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Rechenaufgaben

Im Hotel Amazonas, dem eigenwilligen Kunsthotel in Wangen am Ritten, geht es bei der diesjährigen Ausgabe um Abfall, Einöde, Brachland und Verausgabung. Ein Besuch vorab.
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Foto: Hotel Amazonas

Hotel Amazonas war für Interessierte bislang immer im Spätsommer geöffnet. Nun startet die Kunstsaison bereits im Frühjahr. Blüte statt Ernte?
Simon Steinhauser
: Wenn Sie mit Blüte den Frühjahr meinen – ja, Blüte statt Ernte. Das hat für mich allerdings wenig Auswirkung auf die künstlerische Gestaltung oder Entwicklung von Hotel Amazonas. Vielleicht ist man aber als Konsument im Frühjahr noch hungriger nach Kunst. Im Herbst ist schon einiges abgeerntet, man hat schon vieles in sich hineingestopft und der Bauch ist voll. Es geht auch darum, zeitliche Kollisionen mit anderen Festivals zu vermeiden.

Margareth Kaserer: Kunst kann das ganze Jahr über angebaut werden, im Gegensatz zu manch anderen, wetterabhängigen Kulturen. Weil die volle Blüte Voraussetzung ist für eine reiche Ernte, wollen wir mit unserem kleinen, aber feinen Festival, Südtirols Subkultur beim Blühen unterstützen.

Schenkökonomie oder das bedingungslose Grundeinkommen als Gegenmodelle zur durchkapitalisierten Gegenwart.

Bei der vierten Ausgabe ABFALL – EINÖDE – BRACHLAND wird es im „Hotel“ auch eine „diskursive und künstlerische Entrümpelung“ geben. Alles neu, macht der Mai?
Margareth
: Damit neue Samen aufgehen können, muss erstmal Brachland gefunden bzw. geschaffen werden. Das ist gar nicht so einfach. Was muss weg, damit etwas anderes seine Stelle einnehmen kann? Was muss nicht unbedingt weg, sondern kann auf innovative Art noch gut verwendet werden? Das gilt für alle Bereiche, für die Kunst, die Landwirtschaft, die Ökonomie usw.
Unser Motto im Mai soll diese Fläche herstellen, auf dem solche Dinge kollektiv diskutiert und auch ins Rollen gebracht werden können. Konkreter: im Mai beschäftigen uns u.a. die Schenkökonomie oder das bedingungslose Grundeinkommen als Gegenmodelle zur durchkapitalisierten Gegenwart.
Gleichzeitig ist die Brache auch so etwas wie eine Pause. Mit experimenteller Musik, einer Sound-Performance und engagierten bildnerischen Ansätzen drücken wir auf den Pausenknopf für Schlager- und Radiohitkultur und Aquarellmalerei von Blumen.

Simon: Es ist wahrscheinlich „IN“, diskursiv zu sein. Ich weiß allerdings nicht das „diskursive und künstlerische Entrümpelung“ zu deuten. Kann oder soll man Diskurs oder Kunst entrümpeln? Gehört nicht eher alles herausgeholt, abgestaubt, gedreht, in ein anderes Licht gestellt und am Ende verglichen, um das Gute zu behalten? Hotel Amazonas wird heuer diskursiv sein, um alte Theorien wie zum Beispiel die Ökonomie des Schenkens wieder herauszuholen und sie in ein gegenwärtiges Licht zu stellen. Für viele Menschen in Südtirol aber sicher auch neu und schwer denkbar, das stimmt.

