Gesellschaft | Gleichberechtigung

„Südtirol schaut hin!”

760 Frauen haben sich letztes Jahr wegen einer Gewaltsituation bei einer Beratungsstelle Hilfe geholt. Das Land will den Frauenhausdienst ausbauen und startet nächste Woche eine Kampagne.
Pressekonferenz gegen Gewalt an Frauen
Foto: LPA / Fabio Brucculeri
  • 760 Frauen haben sich im Jahr 2023 an eine Beratungsstelle gewandt, weil sie einer Gewaltsituation entkommen wollen. Dies sind rund 160 Frauen mehr als noch im Jahr 2022. Diese Zahlen, erhoben vom Landesinstitut für Statistik, stellte Landesrätin Rosmarie Pamer gestern (18. November) vorab bei der Vorstellung der Aktionen zum Tag gegen Gewalt an Frauen vor. Die detaillierte Erhebung veröffentlicht ASTAT am 22. November.

    Gemeinsam mit Landeshauptmann Arno Kompatscher, dem Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen um Präsidentin Ulrike Oberhammer und Vizepräsidentin Nadia Mazzardis, dem Netzwerk gegen Gewalt an Frauen, dem Frauenbüro und dem Amt für Kinder- und Jugendschutz und Soziale Inklusion stellte Pamer die Aktion „Südtirol schaut hin!” vor. Diese legt ihren Fokus auf die vielen, manchmal auch unsichtbaren, Formen von Gewalt, mit denen Frauen konfrontiert werden.

    „Wir dürfen Opfer und ihre Familien nicht alleine lassen, denn viel zu oft wird leider immer noch weggeschaut, wenn Gewalt passiert. Opfer berichten davon, dass das übergriffige Verhalten bekannt war und doch haben viele zu oft nicht hingeschaut”, hält Beiratspräsidentin Oberhammer fest. Das gelte für Gewalt am Arbeitsplatz, in den eigenen vier Wänden, im Sport und in der Kirche. Und wenn, dann werde durch die Täter-Opfer-Umkehr vielfach den Frauen die Schuld gegeben. 

     

    „Auch Männer müssen Verantwortung übernehmen, wenn sie unangebrachte Verhaltensweisen tolerieren.”

     

    „Es ist deshalb wichtig hinzuschauen, bereits in der Schule anzusetzen und das Personal in sämtlichen Bereichen zu schulen, unter anderem im Kindergarten- und Schulwesen, im Sanitätsbereich, in den Gerichten. Nur durch ein starkes und enges Netzwerk, welches auch die Täterarbeit einschließt, können wir Gewalt sichtbar machen und einen Kulturwandel herbeiführen”, ist Oberhammer überzeugt. „Es geht darum, ein Signal zu setzen. Denn Gewalt an Frauen darf keinen Platz haben. Wegschauen ist keine Option, nicht für die Politik, nicht für die Gesellschaft”, unterstreicht auch Landesrätin Pamer. Die Vizepräsidentin des Landesbeirates für Chancengleichheit, Nadia Mazzardis, erinnert daran, dass Frauen oft wie ein Besitz gesehen würden, die danach beurteilt werden, wie sie sich kleiden, wie sie sich verhalten, wie sie ausschauen. Mazzardis richtet sich vor allem an die Männer: „Auch Männer müssen Verantwortung übernehmen, wenn sie unangebrachte Verhaltensweisen tolerieren. Andernfalls bleiben Frauen Objekte, im öffentlichen und im privaten Raum, die man besitzen kann. Und wenn dieser Besitz 'weggenommen' wird, berechtigt das zum Bestrafen oder gar zum Töten.”

  • Ausbau der Hilfsangebote

    Rosmarie Pamer: „Es geht darum, ein Signal zu setzen.” Foto: LPA / Fabio Brucculeri

    Um Frauen, die Opfer von Gewalt werden, besser zu unterstützen, wurde vor zwei Jahren ein Landesgesetz zur Gewaltprävention erlassen. „Die Überwachung und Umsetzung des Landesgesetzes ist eine wichtige Funktion des Amtes für Kinder- und Jugendschutz und Soziale Inklusion”, sagt Amtsdirektorin Astrid Wiest. Die Umsetzung erfolge unter anderem, indem der Solidaritätsbeitrag für den Rechtsbeistand für Gewaltopfer eingeführt wurde. 2024 haben sechs Frauen darum angesucht, drei haben den Beitrag bereits erhalten, informierte Wiest. Im Rahmen des Dreijahresplanes 2023-25 werde derzeit an einem Ausbau des Frauenhausdienstes auf die Bezirksgemeinschaften Überetsch-Unterland, Salten-Schlern und Vinschgau gearbeitet. Zudem sei man auch im Bereich der Interventionen für Täter von geschlechtsspezifischer Gewalt aktiv, die erarbeiteten Leitlinien werden derzeit von der Landesabteilung Soziales überprüft.

  • Mehr Hinschauen

    Die Sensibilisierungskampagne läuft vom 26. November bis zum 10. Dezember und gibt Einblicke in fünf versteckte Formen von Gewalt: sexistische Sprache, stereotype Geschlechterrollen, sexuelle Objektivierung, Victim Blaiming und Catcalling. Mit Plakaten, einer eigenen Webseite und Social-Media-Formaten wird aufs Thema hingewiesen. Erarbeitet wurde die Kampagne vom Netzwerk gegen Gewalt an Frauen, dem neben dem Landesbeirat für Chancengleichheit und dem Frauenbüro weitere 20 Vereinigungen und Organisationen angehören, in Zusammenarbeit mit der Agentur für Presse und Kommunikation. „Gewalt ist ein komplexes Phänomen, darum braucht es auch diverse Gegenmaßnahmen”, hält Sigrid Pisanu vom Verein „Donne contro la violenza - Frauen gegen Gewalt”, der in Meran den Frauenhausdienst betreibt, fest. Pisanu stellte, stellvertretend für das landesweite Netzwerk der Frauenhaus- und Beratungsdienste, die Kampagne vor. Die Drucksorten zur Kampagne sind im Frauenbüro des Landes erhältlich.