Wish you were in die Berg
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Es sei vorausgeschickt: Theater gehört nicht zu den Kunstformen, die wir verfolgen. Das gibt da keine besonderen Gründe dafür, es gibt keine prinzipielle Ablehnung, kein Trauma oder ähnliches. Es ist halt so. Dass wir uns am gestrigen Sonntag dann doch die letzte Aufführung von „Gletscher“ angeschaut haben, hat damit zu tun, dass der Musiker Stefano Bernardi die Musik dazu geschaffen hat. Das Interview, das wir mit ihm geführt hatten – nachzulesen hier –, hatte uns neugierig genug gemacht.
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Wenn wir zugegebenermaßen auch getriggert waren, von den Aufnahmen aus dem dicken Eis, die dann nicht so ausgedehnt wie erwartet zu hören waren, so war doch beeindruckend, in welch vielfältiger Art und Weise die Musik von Stefano Bernardi (und Regisseurin Elke Hartmann) in das Stück eingefügt wurde: Klänge als zeitliche Abgrenzung, Klänge um Atmosphäre zu schaffen, begleitende Szenenmusik, um den Lauf der Zeit zu unterstreichen oder, um die Szenen von der vorherigen abzuheben. Bernardi hat in der Tat das geliefert, was das Stück erforderte und obwohl er immer wieder zum Einsatz kam, war er stets zurückhaltend.
Wunderschön und ergreifend, das sehr reduziert eingesetzte persische Hackbrett Santur, in einem kurzen Monolog von Jasmin Mairhofer, in dem sich diese über die Beziehung zu ihrem Vater bewusst wird. Und sehr gelungen auch die zwei Lieder bzw. Songs, die zum Zuge kommen: Zu Beginn stehen sich die Tochter (Jasmin Mairhofer) mit dem Volkslied „In die Berg bin i gern“ und die Mutter (Margot Mayrhofer) mit dem Pink Floyd-Song „Wish You Were Here“ noch konträr gegenüber, finden aber gegen Ende des Stücks zusammen, indem sie „In die Berg...“ gemeinsam (und zweistimmig) singen. Eine sehr schöne erste Variante für das Happy End dieses Stückes, in dem eine scheinbare unauflösliche, ungesunde und versteinerte Mutter-Tochter-Beziehung nachgezeichnet wird, nachhaltig geprägt von Verschwinden des Vaters im Gletschereis.
Die zweite Variante des Happy Ends, ist etwas bizarrer und augenzwinkernd ironisch-sarkastisch: Der Gletscher gibt die Leiche des Vaters endlich frei, auch frei zum „biologischen Abbau“. Damit findet nicht nur der tote, eingefrorene Körper zurück in den Kreislauf des Lebens, sondern auch die beiden Frauen finden zurück ins gemeinsame Leben.
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Die „Kritik“ eines Nicht-Theatergängers: Wenn man davon ausgeht, dass der Film jene Kunstform ist, die dem Theater am nächsten kommen mag, dann könnte die Musik und ganz generell das Klangbild durchaus mit der Geschehen auf der Bühne etwas verwobener sein, denn die technischen Möglichkeiten würden das mittlerweile zulassen. Gerade wenn, wie in diesem konkreten Fall, die Musik fallweise etwas beschreibt, das im Stück ist, aber ganz konkret nicht auf der Bühne zu sehen ist, dann wäre eine soundtrackartige Beschallung, die „alles umfasst und durchdringt“, sehr wirkungsvoll, und käme einem Musiker wie Bernardi entgegen, der selbst im und mit Film arbeitet.
Aber: Es kann natürlich sein – und so wird es wohl auch sein –, dass die besondere akustische Situation des Ortes, wo Theater aufgeführt wird, fester Bestandteil der Gesamtästhetik dieser Kunstform ist, dann ist dieser Einwand hinfällig. Das Theaterpublikum und die Theaterproduktion weiß nicht nur damit umzugehen, sondern sieht es vielleicht sogar als festen Bestandteil des Ganzen an.
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Info:
Homepage Stefano Bernardi: https://www.stefanobernardi.org
salto.music-Interview mit Stefano Bernardi über seine Musik zu „Gletscher“: https://salto.bz/de/article/19042024/wie-gletscher-klingen
Michael Denzer (salto.bz) über „Gletscher“ (Premiere): https://salto.bz/de/article/05042024/eiskalt-erwischt