Kultur | Israel

Zeitlose Perspektiven

Die Zeitschrift Kulturelemente beschäftigt sich mit Israel. Aus aktuellem Anlass ein Interview mit den beiden Machern der Zeitschrift Hannes Egger und Haimo Perkmann.
Kulturelemente
Foto: Yael Schmidt
  • SALTO: Ihr habt die jüngste Ausgabe der Zeitschrift Kulturelemente dem Thema Israel gewidmet. Bei Erscheinen der Nummer, Anfang Oktober, brach der Konflikt los. Welchen Blick habt Ihr auf die Ausgabe, wenige Wochen später?

    Hannes Egger: Es ist unglaublich tragisch was gerade geschieht. Das Heft und vor allem die Recherche dazu hat mir ein differenziertes Bild zu Israel geboten, das ich versuche weiterhin offen zu halten, ohne in ein einfaches Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. Wir hoffen, dass wir mit der Ausgabe dazu beitragen konnten und können, das Land, die Geschichte, die Politik, die Menschen und dadurch auch den Konflikt besser zu verstehen. Wir wollten Hintergrundwissen bieten, das vor allem jetzt wichtig ist – dies belegen auch die Reaktionen unserer Leser*innen. 

  • Liebling Garten inspiriert von Patrick Geddes, Stadtplaner von Tel Aviv, Liebling Haus Foto: Yael Schmidt

    Haimo Perkmann: Natürlich ändert sich beim Ausbruch eines bewaffneten Konfliktes vieles, einige Konstanten aber bleiben gleich, z.B. dass Netanyahu in weiten Teilen der Bevölkerung unbeliebt ist und hier zu einem späteren Zeitpunkt noch viel passieren wird. Immerhin ist Israel die einzige liberale Demokratie im gesamten Nahen Osten, wo die Menschen das Recht haben zu demonstrieren. Also gingen zwei Jahre lang immer wieder Bürger*innen auf die Straße, um ihren Unmut gegen die undemokratischen Entwicklungen unter dieser Regierung zum Ausdruck zu bringen. 

  • Balkon im internationalen Stil, Rückansicht, Norden, Liebling Haus Foto: Yael Schmidt

    Wie ist Kulturelemente Nummer zu 75 Jahre Israel entstanden? Wer hatte die Idee dazu? Wie war Eure redaktionelle Herangehensweise?

    Hannes Egger: Entstanden ist die Ausgabe durch eine Reise meiner Tochter und mir nach Israel im Sommer 2022. Wir haben verschiedene Ortschaften besucht und Menschen getroffen, sind in die Westbank gefahren und haben uns auch erkundigt, ob es irgendwie möglich wäre, in den Gaza-Streifen zu reisen. Bekannte und Freunde von mir und von meiner Tochter haben wir getroffen und mit ihnen sehr spannende Gespräche geführt. Durch die intergenerationalen Gespräche zwischen uns und dann auch in unserem Bekanntenkreis in Südtirol ist mir aufgefallen, wie interessiert die Menschen an Israel sind. Mit der Zeit ist dann dieses Heft entstanden. 

    Ich versuche mich eher durch Lesen und Radiohören zu informieren. 

  • Haimo Perkmann: Zu dieser Ausgabe habe ich einige Interviews, Übersetzungen und den Podcast beigesteuert. Wir sprechen uns stets relativ genau ab, um eine kontextuell gemeinsame und vielseitige Nummer zu produzieren. Denn unsere Ansichten und auch die der Autor*innen dürfen und sollen auch stark voneinander abweichen.
    Die israelischen Autor*innen des Heftes, mit denen wir weiterhin in Kontakt sind, werden aber auch in Zukunft ganz sicher keine Freunde dieser Regierung.
    In Israel sind, wie in jeder Demokratie, abweichende Meinungen möglich, während dies in sämtlichen arabischen Staaten keineswegs der Fall ist. Diese inner-israelischen Konflikte und weiteren gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte des Alltagslebens haben wir in Kulturelemente #171/172 herausgearbeitet, und diese Themen sind wichtiger denn je.

  • Einblick in das "Hadira residency program" Foto: Yael Schmidt
  • Neben einem historischen Abriss von Rolf Steininger werden in einem Beitrag auch Gefahren zur drohenden Entdemokratisierung erörtert. Welchen Beigeschmack haben die eigentlich zeitlos angedachten Texte, wenn aktuell im TV die Bilder vom Kriegsschauplatz dominieren?

