Chronik | Fake News

Der Weltspartag

Die Carabinieri melden, dass man in Gais Haschisch beschlagnahmt hat, aus dem man 700 Dosen verkaufen hätte können. Alle Südtiroler Medien bringen heute die Nachricht. In Wirklichkeit ist es völliger Humbug.
Haschisch
Foto: upi
  • Es steht groß auf der Homepage von RAI Südtirol und wurde so auch in den Nachrichten gemeldet:

    “Drogenfund in Gais: Haschisch, Kokain und Methadon sichergestellt. Die Drogen wurden in einer Wohnung in Gais sichergestellt: Die Menge hätte etwa für 700 Dosen Haschisch und 55 Dosen Kokain gereicht.”

    Es ist eine typische Chronikmeldung.

  • Die Fakten

    In Gais haben die Carabinieri zwei Männer wegen Drogenahandels und Drogenbesitzes angezeigt. Die Carabinieri von Bruneck hatten bereits am Nachmittag des 14. August im Gemeindegebiet von Gais einen 30-jährigen Einheimischen, der bereits wegen Drogendelikten bekannt ist, kontrolliert. Als der Mann die Polizeistreife sah, reagierte er nervös. Die Beamten entschieden sich daraufhin, seine Wohnung zu durchsuchen.
    Beim Betreten der Wohnung versuchte ein anwesender 43-Jähriger, ein Päckchen mit Drogen in der Toilette zu entsorgen. Dank des schnellen Eingreifens der Carabinieri konnten sie das Päckchen, das etwa 10 Gramm Haschisch enthielt, sicherstellen. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung fanden die Beamten weitere 30 Gramm Haschisch, 15 Gramm Kokain und etwa 9 Gramm Streckmittel, versteckt in einem Glasbehälter über der Küche. Sie entdeckten außerdem 12 Fläschchen Methadon in einem Nachttisch, für die keiner der Männer ein Rezept hatte.

  • RAI-Online-Meldung: Sich um rund um das Sechsfache verrechnet. Foto: RAI Südtirol
  • Diese Schilderung stammen aus einer perfekt, zweisprachigen Pressemitteilung der Carabinieri Bruneck, die am Dienstag an die Redaktionen verschickt wurde und am Mittwoch in allen Zeitungen deckungsgleich abgedruckt wird.
    In der Pressemitteilung der Carabinieri heißt zudem:

    “Die Suchtmittel wurden beschlagnahmt und die Analysen des zuständigen Labores ergaben, dass aus den beschlagnahmten Drogen, 693 Dosen Haschisch und 55 Dosen Kokain produziert werden könnten.”

    Diese Angabe geben alle Medien (mit Ausnahme des Corriere dell’Alto Adige) in ihren Artikel dann auch so wieder.
    700 Dosen - das ist natürlich mehr als nur alarmierend.
    Anscheinend fällt aber niemand auf, dass das in Wirklichkeit absolute Fake News sind.

  • Eigene Mathematik

    Denn sowohl die Carabinieri als auch die Journalisten dürften in Sachen Mathematik einen Blackout gehabt haben.
    Man hat in Gais insgesamt 40 Gramm Haschisch beschlagnahmt. Dividiert man diese Menge durch 700, kommen für eine Dosis 0,057114286 Gramm heraus. Nur macht man damit weder einen Joint, noch dürfte man irgendetwas spüren. 
    Hier scheint der Weltspartag Regie zu führen.
    Weil es von der Qualität des Haschischs abhängt, wie groß die Menge ist, die man in einem Joint gibt, werden in allen wissenschaftlichen Untersuchungen Durchschnittswerte angegeben.

  • In Gais beschlagnahmte Drogen: Niemand hinterfragt die sensationellen Zahlenspiele. Foto: Carabinieri Bruneck
  • In einer Studie, die im Journal „Drug and Alcohol Dependence“ veröffentlicht wurde, gehen die beiden Forscher Greg Ridgeway von der University of Pennsylvania und Beau Kilmer von der Rand Corporation davon aus, dass die durchschnittliche Menge an Haschisch in einem Joint 0,32g beträgt. Diese Zahl wird international dann auch als Richtwert für Diskussionen über Drogenpolitik, die Größe eines potenziellen legalisierten Marihuana-Marktes und das Verständnis der Auswirkungen auf Gesundheit und Verhalten hergenommen.
    Damit aber kommen bei den in Gais beschlagnahmten 40 Gramm Haschisch nur mehr 125 Dosen heraus. Also etwas wenig als ein Sechstel davon, was man überall meldet.
    Vor allem aber wird Haschisch nirgends in Dosen verkauft, sondern grammweise. Mit zehn Gramm baut man sich rund 30 Joints. Damit aber wird die Nachricht von der angeblichen Produktion deutlich reduziert. 

     

    „Dass wir Journalisten und Journalisten diese Fake News ungeprüft abdrucken, ist hingegen einfach Faulheit.“

     

    Dass man solche Meldung amtlich verbreitet, zeugt von Fahrlässigkeit. Und von einer Drogenpolitik, die von Repression lebt und deshalb die Dinge größer machen muss, als sie sind.
    Dass wir Journalisten und Journalisten diese Fake News ungeprüft abdrucken, ist hingegen einfach Faulheit.

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Markus S. Do., 22.08.2024 - 13:47

"wir Journalisten und Journalisten"... das Gegendere treibt interessante Stilblüten. Ein Grund mehr diesen Unsinn endlich aufzugeben. ;-)

Do., 22.08.2024 - 13:47 Permalink