Wirtschaft | Obstgenossenschaften
Der Spaltpilz
Foto: Suedtirol Foto/Othmar Seehauser
Der Mann hat die Hälfte seines Lebens in den Gremien der Südtiroler Obstgenossenschaften verbracht. „Wie kann einer, der die Spielregeln aufgestellt hat und der oberste Garant für deren Einhaltung ist, der Erste sein, der genau diese Regeln bricht?“, schüttelt er nur mehr den Kopf.
Es ist eine rhetorische Frage, die eine fast schon absurde Situation beschreibt, die sich derzeit im Verband Südtiroler Obstgenossenschaften (VOG) bietet.
Die VOG steht vor der wahrscheinlich größten Krise seit ihrer Gründung. Denn auf dem Südtiroler Flaggschiff in der Apfelproduktion und –vermarktung kann man derzeit gleich drei gefährliche Brandherde ausmachen, die lichterloh brennen. Das Schiff navigiert in gefährlicher Schieflage.
So wurde vor wenigen Tagen innerhalb der VOG-Mitglieder eine Unterschriftenaktion gestartet, mit der Langzeitobmann Georg Kössler zum Rücktritt bewegt werden soll. Zudem aber hat es in den vergangenen sechs Wochen die Struktur und das Organisationsmodell der VOG gleich an zwei verschiedenen Stellen zerbröselt.
Längst ist klar, dass schon bald nichts mehr so sein wird wie früher. Deshalb will man jetzt die Flucht nach vorne wagen und den Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften nachhaltig umorganisieren.
Der Verband
Die VOG ist offiziell eine Erfolgsgeschichte. Der Dachverband der Südtiroler Obstgenossenschaften wurde bereits am 24. August 1945 aus der Taufe gehoben. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelt sich die VOG zur mittlerweile größten Vermarktungsorganisation für Äpfel in Europa. Die VOG, der heute 12 Südtiroler Obstgenossenschaften angehören, vereint rund 5.000 Produzenten, die auf 10.900 Hektar Anbaufläche zwischen 550.000 bis 600.000 Tonnen Obst ernten.
Seit August 2010 wurden die Organisation des Anbaus, die Qualitätskontrolle, das Marketing, der Verkauf und der Vertrieb sowie die Fakturierung zentralisiert. Nach langen internen Diskussionen hat man vor zwei Jahren auch einen nachhaltigen organisatorischen Umbau umgesetzt. Die 12 Mitgliedsgenossenschaften wurden in 6 Pools zusammenfasst: Pool Meran, Pool Eisacktal, Pool Bozen West, Pool Bozen Süd, Pool Unterland sowie Biosüdtirol, der die biologischen Äpfel vermarktet. Weil es traditionell starke Rivalitäten zwischen den Genossenschaften gibt, war diese Pool-Lösung alles andere als ein leichter Schritt.
Es sind vor allem zwei Männer, die diese Entwicklung der VOG in den letzten Jahrzehnten maßgeblich geprägt haben. Der St. Paulser Bauer und Unternehmer Georg Kössler, der seit 12 Jahren der VOG als Obmann vorsteht, und Gerhard Dichgans, der 35 Jahre lang in leitenden Funktionen im Verband tätig war. Direktor Dichgans war maßgeblich daran beteiligt, dass die VOG zum Großkonzern und zum Big Player auf dem internationalen Apfelmarkt wurde.
Der Langzeitdirektor ging mit 1. November 2018 in Rente. Wenig später wurde sein Nachfolger präsentiert: Walter Pardatscher, langjähriger Geschäftsführer der Brennerautobahn AG. Obwohl Dichgans auch danach noch als Berater tätig war, haben sich die Machtverhältnisse und Gleichgewichte innerhalb der VOG nachhaltig verschoben.
Das machen die aktuellen Ereignisse deutlich.
Meraner Riss
Am 23. Juni 2020 erhalten die Mitglieder der Marlinger Obstgenossenschaft COFRUM ein Schreiben mit dem Titel „Zukunft Pool Meran“. Dem Meraner Pool gehören neben der Marlinger Cofrum die Meraner Cafa, die Obstgenossenschaft Lana und die Lanafruit an. Der Marlinger Obmann Johannes Runggaldier, der gleichzeitig auch stellvertretender VOG-Obmann ist, lobt im Schreiben die bisherige Zusammenarbeit im Pool, die – anders als in den übrigen Pools, in denen lediglich ein Poolvertrag besteht – auch auf einem sogenannten „Netzwerkvertrag“ („rete d´ impresa“) zwischen den Genossenschaften gründet.
Dann aber verkündet Runggaldier eine Hiobsbotschaft: „Aufgrund einer unterschiedlichen Sichtweise zur zukünftigen Ausrichtung des Pool Meran wurde nun dieser Netzwerkvertrag zum 31.07.2020 von den Genossenschaften Cafa und Og Lana gekündigt“. Obmann Johannes Runggaldier versichert, dass man alles tun wird, um eine angekündigte Spaltung des Pools zu vermeiden. Im Streit geht es vor allem um größere Neuinvestitionen und die Regelung, dass alle Poolmitglieder diese mitragen müssen.
Der Schlichtungsversuch geht aber ins Leere. Am 13. Juli 2020 geben Johannes Runggaldier und Norbert Schnitzer, Obmann der Lanafruit, in einem gemeinsamen Schreiben an ihre Mitglieder die Spaltung des Meraner Pools offiziell bekannt. Am 8. Juli hatte man auf einer Verwaltungsratssitzung der VOG und auf der anschließenden Vollversammlung einen Beschluss gefasst. Die beiden Genossenschaften CAFA und Lana werden vom Pool Meran abgetrennt, und man gesteht den beiden Genossenschaften - vorläufig für ein Jahr - einen eigenen Poolstatus zu.