    Haimo Perkmann: Die Zeitschrift Kulturelemente erscheint alle zwei Monate, daher befassen wir uns eher mit längerfristigen Entwicklungen. In dieser Perspektive sind die zeitlos angedachten Texte immer noch gültig. Themen wie Demokratie, friedliches Zusammenleben, Justizreform etc. werden gerade nach diesem kriegerischen Konflikt wieder und noch stärker diskutiert werden. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt für diese Debatte, die sicher wieder aufkeimen wird.

    Hannes Egger: Im aktuellen Hochkochen des Nachost-Konflikts dürfen wir die Innenpolitik mit der Justizreform nicht vergessen, genauso wenig wie die internationale Lage. Ich glaube, insofern ist die Kulturelemente-Ausgabe zu den 75 Jahren Israel immer noch aktuell, denn sie beleuchtet unter anderem auch diese Aspekte. TV-Bilder versuche ich so wenig wie möglich zu sehen, denn Bilder, besonders bewegte Bilder, haben eine starke emotionale Wirkung und zeigen – wie wir wissen – gerne Teilwahrheiten. Ich versuche mich eher durch Lesen und Radiohören zu informieren. 

  • Liebling Haus, Ansicht von der Idelson Straße Foto: Yael Schmidt

    Ihr habt einen Podcast zur Israel-Nummer gestaltet. Da war der Konflikt bereits voll im Gange. Wie sehr musstet ihr euch in der Gestaltung um Ausgewogenheit bemühen?

    Hannes Egger: Lange haben wir in der Reaktion darüber gesprochen, wie wir damit umgehen. Ob wir noch einen Podcast produzieren oder nicht … 

  • Haimo Perkmann: Insofern im Podcast die Autor*innen unserer Zeitschrift zu Wort kommen bzw. deren schriftliche Beiträge in eine Art Audio-Essay einfließen, mussten wir uns hier nicht um Ausgewogenheit bemühen. Zu Wort kommen ein Friedensaktivist sowie, unter anderem, der langjährige ARD-Korrespondent Richard C. Schneider, weil seine Kritik an der Justizreform der rechtsgerichteten Regierung Netanyahu weiterhin aktuell bleiben wird.

  • Original Frankfurter Küche, Liebling Haus Foto: Yael Schmidt

    Mit Zohar Gotesmann ist auch ein Künstler in der Ausgabe vertreten, der des Öfteren in Südtirol war und auch Land und Leute sehr gut kennt. Wie blickt er auf sein Herkunftsland?

    Hannes Egger: Zohar Gotesmann ist als guter Künstler ein hervorragender Beobachter seiner Umwelt. Dies drückt er in Kunstwerken aus. Seine Ausstellung in der archäologischen Abteilung des Isreal Museum war so smart wie politisch: Er mischte sich mit seinen Werken in das Narrativ der israelischen Geschichte ein, gerade in einem jungen Land mit alter Geschichte ein sehr heikler Moment. Die maximale Expression dessen ist – meiner Meinung nach – der Thron des Königs von Israel, gestaltet wie ein Schleudersitz einer F-35. Seit dem Ausbruch des Krieges muss ich sehr oft an dieses Werk denken und interpretiere es in meinem Kopf immer wieder neu. Ich glaube, das ist gerade die Qualität des Künstlers, dass er zum Denken und Neudenken anregt. 

  • Haimo Perkmann: Wie er auf sein Herkunftsland blickt, ist übrigens ausführlich und spannend im Kulturelemente-Interview nachzulesen. Diese Edition kann, wie alle Kulturelemente-Ausgaben online, gratis und ohne Anmeldung gelesen werden.
     

    Im Zuge dieser Ausgabe zu Israel habe ich mich eingehend mit der Geschichte des Konfliktes vom Unabhängigkeitskrieg 1948 bis heute beschäftigt.

  • Wie beobachtet Ihr im Zusammenhang des Konflikts die kontroversen Positionen und aggressiven  Stellungnahmen?

    Hannes Egger: Wir leben in einer Zeit, in welcher Kriege über die Medien geführt werden und Aufmerksamkeit die wichtigste Waffe ist. Zu erreichen ist diese am einfachsten durch starke Bilder und aggressive, spaltende Aussagen. Ich bin sehr froh, mit Menschen auf beiden Seiten in Kontakt zu sein, die differenziert denken können und ihr eigenes Umfeld reflektieren. Das gibt mir doch irgendwie Hoffnung. 

