Wirtschaft | E-Mobilität

Reichweitenangst über den Brenner

Fercam-CEO Hannes Baumgartner sieht in E-Lkw eine Chance, aber keine schnelle Lösung: Ladeprobleme und Unsicherheit prägen den Alltag auf der Brennerroute.
eActross 600
Foto: Fercam
  • Unter großem medialem Interesse wurde Ende Mai in Bozen Süd die erste 1000-kW-Ladestation eröffnet – entwickelt vom Südtiroler Vorzeigeunternehmen Alpitronic. An der Einweihung nahmen neben Landeshauptmann Arno Kompatscher auch Vertreter der Brennerautobahngesellschaft teil, die das Pilotprojekt gemeinsam mit Alpitronic realisiert hat. Ziel des neuen Hyperchargers HYC1000: Die Ladezeiten deutlich zu verkürzen – im besten Fall zu halbieren. Besonders für den Schwerverkehr soll damit eine effiziente Möglichkeit geschaffen werden, E-Lkw rasch und leistungsstark mit Strom zu versorgen.

  • Fahrverbote als Treiber für neue Technologien

    Ausgenommen vom sektoralen Fahrverbot und Nachtfahrverbot sind unter anderem E-Trucks. Foto: ASFINAG

    Offiziell wird die „Förderung der grünen Logistik auf der Brennerachse“ als Hauptgrund für Investitionen in alternative Antriebe wie Elektro, LNG oder Wasserstoff genannt. Doch dürften auch die anhaltenden Tiroler Fahrverbote eine zentrale Rolle spielen. Trotz Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof und politischem Druck aus Deutschland und Italien hält Tirol an den Einschränkungen fest. Über alle Parteigrenzen hinweg ist man sich einig: An den Fahrverboten wird nicht gerüttelt! Ausnahmen gelten allerdings: Elektro-Lkw sind sowohl vom sektoralen als auch vom Nachtfahrverbot ausgenommen – ein nicht unwesentlicher Anreiz für Transportunternehmen, auf E-Mobilität umzusteigen.

  • Mercedes statt Tesla

    Zeitgleich mit der Inbetriebnahme der neuen Ladesäule hat das Südtiroler Logistikunternehmen Fercam seinen ersten Mercedes-Benz eActros 600 in Empfang genommen. Laut Unternehmensangaben bietet der batterieelektrische Lkw mit einer Kapazität von 621 kWh und einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern eine Leistung, die mit jener eines Diesel-Fahrzeugs vergleichbar ist. Zumindest in der Theorie ist der eActros damit fernverkehrstauglich.

  • E-Ladesäule in Bozen Süd: Vor Kurzem wurde die erste 1000-kW-Ladestation eröffnet – gleichzeitig hat das Logistikunternehmen Fercam seinen ersten Mercedes-Benz eActros 600 in Empfang genommen. Foto: A22
  • Fercam setzt bereits seit 2017 auf Elektroantriebe. Damals ruhte die Hoffnung noch auf dem Tesla Semi – ebenfalls ein von Grund auf für den elektrischen Betrieb konzipiertes Fahrzeug. Wie die Tiroler Tageszeitung am 20. Juni 2025 berichtete, war Fercam das erste europäische Transportunternehmen, das den E-Lkw von Elon Musk bestellte. Die Serienproduktion lässt allerdings weiter auf sich warten. Bisher wurden weltweit nur rund 100 Prototypen ausgeliefert; frühestens 2026 soll die Massenfertigung anlaufen. Aufgrund dieser Verzögerungen hat sich Fercam bereits vor zwei Jahren nach Alternativen umgesehen und sich für den deutschen Hersteller Mercedes-Benz entschieden. Im November 2023 hat Daimler Truck Italia dem Unternehmen eine eActros 300 City-Zugmaschine, die serienmäßig produziert wird, für den nachhaltigen Kurz- und Mittelstreckentransport übergeben. Nun folgte der eActros 600, vorbereitet für das ultraschnelle Laden nach dem Megawatt Charging System (MCS), aktuell allerdings noch mit dem CCS-Standard im Einsatz.

