Kultur | Heilige Architektur

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„Architekten sind noch nicht bereit dazu, Kirchen zu planen“...
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Kirchenklingel
Foto: Leonhard Angerer

Text: Thomas Huck

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Architekten sind noch nicht bereit dazu, Kirchen zu planen“ meinte ein junger Theologiestudent. Er fand es seltsam, dass ein grauer Elektrokasten an der goldenen Fassade der neuen Pfarrkirche in Leifers ein Problem sein soll. Gleichzeitig weigerte er sich den Elektrokasten am gräulichen Altbau der Kirche zu montieren, das sei „ganz was anderes“ und „würde stören“.

 

So begann meine Exkursion in den Kirchenraum. Obwohl ich es toll fand, dass er der Architektur Bedeutung zumisst und diese unterschiedlich nach Gestalt und  Qualitäten betrachtet, fand ich es doch eigenartig, dass ein Theologe den Altbau mehr wertschätzte als den Neubau, obwohl dort die eigentliche Messfeier stattfindet. Besteht in der Wahrnehmung keine Verbindung zwischen Hülle und Inhalt?

 

Bedenkt man, dass sich jeder noch so kleine Ort ein Gebäude leistet, dessen einzige Aufgabe es zu sein scheint, schön auszusehen und das dafür sogar sieben Tage die Woche fast 24 Stunden am Tag leer stehen darf.

 

 

Kirchen bzw. Kulträume sind besondere Bauten. Dies wurde spätestens im 18 Jh. Offensichtlich, als Giovanni Battista Nolli Rom kartographierte und die Innenräume der Kirchen den öffentlichen Plätzen und Straßen gleichsetzte und so detaillierte Grundrisse der Kirchen in einem sonst grob skizzierten Stadtbild verewigte. Dass diese besondere Stellung der Kirche noch heute gilt, zeigen Gesetze und Regelungen, welche bei der Errichtung nur eingeschränkt gelten bzw. nicht erst eingehalten werden müssen. Sie genießt also einen Sonderstatus mit Berufung auf kirchliche und geschichtliche Relevanz und das, obwohl die Kirche oder das Haus Gottes in der biblischen Lehre gar nicht existiert bzw. zumindest nicht als Gebäude zu verstehen ist.

 

„Denn nicht ein Ort wird die Kirche genannt, auch nicht ein Haus aus Stein noch Lehm erbaut [...]“

Hippolyt von Rom (170-235 n. Chr.) in Dan. comm. 1,18,5-8:

 

Doch bis heute manifestiert sich die Kirche als Gebäude in unseren Köpfen, ein besonderer Ort im räumlichen Sinne. Als solches erfährt sie auch besonderen Umgang im Alltag. Sie wird gepflegt, gesäubert und präsentiert. Sie wird zum Objekt, zu einer schönen Hülle, doch für welchen Inhalt? So werden jährlich bedeutende Summen in die Sanierung und Restaurierung von Kirchen gesteckt um sie zu erhalten, auch wenn Jahr für Jahr weniger Menschen sie besuchen. Wir erhalten also das architektonische Korsett einer Funktion, die wir anscheinend nicht mehr benötigen, aber dennoch haben wollen. Denn obwohl immer weniger Menschen in die Kirche gehen, wird sie tagtäglich von immer mehr Menschen besucht. In jeder Stadt, in jedem Dorf gehört der Besuch der Pfarrkirche oder des Doms zum Stadtrundgang. So kann es auch vorkommen, dass man die eine oder andere Kirche mit ihren innenliegenden Geschäften und Touristenattraktionen mit einer Markthalle verwechselt,  einer Königshalle, einer Basilika, was wiederum dem Ursprungstyp vieler Kirchenbauten entsprechen würde. So waren die ersten Kirchen den römischen Markthallen angelehnt, weil sie groß genug waren die Menschen zu versammeln. Die Funktion definierte also die Bauform und die Architektur verschönerte sie nur. Andererseits war es kein Problem, die Markhallen in eine Kirche umzugestalten und die Funktion somit zu ändern.

 

 

 

Was passiert also, wenn wir die Hülle von der Funktion trennen? Bleibt die Kirche weiterhin ein Ort, der für uns eine besondere Bedeutung hat oder hatte er nur wegen seiner Hülle eine besondere Bedeutung? Bedenkt man, dass sich jeder noch so kleine Ort ein Gebäude leistet, dessen einzige Aufgabe es zu sein scheint, schön auszusehen und das dafür sogar sieben Tage die Woche fast 24 Stunden am Tag leer stehen darf, scheint die Hülle doch bedeutende Aufmerksamkeit zu erhalten. Zwar sind diese Gebäude alle noch immer Kirchen, doch werden sie, wenn man ehrlich ist, nicht mehr wirklich in dieser Anzahl benötigt. Also warum erhalten wir sie?

 

Die Architektur wird somit zu einer Kommunikationsform über die Zeit hinweg- aber nicht als Monolog, sondern als Dialog.

 

Wir machen das, weil ein gebauter Ort durch seine architektonische Ausformulierung für mehr stehen kann, als nur für die ursprüngliche Bauaufgabe. Bei Kirchen lässt sich die Vielschichtigkeit, mit der  man ein Gebäude sehen und wahrnehmen kann, am besten verstehen. Da sie eigentlich jederzeit für jeden offenstehen und aus unterschiedlichsten Gründen auch von jedem besucht werden. Sei es zum Beten oder zum Verweilen, Schauen oder Photographien, egal ob gläubig oder nicht, sie faszinieren meist quer durch die Bank unterschiedlichste Menschen aus unterschiedlichsten Gründen und ihr Erhalt scheint so in  gemeinschaftlichem Interesse unabhängig von Glaube oder Funktion. Es entsteht also ein Mehrwert durch Architektur, dessen Einfluss über die Außenmauern hinweg wirken kann, wodurch das Gebäude seine ursprüngliche Funktion überdauert und vielmehr eine Zeit oder eine Mentalität widerspiegelt und nicht seine eigentliche Bauaufgabe. Die Architektur wird somit zu einer Kommunikationsform über die Zeit hinweg- aber nicht als Monolog, sondern als Dialog. Da wir durch den Umgang mit Gebäuden, deren Erhalt und Nicht-Erhalt, der Distanzierung oder Berührung, Antworten geben auf die Themen, die uns die Architektur aufzwingt.

 

 

 

 

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts Ars Sacra, einem Projekt des Südtiroler Künstlerbundes, der Diözese Bozen-Brixen und des Stadtmuseums Klausen, und thematisiert die Installation in der Pfarrkirche Kastelruth.

 

„Wo hat die Kirche ihre Klingel?

Ist die Kirche ein Haus oder ein Gebäude und was ist der Unterschied? Was unterscheidet die Kirche von einem Wohnhaus? Und welche Hausnummer hat die Kirche?
Was passiert, wenn man der Kirche ihre Besonderheit wegnimmt und das Haus Gottes wörtlich nimmt, sie zu einem gewöhnlichen Wohnhaus macht?
Bist du Gast oder fühlst du dich zuhause?“

 

 

 

13.10 - 30.11.2018     Kastelruther Kirche

http://www.museumklausenchiusa.it/wp-content/uploads/2018/10/Folder_ArsSacra.pdf?fbclid=IwAR2DqClpIcXyFTzxlv_sE_k6JHqP_Ak5vOBnnrRhTXgLDGnG4ou3KfqKc8M