    Haimo Perkmann: Die mediale Gier nach Aufmerksamkeit ist das eine, das andere aber ist die tatsächliche, tödliche Radikalität. Ich denke, Hannes und ich sind hier zu etwas anderen Schlussfolgerungen gelangt, aber diese Dialektik müssen wir in einer Kulturzeitschrift aushalten. Im Zuge dieser Ausgabe zu Israel habe ich mich eingehend mit der Geschichte des Konfliktes vom Unabhängigkeitskrieg 1948 bis heute beschäftigt. Und je mehr ich dazu gelesen habe, umso größer wurde mein Verständnis für Israel. Die andere Seite ist bis heute auf kein Friedensangebot eingegangen. „Unser grundlegendes Ziel ist die Vernichtung Israels“, sagte Ägyptens Präsident Nasser, dies gilt offenbar als common sense im Nahen Osten. 
    Ich war dennoch überrascht, wie radikal die Hamas-Gründungscharta ist. Beim Lesen dieses Manifestes wird klar, dass das keine politische, sondern eine religiös fundamentalistische Bewegung ist ein Konglomerat aus blankem Judenhass und einem religiös motivierten, fanatischen Todeskult. Dort steht u.a.: „Unser Ziel ist Allah, unsere Verfassung der Koran, unser Weg der Jihad, unser hehrster Wunsch, für Gott zu sterben.“ Es gibt übrigens als Anreiz für Attentäter hohe Märtyrer-Renten für deren Witwen.
     

    In unserer Ausgabe zu 75 Jahre Israel kommen sehr pluralistische Ansichten aus Israel und Palästina zu Wort, es ist ein äußerst interessantes, mobiles, pulsierendes Land. 

  • Dauerausstelllung Exceptional: The White City – an Everyday Heritage, Liebling Haus Foto: Yael Schmidt

    Im Hamas-Manifest wird auch der Endkampf und Tod der Juden durch die Muslime vorhergesagt. Ich frage mich, wie jemand mit Leuten Frieden schließen kann, deren deklariertes Ziel die Vernichtung des anderen ist.
    In Kulturelemente kommen Israelis zu Wort, die Friedensinitiativen betreiben und für die Rechte der Palästinenser einstehen, weil diese, vor allem im Westjordanland, nichts mit der Hamas zu tun haben. Und die als ungerecht empfundene Siedlungspolitik Netanyahus im Norden hat wiederum wenig mit Gaza zu tun. Natürlich wissen auch die Friedensaktivisten, dass für einen Frieden vorher Hamas von der politischen Bildfläche verschwinden muss. Es hätte sicher auch anders kommen können, aber leider besteht die aktuelle israelische Regierung aus wenig kompromissbereiten Hardlinern. Die Gemäßigten aller Lager wurden aus dem Weg geräumt.

  • Denn dort endet dann unsere Utopie von Demokratie, Weltoffenheit und Aufklärung.


    Journalist Travaglio schreibt, dass der Palästina-Konflikt nicht mit Waffen, sondern mit Geld für den Aufbau zu lösen ist. Es ist aber so, dass Gaza in den letzten 50 Jahren sehr viel Geld bekommen hat. Gaza könnte schon längst wohlhabend sein, wenn seine Anführer kein archaisches „Mindset“ hätten.
    Die linken Student*innen, die – mit teils massiv antisemitischen Plakaten – für diese Terroristen demonstrieren, sollten bedenken, dass die Hamas Homosexuelle, LBTQ und Linke generell sofort hinrichten und Frauen zum Schweigen bringen würde.

  • Stadtplanungs-Lounge und Forschungslabor, Liebling Haus Foto: Yael Schmidt

    Ihr seid beide Kinder (bzw. Jugendliche) der 1990er Jahre. Was ist vom Friedensnobelpreis an Jassir Arafat geblieben? Was vom Palästinensertuch, das auch in Südtirol gerne getragen wurde…

    Haimo Perkmann: Als politisch engagierter und weit linksstehender Jugendlicher habe ich in den 1990er Jahren die kefiah getragen und für Palästina demonstriert. Allerdings war die erste Intifada etwas anderes als die darauffolgenden Provokationen und Selbstmordattentate radikaler fundamentalistischer Gruppen. Wie auch die heutigen propalästinensischen Jugendlichen war ich sehr engagiert, aber nicht gut informiert. Allein die Tatsache, dass Arafat, die PLO-Spitze und die Hamas-Führer auf Kosten ihrer eigenen Leute Millionen gescheffelt haben, während sie ihre Leute als Kanonenfutter missbrauchen, sollte den Demonstrant*innen zu denken geben. 