Es ist eine Verlegenheitslösung, die das Ende des Poolgedankens bedeutet. Spästens damit ist klar, dass die innere Architektur der VOG implodiert.
Bozner Scheidung
Denn die Zentrifugalkräfte nehmen nicht nur in Meran Überhand, auch in Bozen ist eine ähnliche Entwicklung im Gang. Im Großraum Bozen-Überetsch-Leifers gibt es zwei VOG-Pools. Dem Pool Bozen West gehören der Frangarter Fruchthof Überetsch und die Terlaner Frubona an. Der Pool Bozen Süd besteht aus der Branzoller Grufrut und der Obstgenossenschaft Laurin, die erst im vergangenen Herbst aus der Fusion der Leiferer Genossenschaft „Kaiser Alexander“ und der Bozner Obstgenossenschaft Zwölfmalgreien hervorgegangen ist.
Weil die Leiferer Obstgenossenschaft zuerst mit der Zwölfmalgreien verhandelt hatte und dann fast mit der Grufrut fusioniert hätte, um am Ende plötzlich doch wieder zur Bozner Genossenschaft zu schwenken, hängt der Haussegen in Pool Bozen Süd seit damals schief.
Doch inzwischen hat sich die Lage noch einmal deutlich zugespitzt. Denn fast zeitgleich mit der Meraner Trennung gab es auch in den beiden Bozner Pools einen ähnlichen Paukenschlag. So haben die beiden Obstgenossenschaften Laurin und Fruchthof Überetsch die Auflösung der Poolverträge mit ihrem jeweiligen Partner Grufrut und Frubona Terlan mitgeteilt. Wirksam soll die Kündigung zwar erst in einem Jahr werden, doch der Sinn dieses Schrittes liegt offen auf der Hand. Laurin und Fruchthof Überetsch wollen einen gemeinsamen Netzwerkvertrag abschließen, aus dem dann ein neuer Pool entstehen könnte. Doch genau das ist das Ende der beiden Bozner VOG-Pools in ihrer jetzigen Form.
Innerhalb der VOG versucht man jetzt seit Wochen zu verstehen, wie es weitergehen soll. Eine der zentralen Fragen: Können die Pools so überhaupt noch weiterbestehen oder gelten sie mit der Kündigung und dem Austritt jetzt schon als aufgelöst? Derzeit liegen im VOG-Verwaltungsrat zwei Rechtsgutachten auf dem Tisch. Nach Informationen von Salto.bz kommen beide Gutachten zu unterschiedlichen Schlüssen.
Kösslers Rolle
Durch die Entwicklung in den Bozner Pools rückt jetzt aber Georg Kössler in den Fokus der Kritiker. Denn Kössler ist nicht nur VOG-Obmann, sondern auch Obmann des Fruchthofs Überetsch, einem der Akteure der jetzt durchgeführten Spaltung.
Der Vorwurf: Der VOG-Obmann unterminiert durch die Kündigung seinen eigenen Verband. Weil Georg Kössler insgesamt 13 zum Großteil recht lukrative Verwaltungsratsposten und –ämter rund um die VOG und das Südtiroler Genossenschaftswesen innehat, ist der Paulser Unternehmer, der nebenbei auch noch an zwei Autohäusern beteiligt ist, einigen seit langem ein Dorn im Auge.
Die Kündigung des Pool-Vertrages ausgerechnet durch Kösslers Genossenschaft soll jetzt der Anlass sein, um den Langzeitfunktionär loszuwerden. So haben seine Gegner innerhalb der VOG jetzt eine Unterschriftenaktion gestartet, um Kössler zum Rücktritt als VOG-Obmann zu bewegen.
Die Zentralisierung
Unabhängig von den personellen Konsequenzen debattiert man in der VOG aber derzeit über die Zukunft des Verbandes. Allen ist klar: Fällt das Poolmodell jetzt in sich zusammen, ist der Verband nachhaltig geschädigt.
Um aus diesem Schlamassel irgendwie herauszukommen, plant man deshalb die Flucht nach vorne. Man denkt daran, alle Pools aufzulösen und die ganze Organisation zu zentralisieren. Einer der Verfechter diese Linie ist der neue Direktor Walter Pardatscher. „Man wird endlich das tun, was man schon vor Jahren machen hätten sollen“, sagt ein langgedienter Verwaltungsrat.
Ob diese Flucht nach vorne aber wirklich so problemlos gelingt, daran bestehen erhebliche Zweifel. Bereits diese Woche soll eine Vorentscheidung in diese Richtung fallen.
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Vorab: Mein Kommentar könnte
Vorab: Mein Kommentar könnte als Gefälligkeitsschreiben ausgelegt werden, ist es aber nicht. Ich finde es unkorrekt, wenn ein Mensch durch Halb - oder Unwahrheiten in Misskredit gebracht wird.
Zum Thema: Wer Georg Kössler als Regelbrecher hinstellt, ist schlecht informiert oder informiert (bewusst?) schlecht. Ich habe Georg Kössler in meiner Tätigkeit als Verwaltungsrat des VOG als sehr demokratischen und umsichtigen Obmann kennen - und schätzen gelernt. Bei der im Artikel angesprochenen Poolkündigung seitens seiner Genossenschaft hat er die entsprechenden Regeln der Geschäftsordnung VOG 2010 genau eingehalten. Bin auch gespannt, ob die Unterschriften Aktion viel Erfolg haben wird. Georg Kössler genießt im VOG Verwaltungsrat einen sehr großen Rückhalt. Bei der geheimen Obmannwahl vor einem Jahr wurde er einstimmig in seinem Amt bestätigt.
Urban von Klebelsberg - Obmann OG Laurin