Europäische Augenauswischerei
Vor wenigen Tagen wurde Roberta Metsola zur Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt. „Endlich eine Frau und noch dazu jung“ würde ich gerne aufatmen, erst recht nach dem Hin und Her zur Wahl des italienischen Staatspräsidenten. Und doch verspüre ich weder Erleichterung noch Freude. Auch wenn die neue Präsidentin dem weiblichen Geschlecht angehört und so eventuellen Quoten gerecht wird, hat sie genauso wie Männer in Entscheidungspositionen einen patriarchalen Ansatz und ist darüber hinaus noch erzkonservativ. Was schlimmer ist: Metsola stammt aus Malta, dem einzigen Land Europas, in dem Schwangerschaftsabbrüche sogar bei Inzest oder Vergewaltigung verboten sind, und sie ist selbst überzeugte Abtreibungsgegnerin.
Die Wahl Metsolas spricht von einem Europa, wo das hart erkämpfte Recht auf Selbstbestimmung der Frauen im besten Falle stockt, wenn nicht gar massiv bedroht ist. Seit einigen Jahren lässt sich ein Rückschritt bei den Frauenrechten erkennen. Vor allem die gesetzlichen Regelungen zu freiwilligen Schwangerschaftsbrüchen werden immer wieder aufs Neue in Frage gestellt. In Polen gibt es seit Oktober 2020 ein Abtreibungsverbot, in Italien wurde das entsprechende Gesetz 2019 angegriffen. Aber selbst dort, wo es die gesetzlichen Grundlagen gibt, häufen sich Anti-Abtreibungsaktionen, und ein freiwilliger Schwangerschaftsabbruch ist oft ein Hindernislauf, nicht zuletzt in Südtirol mit dem höchsten Prozentsatz an Abtreibungsverweigerern aus Gewissensgründen (82,4%) unter Gynäkolog:innen. Was diese vehementen Abtreibungsgegner außer Acht lassen: Schwangerschaftsabbrüche werden durch Verbote nicht aus der Welt geschafft, sondern nur illegal, nicht einmal weniger! Das ist allein durch Aufklärung und niederschwelligem Zugang zu Verhütungsmitteln möglich.
Dass sich das europäische Parlament noch nie durch besonderen Progressivismus ausgezeichnet hat, ist bekannt, spätestens seit der Entschließungsantrag für sichere und legale Abtreibungsverfahren 2013 in den Wind geschossen wurde. Eine klar positionierte Abtreibungsgegnerin an dessen Spitze hat aber zusätzlich symbolische Bedeutung und legitimiert die Bestrebungen jener rechtsextremen Aktivisten, die bemüht sind, die Rechte der Frauen (also immerhin der halben Bevölkerung) zu beschneiden. Wobei sich diese gebärden als ginge es um einen Abtreibungszwang.
Aber hier geht es weder um Leben noch um Geburten. Es geht um die gesellschaftspolitische Kontrolle über den weiblichen Körper und die Beschneidung der Entscheidungshoheit von Frauen über ihre eigenen Körper. Warum wohl? Unabhängige und starke Frauen machen Angst und bedrohen dieses toxische Gesellschaftssystem. Auch die paar Privilegierten an der Macht werden von solchen Frauen eingeschüchtert. Also verdrängt man(n) die Hälfte der Gesellschaft in ihre naturgewollte mütterliche Rolle (Biologismus) und, wiederum mit dem Segen der Kirche, auch an den Herd der Kleinfamilie, damit sie anderswo und vor allem weiter oben in der anerkannten Gesellschaftsleiter keinem in die Quere kommt. Easy, nicht?
Da mag Metsola noch so sehr von Emanzipation, Frauenrecht und Gleichstellung schwadronieren: Solange Frauen das Recht auf selbstständige Entscheidung über ihren eigenen Körper abgesprochen wird, ist die derzeitige Euphorie um eine Frau an einer der europäischen Schaltzentralen der Macht nur eine Augenauswischerei. Wieder zeigt sich, wie Erkämpftes nicht für immer gesichert ist.
OK, sie ist konservativ. Aber
OK, sie ist konservativ. Aber besser Frau und jung anstatt Mann und alt.