  • In den Kulturelemente-Beiträgen der israelischen Autor*innen kommt klar zu Tage, wie modern dieses Land und wie vielseitig seine Gesellschaft ist. Dennoch gibt es eine Grundstimmung, die allen gemeinsam ist, sie betrifft die unmittelbare Angst vor Terror und Krieg; und das Wissen, dass es für sie nur dieses Land, nur Plan A, gibt, und dass sie sonst alles verlieren würden. Und wir sollten uns hierzulande auch fürchten, wenn Israels Existenz auf dem Spiel steht und sich der ganze Nahe Osten – von Gaza bis zum Iran und bis an die Grenze Indiens – in eine geschlossene Weltregion anti-demokratischer Regime verwandelt. Denn dort endet dann unsere Utopie von golobaler Demokratie, Weltoffenheit und Aufklärung.

  • Wie viele andere Träume der 1990er Jahre zerplatzte auch der Friedensprozess in Israel.


    Hannes Egger: Sozialisiert wurde ich in einer eher linken Gruppe von Jugendlichen. Wir trugen diese Tücher, manche aus Mode, anderen war klar worum es ging. Die Zweistaaten-Lösung schien greifbar und die Solidarität mit den Palästinensern war in Südtirol groß, wahrscheinlich auch aus der eigenen Geschichte heraus gedacht. Wie viele andere Träume der 1990er Jahre zerplatzte auch der Friedensprozess in Israel. Mir kommt aktuell vor, dass gerade die Utopien der Jahre nach dem Zusammenbrauch der Sowjetunion und dem „Ende" des Kalten Krieges zusammenbrechen.

  • Kulturelemente: 75 Jahre Israel
    Die Fotos zum geführten Interview sind Teil der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Kulturelemente und stammen von der Fotografin Yael Schmidt. Motiv ist das Liebling Haus dient als urbaner Knotenpunkt und fördert den lokalen und internationalen Dialog und die Zusammenarbeit in den Bereichen Denkmalschutz und Architekturforschung, Berufsausbildung und Wissen. 

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Stefan S So., 19.11.2023 - 12:16

"Wir leben in einer Zeit, in welcher Kriege über die Medien geführt werden und Aufmerksamkeit die wichtigste Waffe ist. Zu erreichen ist diese am einfachsten durch starke Bilder und aggressive, spaltende Aussagen. Ich bin sehr froh, mit Menschen auf beiden Seiten in Kontakt zu sein, die differenziert denken können und ihr eigenes Umfeld reflektieren."
Das ist derzeit unser größtes sozialgesellschaftliches Versäumnis das wir die sog. Sozialen Medien, welche in Wirklichkeit völlig unsozial sind, freien Lauf lassen und dies auch noch als liberal und weltoffen feiern. Die Flut an Bildern und plakativer Rhetorik ist kaum noch zu bewältigen und lässt einen differenzierten Blick kaum noch zu. Profiteure sind die Datenkraken und deren Kundschaft welche man heutzutage liebevoll Holdings nennt. Diese Holdings dienen einzig und allein der Steuervermeidung und somit dem Betrug am Staat und der Gesellschaft. Unsere Politiker verkommen immer mehr zu Stakeholder dieser fatalen Entwicklung. Da brauchen wir auch nicht mit dem Finger auf - > "PLO-Spitze und die Hamas-Führer auf Kosten ihrer eigenen Leute Millionen gescheffelt haben,"
zeigen weil unsere westliche Gesellschaft eine ähnliches Finanzgebaren aufweist. Panamapapers usw. geben uns genug Hinweise darauf. Von den ganzen Steuerparadiesen ganz zu schweigen.
Aber das sollte hier auch gesagt sein, ein gutes Interview mit einer ausgewogenen und vor allem einer differenzierten Sicht auf die aktuelle Situation.

So., 19.11.2023 - 12:16 Permalink
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Peter Gasser So., 19.11.2023 - 12:52

Zitat: „Mir kommt aktuell vor, dass gerade die Utopien der Jahre nach dem Zusammenbrauch der Sowjetunion und dem „Ende" des Kalten Krieges zusammenbrechen“:
das ist wohl so... 50 Jahre „Frieden“ in Europa werden langsam zu Geschichte, und die menschliche Normalität von Streit, Übervorteilung und Krieg kehrt zurück... Rudelmentalität mit toxischen Alphatieren als Führern der Meute dahinter...
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Ein interessantes und informatives Interview. Sachlich und klar.

So., 19.11.2023 - 12:52 Permalink