Kultur | Salto Afternoon

Miterlebte Gewalt

Zwei Interviews – mit Marcella Pirrone und Guido Osthoff – zum Nachlesen und ein "Intermezzo"-Link zum gestrigen Talk. Der BFFB Festivalschwerpunkt läuft noch bis 21.11.
Diskussion
Foto: Intermezzo

I.

Antigewalttraining und Männerberatung, was ist das?


Wann kommen die Männer zum Antigewalttraining?

Guido Osthoff: Die meisten kommen, wenn es Auflagen gibt, beispielsweise vom Jugendgericht. Väter müssen nämlich das Training absolvieren, wenn sie Kontakt zu ihren Kindern haben wollen. Häusliche Gewalt gibt es übrigens häufiger in Familien mit Kindern.

Wie läuft das Training ab?

Der Mann meldet sich bei uns an. Dann gibt es in der Regel drei persönliche Gespräche, die sogenannte Clearingphase. Die betroffene Frau wird, wenn möglich, von den Kolleginnen der Frauenhäuser kontaktiert, die ihr Hilfe anbieten. Mit Hilfe von Fragebögen für den Mann und für die Frau wird das Gewaltverhalten abgeklärt. Frühestens nach drei individuellen Treffen wird der Mann in die Gruppe aufgenommen, wo das Antigewalttraining abläuft. Beim Einstieg in die Gruppe ist es wichtig, mindestens einen Teil der eigenen Verantwortung erkannt zu haben. Männer neigen zunächst gerne dazu, die Gewaltvorwürfe als ungerechtfertigte Beschuldigung abzutun. Die Gruppe ist wichtig, um genau diese Sichtweise zu ändern. Im Training geht es darum, dass die Männer die Verantwortung für ihr gewalttätiges Verhalten übernehmen, erkennen, wie die Dynamiken ablaufen und an Notlösungen für eskalierende Situationen arbeiten. Eine davon kann es sein, den Raum zu verlassen.

 

Wie lange dauert so ein Training?

Das Training umfasst 28 wöchentliche Treffen und kann bis zu einem Jahr dauern.

Werden sie dezentral angeboten?

Nein, das geht deshalb nicht, weil die Gruppe eine bestimmte Größe haben muss, und weil sich nicht so viele Männer melden.

Sie bieten auch Männerberatung an. Hat das eine mit dem anderen zu tun?

Nein, das Gewalttraining ist eine Sache, Männerberatung eine andere. Diese wird in Meran, Brixen und Bozen angeboten. Männer können kommen, wenn sie etwas zu besprechen haben, mit dem sie selber nicht klarkommen. Die Themen sind vielfältig. Das geht von Lebenskrisen, Vaterrolle über Beziehungsthemen ganz allgemein, aber auch um Konflikte oder Trennungen.



II.

Die Frauen wollen Sicherheit für sich und ihre Kinder


Ist die Rechtsprechung so weit, dass sie Frauen vor Gewalt und deren Folgen schützen kann?

Marcella Pirrone: In Italien gibt es gute Gesetze. Die sind in enger Zusammenarbeit mit allen Interessenvertretungen ausgearbeitet worden. Problematisch und schlecht ist deren Anwendung, denn die hängt von Menschen ab. Es geht darum, Gewalt richtig sehen und lesen zu können, denn dies ist ein komplexes Problem zu dem es fachliche Kompetenz braucht. Eine spezifische Ausbildung zum Thema Gewalt gegen Frauen ist in keinem Studienlehrgang vorgesehen. Eine solche wäre aber für alle Fachkräfte (Justiz, Polizei, Soziales und Gesundheit) dringend nötig, um die althergebrachten Muster zu überwinden.

Zu welchen Fragen werden Sie um Hilfe gebeten?

Die Frauen brauchen Unterstützung, um aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. Dafür ist eine klare rechtliche Beratung genauso wichtig wie eine Analyse ihrer Risikosituation, damit sie sich sicher fühlen können. Die Frauen wollen nämlich vor allem Sicherheit für sich und ihre Kinder und ein ruhiges Leben. Wenn sie sich aus einer Gewaltsituation befreien wollen, können sie leider das Leben riskieren. Auch das häufig zugestandene Besuchsrecht der Väter ist problematisch. Wenn Kinder Opfer miterlebter Gewalt sind, haben sie Angst vor ihren Vätern, dies wird aber nicht ernst genommen.
Rechtlich erkennt man inzwischen die miterlebte Gewalt als Misshandlung an, auch wenn es keine Übergriffe auf die Kinder selbst gegeben hat.

 

Wie schwer fällt Frauen der Weg zur Rechtsanwältin?

Vielen Frauen fällt dieser Weg sehr schwer, weil sie sich selbst die Schuld für die Übergriffe geben. Und ihr Umfeld spielt die Übergriffe oft herunter, ganz nach dem Motto „Alles nicht so schlimm“. Je weniger klar ist, dass es sich um Vergehen handelt, desto schwerer ist der Weg zur Rechtsberatung. Frauen, die aus einem Ambiente kommen, in dem alles nach heiler Welt aussehen will oder solche mit Männern in der Öffentlichkeit tun sich besonders schwer. Ihnen wird noch weniger geglaubt.

Ist Rechtsberatung immer kostenpflichtig?

Die Rechtsberatung ist nicht kostenpflichtig, wenn es sich um 2 spezifische Straftaten handelt: Missbrauch in der Familie und sexuelle Gewalt. Bei zivilrechtlichen Angelegenheiten wie Trennung oder Scheidung ist die rechtliche Begleitung nur dann kostenlos, wenn das Einkommen der Frau unter einem bestimmten Limit liegt.

Interviews: Renate Mumelter (für das Netzwerk Gewaltprävention)