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Nimmersatt BBT

Warum der Brennerbasistunnel nicht für eine Flut an Schotter und sonstigem Gesteinsmaterial sorgt, sondern Baufirmen vielmehr verärgert.
BBT bei Mauls
Foto: BBT SE

In Kürze, Ende Juni oder Anfang Juli, wird sich die Dienststellenkonferenz für den Umweltbereich mit der Schottergrube “Lochen” befassen und entscheiden, ob das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Die Grube befindet sich im Pflerschtal und besorgt die Anrainer. Die Betreiberfirma Wipptaler Bau AG will sie reaktiveren und in zehn Jahren 280.000 Kubikmeter Material ausheben – weil, so die Angaben der Wipptaler Bau AG, von den BBT-Baustellen ab 2021 kein Rohmaterial mehr zur Verfügung steht.

“Das ist eine Falschaussage”, stellt Martin Ausserdorfer klar. Er sitzt im Aufsichtsrat der italienisch-österreichischen Gesellschaft BBT SE – Bauherrin des Brennerbasistunnels – und leitet die BBT-Beobachtungsstelle als Direktor. Was aber passiert mit den Tonnen an Gestein, das beim Bau des BBT anfällt? Und wozu werden landauf, landab neue Schottergruben eröffnet, wenn sich in Südtirol doch eine der größten Baustellen Europas befindet?

 

55 Gruben und Millionen Kubikmeter

 

Derzeit sind in Südtirol insgesamt 55 Schottergruben aktiv. Zugleich laufen Genehmigungsverfahren zur Eröffnung von vier weiteren Gruben: neben jener in Pflersch (Gemeinde Brenner) auch in den Gemeinden Rodeneck, Sarntal und Karneid. Sämtliche Schottergruben werden von Südtiroler Firmen betrieben und das abgebaute Material wird auch zur Gänze im Land verarbeitet – Schotter transportieren ist nicht nur aufwändig, sondern angesichts der Menge und des Gewichts auch teuer. Verwendet wird Schotter im Bauwesen (Straßen-, Hoch- und Tiefbau). In Südtirol werden jährlich zwischen 1,5 und 1,7 Millionen Tonnen davon abgebaut. Diese Informationen gehen aus der Antwort auf eine Landtagsanfrage hervor, die die Freiheitliche Ulli Mair jüngst an den für Schottergruben zuständigen Wirtschaftslandesrat Philipp Achammer gestellt hat. Darin fragte sie auch nach der Situation am BBT.

Laut Auskunft der Beobachtungsstelle fallen beim Bau des BBT auf Südtiroler Seite 6.386.762 Kubikmeter an Aushubmaterial an. Davon sind allerdings nur 2.300.853 Kubikmeter “Klasse A”, können also wiederverwertet werden. Die restlichen 4.085.909 Kubikmeter landen auf der Deponie. Aus dem noch auszubrechenden Teil werden 700.790 Kubikmeter anfallen. Und “niemand hatte je zugesagt, dass dieses Material zur Verfügung gestellt wird”, präzisiert Martin Ausserdorfer auf Nachfrage von salto.bz, warum der Wipptaler Bau AG angeblich ab heuer kein Schotter aus den BBT-Baustellen zur Verfügung steht. “Es wird kein Schotter verkauft. Das gesamte Material gehört der Baufirma, in diesem Fall der Webuild Spa. Sie ist für die Deponie und Verarbeitung bzw. Wiederverarbeitung zuständig.”

 

Bedarf übersteigt Verfügbarkeit

 

Einzig beim ersten Baulos Aicha-Mauls habe es Material für die lokalen Firmen gegeben, erklärt Ausserdorfer. “Das war von 2007 bis 2011/12.” Damals haben sich Wipptaler Bau AG, Beton Eisack GmbH und Progress AG bestes Granitgestein, das zu 100 Prozent wiederverwertet werden konnte, gesichert. Mittlerweile aber “brauchen wir mehr Material als zur Verfügung steht”, lässt Ausserdorfer aufhorchen. Er erklärt: Das gesamte Material aus den BBT-Baustellen, das dazu geeignet ist, wird vor Ort wiederverwendet und “geht in die Fertigbauteile, die beim Hinterrigger produziert werden und mit denen der Tunnel wieder ausgebaut wird”. Was aus dem Tunnel rausgenommen wird, kommt also wieder in den Tunnel rein. Diese vertragliche Vereinbarung zur lokalen Wiederverwertung sei “sehr wichtig und richtig”, weil dadurch “Spekulationen der Riegel vorgeschoben” worden sei, meint Ausserdorfer.

Der Bedarf an wiederverwertbarem Material für den Tunnel und die Zulaufstrecken ist größer als die Mengen, die die Baustellen hergeben. Zudem ist, so Ausserdorfer, die Zeitrechnung komplex: Wann steht welches Material zur Verfügung? Deshalb muss dazugekauft werden. Der BBT sorgt also, anders als man meinen könnte, für keine Schotter- oder sonstige Gesteinsflut, sondern genau das Gegenteil ist der Fall: “Die hiesigen Baufirmen beklagen sich – teilweise zurecht –, dass sie wegen des BBT kein Material haben”, berichtet Ausserdorfer. Dazu kommt, dass es für die enormen Mengen an Aushubmaterial entsprechende Flächen zur Zwischenlagerung oder Deponierung braucht.

 

Besser mehr und kleiner?

 

Der Bedarf an Schotter hängt direkt mit der Bautätigkeit in Südtirol zusammen: Wird weniger gebaut, sinkt auch der Bedarf an Schottermaterial.

Um das Konfliktpotenzial rund um den Schotterabbau – zwischen Baufirmen, aber auch zwischen Grubenbetreibern und anderen Interessengruppen, wie in Pflersch oder Gais – so gering wie möglich zu halten, plädiert Martin Ausserdorfer für ein “landesweites Material-Management-Konzept”. “Mir fehlt die strategische Planung”, erklärt er. “Das Land braucht einen Schotterplan. Es kann nicht sein, dass Baufirmen als Schwerverbrecher dargestellt werden. Genauso braucht es Deponieflächen. Das alles unabhängig vom BBT.”

Er schlägt vor, mit der Ausweisung von Gruben und Deponielächen “kulanter” umzugehen: “Wir brauchen mehrere, dafür kleinere Eingriffe und Genehmigungen vor Ort. Heute machen wir eine Grube da, eine Grube dort… Und Material muss sinnlos herumgefahren werden, was für mehr Verkehr sorgt.” Kleinere Gruben würden für geringere Baukosten, weniger Transportaufkommen und aufgrund der kürzeren Betriebszeit auch besser für die Umwelt sein, meint Ausserdorfer.