Schwarzfahrer im Visier der Regierung
Italien gilt als Paradies der "portoghesi". Warum Schwarzfahrer auf der Halbinsel so genannt werden, ist umstritten und geht wohl auf Episoden in der Geschichte des Kirchenstaates zurück. Die wahren Portugiesen haben jedenfalls nichts mit dem Heer derer zu tun, die sich ohne Fahrkarte der städtischen Verkehrsmittel bedienen. Von geschätzten fünf Milliarden Benützern der Busse und U-Bahnen pro Jahr fährt in Italien eine Milliarde gratis. Denen will Premier Claudio Gentiloni jetzt das Handwerk legen.
Wenn italienische Regierungen die Beseitigung jahrelang geduldeter Misstände ankündigen, ist freilich stets Vorsicht geboten. Das gilt auch für die jüngste Maßnahme gegen Schwarzfahrer: Wer in Zukunft ohne Ticket städtische Verkehrsmittel benützt, wird mit einer Geldbusse von 200 Euro bestraft – dem Doppelten des bisherigen Betrags. Dass diese Maßnahme eher wirkungslos bleibt, ist absehbar. Denn bereits jetzt können die italienischen Verkehrsbetriebe im Durchschnitt nur 30 Prozent der ausgestellten Strafmandate kassieren. Mit der Verdoppelung wird dieser Anteil weiter sinken.
Dabei gibt es allerdings erhebliche regionale Unterschiede: In Venedig ist der Anteil der kassierten Strafen mit 55 Prozent am höchsten, weil sich Passagiere auf den Fähren schlecht verflüchtigen können. In Genua ist sie mit neun Prozent am geringsten.
Schwarzfahren war schon immer eine italienische Paradedisziplin – kaum erstaunlich in einem Land, in dem die Zahlungsmoral in allen Bereichen dürftig ist. Im Schnitt benützt jeder Fünfte die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Fahrkarte – auch hier mit deutlichen Unterschieden: Während es Genua und Venedig nur spärliche fünf Prozent sind, steigt die Zahl in Rom und Bari auf ein bedrohliches Drittel aller Passagiere.
Roms Verkehrsverbund Atac hat 1,4 Milliarden Euro Defizit
In der Hauptstadt gilt Schwarzfahren schon seit Jahren als Kavaliersdelikt Die Zahl der Kontrollen ist relativ gering, die Busse sind häufig alt, überfüllt und verspätet. Der marode Verkehrsverbund ATAC verliert nach Jahrzehnten übelster Klientelwirtschaft täglich fast eine Million Euro und hat 11.500 Bedienstete. In Rom, wo parasitäre Gewerkschaften großen Einfluss ausüben, leisten Busfahrer wesentlich weniger Arbeitsstunden als etwa in Mailand oder Neapel. Das mittlerweise angehäufte ATAC-Defizit beträgt horrende 1,4 Milliarden Euro. 900 Busse stehen fahruntüchtig im Depot. Der aus Mailand kommende, neue Generaldirektor Bruno Rota hat am Mittwoch seinen Dienst angetreten – drei Leibwächter eskortierten ihn ins Büro. Geradezu köstlich mutet angesichts dieser Zustände ein weiterer Beschluss der Regierung an: Bei Verspätungen über einer halben Stunde können Passagiere ab sofort eine Vergütung des Tickets fordern. Mit einem Preis von durchschnittlich 1,50 Euro pro Fahrt gehört Italien in der EU zu den Billigländern im öffentlichen Personentransport.
Den Gesamtschaden durch das Heer der portoghesi schätzt die Regierung auf rund eine Milliarde Euro. Einen Vorteil bietet das neue Maßnahmenbündel der Regierung: Als Kontrolleure können die Kommunen in Zukunft auch Personen anheuern, die nicht zum Personal der Verkehrsbetriebe gehören – etwa lavoratori socialmente utili.
Unter den Großtädten schneiden im öffentliche Nahverkehr Turin, Mailand und Genua am besten ab. In Reggio Calabria steigt der Anteil der Schwarzfahrer auf ein Viertel, in Bari auf ein Drittel. Nachteilig wirkt sich aus, dass der städtische Nahverkehr fast überall zu 100 Prozent von der öffentlicher Hand betrieben wird.
Cremona privatisiert Verkehrsverbund
Als erste Provinzhauptstadt hat Cremona Mut bewiesen, ihn vollständig privatisiert und positive Erfahrungen gemacht. Der britische Konzern Arriva beweist dort, dass man damit auch Gewinne machen kann. Leopoldo Montinari, Chef von Arriva Italia: "Noi facciamo utili ovunque operiamo. Quello del trasporto locale è un settore che produce reddito all’estero come in Italia, purché ci sia il mercato." Die Region Toskana hat nachgezogen und den lokalen Bus- und Bahnverkehr dem französischen Unternehmen Ratp anvertraut. Turin, Como, Modena, Bergamo und Brescia wollen dem Beispiel ebenfalls folgen – mit einer Teilprivatisierung, wie sie in Südtirol bereits seit Jahren existiert, wo verschiedene Busunternehmen den Linienverkehr in vielen Tälern versehen. Zur Zufriedenheit der Passagiere und zur Entlastung der öffentlichen Kassen.