Kultur | 1. Weltkrieg

Landschaftslektüren

„In die Landschaft eingeschrieben - Scritto nel paesaggio“ präsentiert die Ergebnisse interdisziplinärer und internationaler Forschung zu den Spuren des 1. Weltkriegs.
In die Landschaft eingeschrieben
Foto: Privat
  • Die Forschung der Plattform für kulturelles Erbe und Produktion (Fakultät für Design und Kunst) rund um das Gebiet der 3 Zinnen und den Stellungskrieg in den Sextner Dolomiten, die vom Südtiroler Fond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 2019 mit 290.000 Euro bemessen wurde, wird auf verschiedenen Kanälen für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ist der Forschungsschwerpunkt dabei auch einer, der „in die Landschaft eingeschriebene“ Zeugnisse für die Kriegsbaustelle der Jahre 1915 bis 1918 sucht, so blickt er räumlich und zeitlich doch auch weiter.

    Seit Mittwoch Abend ist die von Waltraud Kofler Engl gemeinsam mit  Elisabetta Rattalino kuratierte Schau, die zuvor in Sexten und Montebelluna zu sehen war, im 1. Stock der freien Universität Bozen ausgestellt. Einzigartig an der gleichwertig zweisprachig angelegten Ausstellung ist vor allem der Forschungsdisziplinen übergreifende Zugang. Anfänglich hatte man sich überlegt, die Resultate aus den Sichtpunkten der einzelnen Forschungsgebiete zu präsentieren, entschied sich aber statt dessen für eine Aufteilung nach drei Abschnitten: „Kriegsinfrastrukturen“ vom (Seilbahn-)Transport, übers Nachrichtensystem, Kampf- und Verteidigungsstrukturen, sowie Infrastruktur des täglichen Lebens und Überlebens; „Zwei Fronten“, das von beiden Seiten auf die Front und Spionage einen Blick wirft, sowie den Winter am Plateau, medizinische Versorgung, Religion und Friedhöfe betrachtet; Zuletzt „Heimatfront in Sexten“, das als Kapitel Flucht, Zerstörung und Wiederaufbau vor allem aus Sicht der Zivilbevölkerung beleuchtet. 

  • In die Landschaft eingeschrieben: Die Ausstellung zeigt anhand von Fluchtlinien und grafischer Aufbereitung auch, wohin Sextnerinnen und Sextner vor dem Krieg geflohen sind. Foto: Privat

    Dabei vermengen sich mit Mitteln der Archäologie zu Tage geförderte Exponate und aus dem deutsch- oder italienischsprachigen Archiv gehobene Videoaufnahmen mit Bauplänen und Karten, Malerei und Propagandaaufnahmen mit Briefen, gruppiert und auf 16 Schaukästen verteilt. Die 80 mal 250 Zentimeter messenden Vetrinen-Tische kommen ohne Glas aus, da es sich nicht um Originale, sondern durchwegs um Reproduktionen handelt. Für die Gestaltung und visuelle Identität der Ausstellung, für die vier weitere Tischplatten auch als vertikale Aufsteller für den Einleitungstext Verwendung finden, zeichnet Claudia Polizzi verantwortlich. 

  • An die modular aufgebaute Ausstellung anschließend läuft ums Eck ein Film in Dauerschleife, der Einblick in die Erschließung der  Objekte gibt, die vorwiegend in Form von Bauüberresten, kontinuierlich genutzten Wegen und Spuren an der Landschaft gefunden wurden. So wurde etwa die große Zinne für den Aufbau eines Suchscheinwerfers mehrere Meter abgetragen. Die im Jahr 2021 vor Ort aufgefundenen Zeugnisse  werden auf diese Weise dokumentiert und dem Bild, Geschichtsarbeit fände in schlecht ausgeleuchteten Arbeitszimmern statt, werden attraktive Drohnenaufnahmen aus den Bergen gegenübergestellt. Ganz ohne Ton wirkt der Film aber ein wenig wie ein Imagevideo, das im Hintergrund dahinplätschert. Ein anderer Clip liefert kleinformatig, auf einem der letzten Tische installiert, die Zeugnisse ab, die er von den Sextnerinnen und Sextnern abnimmt, deren Eltern den Krieg noch miterlebt hatten. Zu diesen Interviews gibt es neben Untertiteln auch jeweils ein Transkript, das vor Ort aufliegt.

  • Written in the Landscape: Auch in eine digitale Landschaft lassen sich Dinge einschreiben und damit Wissen attraktiv aufbereiten. Foto: Screenshot/Unibz

    Zu den interessanteren Entdeckungen des Forschungsprojekts zählen sicher auch die Fotos von Hans Opfergeld, die zum Teil zwar bereits aus Büchern bekannt waren, durch ein zweibändiges Fotoalbum in Familienbesitz nun aber auch einem Namen zugeschrieben werden können. Opfergelds Blick auf die „3 Zinnen vom Schwalbenkofl aus“ ist nun, mehr als 100 Jahre nach Entstehung der Aufnahme (1916-17) das visuelle Hauptmotiv der Schau.

  • Einsicht in die weiteren Ergebnisse der sich im Abschluss befindenden Forschungsarbeit gibt auch eine Webseite, die über eine interaktive 3D-Karte des Plateaus in die verschiedenen Positionen einführt. Da der Online-Ableger des Weltkriegs-Landschafts-Forschungsprojekts auch nicht auf 16 Boxen mit fixen Maßen beschränkt ist, kann man sich hier in größerem Umfang einlesen. Weiters befindet sich eine Smartphone-App für Wanderer in Ausarbeitung, mit der man vor Ort den Spuren des 1. Weltkriegs nachspüren kann und die auch die Kontinuität zeigt, mit der ehemalige Versorgungswege, für militärische Zwecke erschlossen, zu Wanderwegen umgewidmet wurden. Sind die „Aufstiegsanlagen“ der Soldaten - zum Teil  händisch betriebene (Material-)Seilbahnen - heutzutage auch nur mehr Spuren in der Landschaft, so kann man auf den Wegen oft auf den Spuren von Soldaten wandeln, ohne sich dessen bewusst zu sein.

  • „In die Landschaft eingeschrieben - Scritto nel paesaggio“ kann zu den Öffnungszeiten der Freien Universität Bozen im ersten Stock des Gebäudes noch bis zum 15. Februar besucht werden.