Die Palette an künstlerischen Zugängen ist vielfältig und international. Wie zeitgemäß für die Südtiroler und Südtirolerinnen? Für "Tscheggl"?
Margareth:
Unter den besten Dingen im Hotel Amazonas sind jene, wenn sich die unterschiedlichsten Leute aus aller Welt treffen, sich austauschen und gemeinsam eins trinken: Künstlerin und Bauer, Asylant und Unternehmerin. Alles schon gehabt. Außerdem programmieren wir so, dass für jede und jeden was dabei ist: nicht nur für Landwirte und Bäuerinnen könnte der Film „Bauer Unser“ oder auch Sepp Kusstatschers Vortrag interessieren. Der Verdienst guter Künstlerinnen und Künstler ist der, dass sie anzusprechen vermögen – ob etwas dann gefällt oder nicht, ist ein anderes Thema. Im Gegenzug lassen sich gute Gäste ansprechen und auf etwas ein, aber das Gegenteil hatten wir hier eh noch nie.
Simon: Tscheggl und Hipsterkunstfuzzis haben beide das gleiche Problem. Sie sind beide langweilig. Jede Blase ist langweilig. Hotel Amazonas schafft es, mindestens nicht nur reinrassiges Publikum anzuziehen.

Vom Alltag getrennte Ereignisse, Feste, die Erotik, der Rausch, (die Kunst?), in ihnen manifestiert sich Verausgabung.

Ein weiterer Themenschwerpunkt ist im Juni. Er lautet VERAUSGABUNG. Hochsaison?
Simon:
Ja, Hochsaison heißt Verausgabung. Wir werden mit aller Kraft Künstler wie Publikum betreuen. Es liegt in unserer Südtiroler Natur, Saisonarbeiter zu sein und da alles zu geben.

Margareth: Für die „Verausgabung“ haben die Theorien des französischen Philosophen Georges Bataille Pate gestanden: von verschwenderischem, unproduktivem, intensivem Handeln ist die Rede. Vom Alltag getrennte Ereignisse, Feste, die Erotik, der Rausch, (die Kunst?), in ihnen manifestiert sich Verausgabung. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Vernunft, und auch mal auf die nicht aufgehende Rechnung gepfiffen. Deshalb sind bei uns im Juni u.a. anzutreffen: zwei Schweine, die von einer Künstlerin belagert werden, ein Pillendreher, der für alle und alles eine Verschreibung parat hat und ein Performer, der seine Textlesung vom Alkohol angreifen lässt.

Bauch – Beine – Po, Freiluftsauna, Solarium, Heubad und Hanteltraining mit Rechen in Einem

Heuernte im Anzug. Wäre das was für Banker die Minusgeschäfte machen? Wie ist das Bild zu verstehen?
Margareth:
Es wäre für alle Banker und Bankerinnen etwas! Statt am Abend Muskelenergien an den Fitnessmaschinen zu vergeuden, könnten sie an den Wochenenden Intensivtrainings an den Berghängen absolvieren: Bauch – Beine – Po, Freiluftsauna, Solarium, Heubad und Hanteltraining mit Rechen in Einem! Dazu die perfekte Möglichkeit, Schuldgefühle abzuarbeiten. Das geerntete Heu schmeißen wir dann einfach den Hang runter. Soviel zur Verausgabung!

Simon: Das Bild soll eine Frage der Wirtschaftlichkeit per se oder einer wirtschaftlichen Entwicklung unserer Heimat hier aufwerfen. Behaupten wir, Südtirol ist die reichste Gegend Europas. Niemand hier will, dass die Heimat leidet und dass man selbst in der Heimat leidet. Niemand will ja leiden. Nun, wir leiden hier alle. Die Einen, dass im Vinschgau nur mehr Hagelnetze das Tal zupflastern, die Kontrahenten, dass sie nicht noch mehr Geld mit Wein und Äpfel verdienen. Die Einen, dass man am Kastanienweg mit Industriespeck und Billigwein in Lederhosen oder Schurz zur Marende gemästet wird, die Anderen, dass nicht noch ein paar Tausend Busse mit Ausländern angekarrt werden, um noch mehr abzucashen.  Business und Landwirtschaft – gemeinsam schwer zu denken.
Die Bauern, die ich kenne und die in diesem Verkaufsbusiness nicht mitspielen, sind nur noch Bauern aus Gewohnheit und Tradition, weniger als Überzeugung. Die zwei Pole im Sujet – Landwirtschaft und Business – dienen als surrealistischer Ausgangspunkt, um neue Denkmuster zu erlauben.

Booking und Einchecken:
Hotel Amazonas