Stammtisch ohne Parolen
Der Tisch wird unterschätzt. Dabei bringt er Menschen zusammen, die daran gemeinsam essen, arbeiten, kontrovers diskutieren. Und sich dabei in die Augen sehen. Tische ermöglichen also direkten Kontakt zwischen Menschen. Dies ist ein Kernaspekt des Konzepts „runder Tisch“, bei dem Vertreter verschiedener Sektoren multiperspektivisch an einem bestimmten Thema arbeiten. So können optimierte Lösungsansätze entstehen, die spezifische Orts- und Personenressourcen berücksichtigen. Das Konzept kann auf verschiedenen Organisationsebenen, etwa von der EU- bis auf die Gemeindeebene, umgesetzt werden. Dabei sollen Entscheidungskompetenzen jeweils auf diejenige Ebene verlagert werden, die am besten weiß, worum es bei einem bestimmten Thema geht.
Beispielsweise für die Integration von Migranten hält Prof. Dr. Susanne Elsen von der Universität Bozen runde Tische für besonders geeignet. „Wenn Du kleine Einheiten in Gemeinden schaffst, wie das SPRAR-Programm es vorsieht, stehst Du als Bürger nicht einer anonymen Masse von Migranten gegenüber, sondern konkreten Subjekten,“ erklärt Elsen. Unter aktiver Einbeziehung und Mithilfe seiner Gemeindemitglieder gelang es etwa dem Bürgermeister der Gemeinde Tiers, Migranten mitten im Dorf zu integrieren. Bürgerinnen und Bürger brachten sich mit Vorschlägen ein, wo die Migranten wohnen und beschäftigt werden könnten.
Indem sich runde Tische das Wissen der betroffenen Menschen zu Nutze machen, fällt es leichter, sektorenübergreifend zu arbeiten und die richtigen Ressourcen zusammen zu legen. So können Gemeindemitglieder vorschlagen, wo sie Wohnraum zur Verfügung stellen können oder bei welchen gemeinnützigen Organisationen wie der freiwilligen Feuerwehr, der Bergrettung oder in der Landwirtschaft, Migranten beschäftigt werden können. Das Beispiel Wohnen und Beschäftigung veranschaulicht außerdem, inwiefern runde Tische das spezifische Wissen der betroffenen Gemeindeebene bestmöglich mobilisiert. Indem die Menschen, die mit den zu integrierenden Migranten ihr Alltagsleben teilen werden darüber nachdenken, was gebraucht wird, um den Gemeindealltag zu leben, können geeignete Mittel in verschiedenen Bereich wie Wohnen, Soziales und Arbeit aufeinander abgestimmt bereit gestellt werden.
Insbesondere eine regelmäßige Beschäftigung fördert die erfolgreiche Integration, betont Prof. Dr. Elsen: „Durch Arbeit oder besser, aktive Tätigkeit, haben die Migranten die Chance, den Alltag und Menschen vor Ort kennen zu lernen, die Sprache zu erwerben, die Möglichkeit Alltagsregeln und Kultur kennen zu lernen. Die andere Seite ist, dass die Bürger vor Ort die Migranten als aktive Menschen wahrnehmen können, die etwas zurückgeben. “ So fällt es leichter, Migranten als konkrete Subjekte und nicht als abstrakte Gruppe „der Anderen“ zu betrachten.
Darauf zielt auch das italienische Projekt Sprar ab, in dessen Rahmen die Gemeinde Tiers Migranten integriert. Das Projekt zielt darauf ab, von Seiten der Gemeinden individuell zugeschnittene Programme für kleine Gruppen von Migranten zu implementieren, um diesen aktive Teilhabe am Gemeindeleben zu ermöglichen. Die Wichtigkeit kleiner Gruppen und auf örtliche Gegebenheiten sowie Ressourcen abgestimmter Maßnahmen verdeutlicht auch das Projekt „Funky Tomato“ in Venosa. Auf der Tomatenfarm sind einige Migranten beschäftigt, die sich neben der Arbeit in einem Rap-Musikprojekt engagieren, wodurch Freizeit und Arbeit im kleinen Rahmen verzahnt werden.
Damit runde Tische auf Gemeindeebene funktionieren, bedarf es sektorübergreifender Abstimmungen auf allen Ebene der EU von oben bis hinunter in auf die Gemeindeebene. „Schwierig ist, wenn komplexe Integrationsfragen auf sozialpolitische Maßnahmen reduziert und damit Migranten als „Sozialfälle“ marginalisiert werden.“ Die diesjährige Studie1 von Johanneum Research Graz zeigt z.B., dass Migranten, sofern sie die Chance der Integration erhalten, mehr zur Volkswirtschaft und damit zur Gesellschaft beitragen, als sie kosten ,“ betont Prof. Dr. Elsen. Um populistischen Einstellungen gegen Migranten vorzubeugen, ist eine gelingende Integration dementsprechend auf allen Ebenen der EU interessant.
Damit runde Tische funktionieren, sind Konnexität sowie Subsidiarität zwischen vertikalen und horizontalen Organisationsebenen essentiell. Das bedeutet, entsprechende Handlungskompetenzen und Mittel etwa auf Gemeindeebene zu übertragen, um problem- und bürgernahe Lösungen zu finden. Die Klärung der Zuständigkeiten zwischen allen Ebenen, von der europäischen Union über die Nationalstaaten, von den Regionen bis hin zu den Gemeinden ist insbesondere notwendig, „damit nicht einfach nur von oberster Ebene an die Gemeinden delegiert wird, denn dann würde man die Gemeinden, und damit natürlich auch die Bürger, überfordern,“ so Prof. Dr. Elsen.
Der Vorschlag, das Konzept runder Tische einzusetzen, könnte somit zu einem Paradebeispiel für ein Europa der Regionen werden. Der Wille der Bürger zu mehr Demokratie in verschiedenen Bereichen scheint in Südtirol durchaus vorhanden zu sein, wie auch die pestizidfreie Gemeinde Mals verdeutlicht.