnete der 1922 in Glurns geborene Paul Flora später auch für Erich Kästners Kriegstagebuch Notabene 45. Kästner hatte es – die letzten Kriegswochen in Tirol verbringend – in Mayrhofen im Zillertal verfasst. Der bekannte Kinderbuchautor war es auch, der Flora als Bilderschriftsteller bezeichnete.


Die Neuerscheinung Paul Flora: Aus den Memoiren eines Mittelschüler ist ein wunderbares Geschenk für all jene, die den autoritären Schulalltag von einst, hintergründig und humorvoll nachgezeichnet sehen möchten. Vielleicht ist es auch ein Buch für jene Innsbrucker Schlaumeier, die vor einem Jahr in einer lausigen Aktion Floras Grottenbad (entworfen von Josef Lackner 1969/70) in einer Nacht- und Nebelaktion zerstörten. Die Zerwürfnisse um dieses Baudenkmal hätten in wunderbarer Form an den bekannten Tiroler Architekten und den begnadeten Zeichner erinnern können.

Zum Trost erinnert nun nicht Floras Grottenbad an den dort sicher gerne untertauchenden Zeichner, sondern die vor wenigen Jahren aufgetauchten und lange Zeit unbekannten Erinnerungen eines begabten und sinnreichen Schülers.