  • Zwischen Euphorie und Alltagsrealität

    Wie das Unternehmen mitteilt, wird der neue E-Lkw vor allem auf der Brennerroute für Transporte im Auftrag von Daimler eingesetzt. In der Fachpresse ist bereits von einem möglichen „Wendepunkt“ die Rede. Mit einem Listenpreis von rund 286.000 Euro kostet das Fahrzeug derzeit allerdings noch zweieinhalbmal so viel wie ein vergleichbarer Diesel-Lkw.

  • Neben den hohen Anschaffungskosten machen auch einige technische Herausforderungen den Unternehmen zu schaffen. „Für uns sind diese ersten Fahrzeuge ein essenzieller Schritt, um konkrete Praxiserfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen“, sagt Fercam-Geschäftsführer Hannes Baumgartner gegenüber SALTO. Ein großer Vorteil: Der eActros wurde von Beginn an als Elektrofahrzeug entwickelt – es handelt sich also nicht um ein umgerüstetes Dieselmodell. „Diese durchdachte elektrische Architektur macht sich sowohl im Fahrverhalten als auch im Gesamtkonzept positiv bemerkbar. Zudem ist der eActros bereits mit Megawatt-Chargern kompatibel – was grundsätzlich hohe Ladeleistungen ermöglicht.“

  • Hannes Baumgartner, Geschäftsführer von Fercam: „Für uns sind diese ersten Fahrzeuge ein essenzieller Schritt, um konkrete Praxiserfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen.“ Foto: Fercam
  • Doch Baumgartner verschweigt auch die Schattenseiten nicht. Eine erste Überraschung: Die Begeisterung der Fahrer sei bislang eher verhalten. „Zwar überzeugt das Fahrverhalten, doch der tägliche Lade-Stress – insbesondere die Reichweitenangst – ist nicht für jeden leicht zu bewältigen“, so Baumgartner. Erschwerend hinzu kommen äußere Faktoren wie die anspruchsvolle Topografie der Brennerroute.

     

    „Zwar überzeugt das Fahrverhalten, doch der tägliche Lade-Stress – insbesondere die Reichweitenangst – ist nicht für jeden leicht zu bewältigen.“

     

    Auch beim Ladevorgang selbst sieht Fercam Verbesserungsbedarf: Ladepunkte, die mit 350 kW beworben werden, erreichen diese Leistung häufig nicht, wenn mehrere Fahrzeuge gleichzeitig laden. „In der Praxis wird die Ladeleistung aufgeteilt – statt 350 kW stehen dann oft nur rund 150 kW pro Fahrzeug zur Verfügung“, erklärt Baumgartner. Die Folge: doppelt so lange Ladezeiten. 

    Fercam zieht dennoch eine klare Bilanz: „Diese Erfahrungen zeigen, dass es noch zahlreiche Herausforderungen zu lösen gibt. Aber nur, wenn wir sie aktiv angehen, können wir den Ausbau unserer elektrischen Lkw-Flotte erfolgreich und nachhaltig gestalten.“

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H. Predazzer So., 22.06.2025 - 11:49

500 km ist Fernverkehr? Scheint mir etwas knapp, und wie Baumgartner beschreibt, geht die Ladeleistung zurück, wenn mehrere LKW gleichzeitig laden.
Genau das ist das Problem, an Raststätte stehen nicht 2, 5 oder 10 LKW, sondern 30, 50, 100. Da erscheint mir der regionale Verteilerverkehr bis 500 km mit Ladung über Nacht die bessere. Für richtigen Fernverkehr >1000 km) steht Bio-LNG zu Verfügung, muss allerdings Mengenmäßig noch ausgebaut werden.

So., 22.06.2025 - 11:49 Permalink